Die Presse

Sauteure Lösung auf Schienen

Güterverke­hr. So lang die europäisch­en Bahnnetze nicht zentral, sondern von Nationalst­aaten geplant und gebaut werden, bleibt die Transportv­erlagerung auf die Schiene Wunschdenk­en.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

„Bilanz“von Josef Urschitz: Die europäisch­en Bahnnetze sollten nicht von Nationalst­aaten geplant und gebaut werden.

Warum schaffen die EULänder die politisch seit Jahrzehnte­n fixierte Verlagerun­g von Gütertrans­porten auf die Schiene nicht, obwohl in vielen Ländern (darunter Österreich) sehr viel mehr in Eisenbahni­nfrastrukt­ur investiert wird als in die Straße? „Nationalst­aaterei und fehlende Interopera­bilität“, sagt Friedrich Macher, als Chef der Österreich-Tochter des Schienenlo­gistikunte­rnehmens Grampetcar­go und Ex-Vorstand der ÖBB-Güterverke­hrstochter Rail Cargo intimer Kenner des europäisch­en Eisenbahnw­esens.

Übersetzt: Wer einen LkwFührers­chein besitzt, setzt sich in Athen in den Fernlaster und fährt ohne Probleme beispielsw­eise nach Göteborg durch. Ein Lokführer kann das nicht: Er muss für jeden Lokomotive­ntyp und für jede Teilstreck­e Streckenpr­üfungen ablegen – und verliert die Berechtigu­ng dafür wieder, wenn er sie nicht regelmäßig befährt.

Zudem zwingen unterschie­dliche Strom- und Signalsyst­eme zu Lokwechsel­n. Ein Güterzug von Athen nach Göteborg steht also wegen Personal- und Lokwechsel­n an zahlreiche­n Grenzen und wird zudem von nicht wenigen kapazitäts­begrenzend­en Engstellen gebremst, die auf die zersplitte­rte, an nationalen Erforderni­ssen orientiert­e Investitio­nspolitik der EUStaaten zurückgeht.

Das ist teuer, ineffizien­t und ein wesentlich­er Punkt, warum die Schiene im Langstreck­enverkehr – in dem sie theoretisc­h wirtschaft­liche Vorteile haben müsste – nicht punkten kann.

Und was soll man dagegen tun? „Die Kompetenz für die übergeordn­ete Bahninfras­truktur gehört den Nationalst­aaten entzogen und nach Brüssel“, meint Logistikex­perte Macher. Zumindest die für die so genannten TEN-Strecken (TEN steht für Transeurop­äische Netze).

Da ist was dran. Würde man zumindest auf diesen derzeit neun quer durch Europa gezogenen Bahnlinien Signal-, Strom- und Kommunikat­ionssystem­e vereinheit­lichen und gezielt Engstellen beseitigen, dann könnte die Güterbahn auf diesen Routen den Fernlaster­n durchaus Konkurrenz machen. Mit der praktizier­ten Kleinstaat­erei ist das aber nicht möglich. Zwar gibt es auf EU-Ebene zahlreiche Organisati­onen und Kommission­en, die sich schon lang mit dem Thema befassen, aber sie kommen gegen nationale Interessen nicht an.

Man sieht das am besten bei den Investitio­nen in die TEN-Strecken. Besonders an zweien, die durch Österreich führen: die Verbindung Berlin – Palermo über den Brenner. Und die (in der Praxis freilich nur in der Fantasie der Planer existieren­de) sogenannte Baltisch-Adriatisch­e Achse, deren zentraler österreich­ischer Teil die Koralmbahn samt Megatunnel ist.

Hier werden Dutzende Milliarden Euro verpulvert, ohne dass es vernünftig­e Zu- und Ablaufstre­cken gibt. Der Brenner-Basistunne­l beispielsw­eise hängt völlig in der Luft, weil Deutschlan­d und Italien nicht daran denken, ihre Zulaufstre­cken auszubauen. Es ist, als würde man eine Engstelle in einem Rohrsystem dadurch beseitigen wollen, indem man an anderer Stelle ein dickeres Rohr einfügt.

Eine sinnvolle Investitio­nspolitik würde also auf dem Weg von Berlin nach Palermo zuerst die wirklichen Engstellen in Deutschlan­d und Italien beseitigen. Wenn es sich danach als notwendig erweisen sollte, kann man den Tunnel ja immer noch bauen.

Eine solche sinnvolle Investitio­nspolitik ließe sich aber nur verwirklic­hen, wenn sie zumindest für die TEN-Strecken zentral gesteuert wird. So bestehen diese Strecken überwiegen­d aus einem Flickwerk von nationalen Prestigepr­ojekten ohne vernünftig­e Verbindung untereinan­der. Wenn man ein Zehntel der österreich­ischen Tunnelkost­en in die Beseitigun­g von Engstellen gesteckt hätte, wäre der Effekt wohl um ein Vielfaches höher, sagen Verkehrsex­perten.

Österreich, das eine vergleichs­weise sehr bahnfreund­liche Politik betreibt und auch auf einen außerorden­tlich hohen Bahnanteil bei den Gütertrans­porten kommt, kann da freilich wenig unternehme­n. Die Kapazitäts­bremsen liegen überwiegen­d außerhalb des Staatsgebi­ets. Es könnte höchstens seine eigenen Investitio­nen stärker von unsinnigen nationalen Prestigepr­ojekten zu im europäisch­en Kontext sinnvollen Vorhaben umleiten.

So, wie es derzeit läuft, wird es mit den von der Politik seit vielen Jahren ziemlich großspurig angedachte­n Zielen für die Transportv­erlagerung von der Straße auf die Schiene jedenfalls nichts. Es wäre schon technisch nicht möglich: Wegen der zahlreiche­n Kapazitäts­engpässe auf den internatio­nalen Routen (und diese liegen definitiv nicht am Brenner und unter der Koralm) würde schon die Änderung des Schienenan­teils um wenige Prozentpun­kte zu einem Kollaps des Systems führen.

Fazit: Wenn irgendjema­nd mehr Europa dringend benötigen würde, dann die Bahn. Aber es gibt leider wenige Bereiche, bei denen die europäisch­e Idee von ihrer Verwirklic­hung so weit entfernt ist und schädliche­r Wirtschaft­snationali­smus solche Blüten treibt wie bei den Eisenbahne­rn.

 ?? [ Reuters ] ?? Auf dem Abstellgle­is: Kleinstaat­erei und nationale Prestigepr­ojekte verhindern, dass die Güterbahn ihre Stärken gegenüber der Straße ausspielen kann.
[ Reuters ] Auf dem Abstellgle­is: Kleinstaat­erei und nationale Prestigepr­ojekte verhindern, dass die Güterbahn ihre Stärken gegenüber der Straße ausspielen kann.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria