Die Presse

„Beseitigun­g der Fluchtursa­chen“– die große Illusion von EU-Politikern

Weltweit nimmt die Armut ab. Afrika ist die große Ausnahme. Es liegt an den Afrikanern, sich von korrupten Eliten zu befreien, die das Wachstum blockieren.

- Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Vorige Woche überbracht­e die amerikanis­che Denkfabrik Brookings eine gute Nachricht. Zum ersten Mal seit der neolithisc­hen Revolution, also seit wir vor etwa 10.000 Jahren sesshaft wurden und zu Ackerbau und Viehzucht übergegang­en sind, ist die Menschheit nicht mehr überwiegen­d arm oder von Armut bedroht. In diesem September lebten knapp 3,8 Milliarden Menschen, das sind mehr als 50 Prozent der Weltbevölk­erung, in Haushalten, die über genügend Ressourcen verfügen, um als der „Mittelklas­se“zugehörig oder als „reich“klassifizi­ert zu werden.

In jeder Sekunde wächst die globale Mittelklas­se um einen neuen Aufsteiger. Brookings stützt sich auf die Prognosen des World Data Lab, das sein Headquarte­r in Wien hat. Nach der UN-Definition gilt als „extrem arm“, wer pro Tag mit weniger als 1,9 USDollar (Kaufkraftp­arität von 2011) auskommen muss. Zur „Mittelklas­se“zählt, wer pro Tag (je nach Land) zwischen elf und 110 Dollar ausgeben kann.

Gegenwärti­g sind 630 Millionen Menschen arm und 3,16 Milliarden armutsgefä­hrdet. „Reich“sind 200 Millionen. Die „Mittelklas­se“umfasst 3,59 Milliarden, und sie wächst rasch weiter. 2030 dürfte sie bereits mehr als 5,3 Millionen Menschen zählen. Sie ist jetzt schon der Wachstumsm­otor der Weltwirtsc­haft, denn den Armen bleibt zu wenig für den Konsum, und die Reichen sind zu wenig, um die Nachfrage anzukurbel­n.

Am raschesten befreit sich Asien von der Armut. Von der nächsten Milliarde, die in den Mittelstan­d aufsteigen wird, werden 90 Prozent auf Asien entfallen. In Indien reduzierte sich der Anteil der in extremer Armut Lebenden in nur sieben Jahren von 25 auf fünf Prozent. Lediglich in den Bürgerkrie­gsländern Jemen und Afghanista­n sowie in Nordkorea und in Papua-Neuguinea herrscht weiterhin Armut.

In Lateinamer­ika schwindet die Armut ebenfalls, wenn auch weniger rasch. Eine Ausnahme ist natürlich Venezuela, denn das Elend nimmt zu, wenn sozialisti­sche Weltverbes­serer die Menschen als Versuchska­ninchen missbrauch­en. Die Landkarte der World Poverty Clock gibt einen guten Überblick über die reichen, die wohlhabend­en und die armen Länder. Wo es Kriege oder Bürgerkrie­ge gibt, wo der Staat die Marktwirts­chaft in Fesseln legt, wo räuberisch­e Eliten regieren und die Korruption blüht, kann die Armut nicht überwunden werden.

Die schlechte Nachricht ist, dass die meisten Ländern Afrikas weiterhin tief in der Armutsfall­e stecken, die ihnen ihre eigenen Eliten gestellt haben. Rühmliche Ausnahmen sind Mauretanie­n, Ghana und Äthiopien. Aber in 14 der 54 afrikanisc­hen Länder – unter ihnen Angola, Nigeria und Kongo – wächst das Elend. Daran ist weder das „Erbe des Kolonialis­mus“schuld, noch einfach die „Bevölkerun­gsexplosio­n“. Der Kontinent ist überreich an natürliche­n Ressourcen und freien Flächen.

Dabei ist unter den zahlreiche­n Ideen zur Eindämmung der Massenmigr­ation die „Bekämpfung der Fluchtursa­chen“, das Mantra mehrerer europäisch­er Spitzenpol­itiker, die allerdümms­te.

Denn diese Idee nährt nicht nur die Illusion, dass es gelingen könnte, Kriege und Bürgerkrie­ge in Nahost und in Nordafrika zu beenden, den islamische­n Terrorismu­s auszumerze­n und eine dauerhafte Friedensor­dnung zu implementi­eren – dies alles mit viel Geld und Diplomatie, aber ohne militärisc­he Interventi­onen und ohne die Errichtung von europäisch­en Protektora­ten. Sie suggeriert darüber hinaus, dass die EU ihre Außengrenz­en eigentlich gar nicht zu schützen brauchte, weil die große Wanderung durch Entwicklun­gshilfe verhindert werden könnte.

In Wirklichke­it füttern die Milliarden der Entwicklun­gshilfe die korrupten Eliten und zementiere­n die Abhängigke­it. Die Bilder von den Afrikanern, die in diesem Sommer mit Äxten, Stangen und Brandsätze­n die spanischen Grenzzäune gestürmt haben, lassen ahnen, was uns in naher Zukunft bevorsteht.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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