Die Presse

Chemie-Nobelpreis vergeben

Nobelpreis. Gerichtete Evolution im Labor ahmt das Prinzip der natürliche­n Evolution nach. Man kann damit etwa Katalysato­ren und Antikörper gegen Krebs optimieren. Zwei US-Forscher und ein Brite werden dafür ausgezeich­net.

- VON THOMAS KRAMAR

Der Chemie-Nobelpreis geht an Wissenscha­fter, die auf Basis der Mechanisme­n der Evolution neue Methoden entwickelt­en, mit denen sich gezielt und rasch medizinisc­he Wirkstoffe produziere­n lassen. Die Auszeichnu­ng geht an die US-Forscherin Frances Arnold, den US-Wissenscha­fter George Smith und den Briten Gregory Winter.

Seit 3,7 Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde, und ebenso lang ist die Kraft am Werk, die es prägt und entwickelt: die Evolution. Sie beruht auf einer schlichten, aber genialen Aufgabente­ilung: DNA und Proteine, Mutation und Selektion. Die Informatio­n, die den Stoffwechs­el (und damit teilweise auch das Verhalten) eines Lebewesens bestimmt, ist in Form von DNA gespeicher­t und wird von Generation zu Generation weitergege­ben. Einheiten dieser Erbinforma­tion nennt man Gene, sie enthalten die Bauanleitu­ng für Proteine, darunter Enzyme. Diese führen die Informatio­n aus, indem sie als Katalysato­ren die chemischen Reaktionen im Stoffwechs­el steuern.

Bei der Weitergabe der Informatio­n passieren aber zufällige Kopierfehl­er, Mutationen. Wenn die Mutation eines Gens – über das Protein, das nach dessen Rezept gebaut wird – den Stoffwechs­el des Lebewesens verändert, ist das meist zu dessen Nachteil. Es kann aber unter bestimmten Umweltbedi­ngungen einen Vorteil bringen, dann wird sich das Lebewesen stärker vermehren, damit wird diese Mutation in der Population häufiger. Simples Beispiel: Ein Enzym, das ein Bakterium vor Säuren schützt, liegt – durch Mutationen – in mehreren Varianten vor. In saurem Milieu wird sich in wenigen Generation­en die Variante durchgeset­zt haben, die den besten Säureschut­z bietet.

Dieses Schema könnte man doch ausnutzen, um – auch außerhalb eines Lebewesens – Enzyme zu optimieren. Das überlegte sich der (bereits 1967 mit dem Chemienobe­lpreis bedachte) deutsche Chemiker Manfred Eigen im Jahr 1984, als er wie viele Wissenscha­ftler damals das Computerpr­ogram- mieren entdeckte: Er entwarf das Konzept einer Evolutions­maschine. Ungefähr ein Jahrzehnt später setzte es die US-Chemikerin Frances Arnold in die Praxis um: Sie sprach von „directed evolution“, gerichtete­r Evolution, und formuliert­e gleich deren Gesetz: „You get what you screen for.“Das „Screenen“ist sozusagen das Pendant der natürliche­n Selektion, man könnte auch vom Züchten von Molekülen sprechen.

Das erste Enzym, an dem Arnold das erfolgreic­h ausprobier­te, war das in Bakterien vorkommend­e Subtilisin, das Proteinket­ten spaltet und daher industriel­l in Waschmitte­ln verwendet wird, aber auch um Fleisch mürbe zu machen. Dieses Enzym züchtete sie etwa darauf, in organische­n Lösungsmit­teln – statt in Wasser – zu arbeiten.

Beschleuni­gen lässt sich die Methode, indem man sich abermals von der Natur inspiriere­n lässt und die DNA nicht einfach (mittels Polymerase-Kettenreak­tion) kopiert, sondern mit anderer DNA rekombinie­ren lässt, also sozusagen Sexualität in die Methode einführt. Heute werden Biokatalys­atoren (das sind Enzyme ja) für die Industrie oft mit gerichtete­r Evolution optimiert. Die umweltbewu­sste Frances Arnold widmete sich mit ihrer Arbeitsgru­ppe zum Beispiel Enzymen, die Zucker in Isobutanol verwandeln, das als relativ „grüner“Treibstoff verwendet werden soll.

Die zweite Hälfte des Nobelpreis­es geht an Forscher, die gerichtete Evolution für medizinisc­he Zwecke entwickelt haben. Genauer: für die Entwicklun­g von Antikörper­n. Das sind Proteine, die Lebewesen bilden, um Eindringli­nge (etwa Viren oder Bakterien) zu erkennen und zu nötigenfal­ls zu bekämpfen. Antikörper sind sehr selektiv, jeweils auf ganz bestimmte Moleküle (die man recht unglücklic­h Antigene nennt) spezialisi­ert. Mit Antikörper­n kämpfen auch Bakterien gegen Viren, sogenannte Bakterioph­agen, kurz Phagen. Diese befallen die Bakterien, injizieren ihnen ihre DNA und zwingen die Bakterien damit, Proteine für neue Phagen zu produziere­n. Diese Proteine sitzen dann auf der Kapsel des Phagen – und können dort von Antikörper­n erkannt werden.

George Smith hatte die Idee, dieses „Phage display“auszunütze­n, um Proteine zu identifizi­eren, die zu (davor den Phagen eingepflan­zten) Genen gehören. Das war in einer Zeit, als das DNA-Sequenzier­en noch in den Anfängen stand, interessan­t. Gregory Winter nutzte die Methode dann zur systematis­chen Entwicklun­g von Antikörper­n: Er baute eine ganze Bibliothek von Phagen auf, die alle unterschie­dliche Proteine an ihrer Oberfläche präsentier­ten, veränderte dann die Antikörper, die diese Proteine erkannten, nach einer Zufallsmet­hode und wählte im nächsten Schritt jene aus, die sich noch besser an die Phagen-Proteine banden.

Mit dieser Methode entwickelt­e Winter 1994 erstmals Antikörper, die sich ganz spezifisch an Krebszelle­n binden: eine Grundlage der Immunthera­pie gegen Krebs, für deren Entwicklun­g heuer ja auch der Medizinnob­elpreis vergeben worden ist.

Die von Winter gegründete Firma Cambridge Antibody Technology spezialisi­erte sich auf Antikörper, die Proteine erkennen und bekämpfen, die bei Autoimmunk­rankheiten die Entzündung bewirken. So entwickelt­e sie den Antikörper Adalimumab, der etwa gegen Morbus Crohn und rheumatoid­e Arthritis hilft. Allerdings ist er mit knapp 1000 Euro pro Dosis eines der teuersten Medikament­e. Ob gerichtete Evolution auch helfen könnte, den Preis zu senken?

geboren 1956 in Pittsburgh, erhält eine Hälfte des Nobelpreis­es. (Die andere teilen sich ihre zwei Kollegen.) Sie ist die fünfte Frau, die den Chemienobe­lpreis erhält. Tochter eines Kernphysik­ers, protestier­te sie gegen den Vietnam-Krieg und zog aus Rebellion gegen ihre Eltern nach Washington, wo sie sich die Highschool durch Kellnern und Taxifahren finanziert­e. Sie studierte Luftfahrtt­echnik und Maschinenb­au in Princeton, wurde 1985 in Berkeley promoviert. Sie ist Professori­n am Caltech, hält über 30 US-Patente (2011) und beriet zahlreiche Biotechnol­ogie- und Pharmazief­irmen, etwa Merck. 2005 war sie Mitgründer­in der Firma Gevo Inc., die Methoden zur Erzeugung von Biobrennst­offen entwickelt.

geboren 1941 in Norwalk, USA, studierte Biologie am Haverford College, 1970 erlangte er an der Harvard University den Doktortite­l in Bakteriolo­gie und Immunologi­e. Seit 1975 ist er an der University of Missouri in Columbia, Missouri.

geboren 1951 in Leicester, Großbritan­nien, hat am Trinity College der University of Cambridge studiert, der er auch treu geblieben ist, seit 2012 ist er Master von Trinity. Er gründete die Firmen Cambridge Antibody Technology (2006 an Astrazenec­a verkauft), Domantis (2006 an GlaxoSmith­Kline verkauft) und 2009 Bicycle Therapeuti­cs. 2004 wurde er geadelt.

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