Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Die Bundeslandrepublik Österreich
Der erste Versuch endete im Fiasko, der zweite war eine Erfolgsgeschichte. Und sie ist noch nicht zu Ende – allen Untergangsfantasien zum Trotz.
D er gestrige Festakt „100 Jahre Republik Österreich“mit Bundespräsident, Bundeskanzler und EU-Kommissionspräsident fand im Rahmen einer „außerordentlichen Landeshauptleutekonferenz“statt. Es ist bezeichnend für diese Republik, deren inoffizieller Artikel 1 der Realverfassung lautet: Das Recht geht von den Ländern aus.
Das war und ist ein Problem. In vielerlei Hinsicht. Für die jeweilige Bundesregierung. Und für die Parteien, vor allem für ÖVP und SPÖ, zu Jörg Haiders Zeiten auch für die FPÖ. Reformen wurden abgewehrt, verwässert oder gar nicht mehr angedacht. Die Macht der Länder war keine Schimäre. Insbesondere in der ÖVP waren sie es, die über die Auswahl für die Wahllisten auch die Geschicke der Bundespartei bestimmten. Hier hat sich einiges zum Besseren gewendet. Und auch die neue Generation der Landeshauptleute scheint lernfähig: konstruktiv statt obstruktiv, Notwendigkeiten für den Gesamtstaat erkennend, bei denen auch der eigene Schrebergarten einmal zurückstehen muss. Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.
Man wird angesichts des 100-Jahr-Jubiläums der Republik aber auch festhalten müssen, dass der subtile Kampf Länder gegen Bund gewissermaßen ein Luxusproblem im Vergleich zu den Kämpfen der Vergangenheit ist.
Der erste Versuch einer Republik, jener vor 100 Jahren ausgerufenen, ist noch keine Erfolgsgeschichte gewesen. Die Bürger waren damit überfordert. Der Übergang vom Kaiserreich, das allerdings ein Parlament hatte, zu einer echten parlamentarischen Demokratie war mit einem Zusammenbruch bisheriger Gewissheiten und Gewohnheiten einhergegangen. Ein großes Land mit all seinen vielfältigen ökonomischen und zwischenmenschlichen Möglichkeiten war auf einen rein deutschsprachigen Rumpfstaat reduziert worden. Die Küste an der Adria war weg, die Industrie in Böhmen.
Kaum einer sah für diesen Staat eine Zukunft, parteienübergreifend wähnte man diese in einem Zusammenschluss mit dem nächstgelegenen größeren deutschen Staat. Es war ein mühsamer Prozess, ein Bewusstsein für einen öster- reichischen Staat zu schaffen. Identität boten schon damals – auch das ist nicht gering zu schätzen – die Bundesländer.
Der Halt, den die Länder gaben, war allerdings zweischneidig. Die Kärntner kämpften in ihrem Abwehrkampf weniger für die Republik Österreich als vielmehr für ein freies, ungeteiltes Kärnten. Die Wiener waren stolz auf ihr Rotes Wien und igelten sich dort ein. So wuchs nicht wirklich zusammen, was später zusammengehören sollte.
Dies gelang erst beim zweiten Versuch nach 1945. Es hatte blutiger Lektionen bedurft. Bürgerkrieg, Dollfuß-Diktatur, Nationalsozialismus, Krieg. An der Wiege der Zweiten Republik standen dann auch die Bundesländer, die nun stärker an einem Strang zogen. Die erste Länderkonferenz setzte auch die ersten freien Wahlen (am 25. November 1945) durch. Die Erfolgsgeschichte begann.
Und diese geht – allen Untergangsfantasien und an die Wand gemalten Dystopien – weiter. Der nüchterne Befund lautet: Es regiert nun eben einmal eine andere Regierung als die Große Koalition, die an der Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik zweifellos ihren großen Anteil hatte, deren Gestaltungswille aufgrund zunehmender Lähmung der einander widerstrebenden Akteure zuletzt aber ziemlich erschöpft war. D ass auch die aktuelle Regierungsvariante nicht frei von problematischen Seiten ist, zeigt sich darin, dass ein Teil noch immer nicht im Amt angekommen ist. Weil er noch immer auf Oppositionsmodus geschaltet ist. Oder in den Worten eines ÖVP-Politikers: „Den Freiheitlichen ist die öffentliche Meinung in den Medien ziemlich egal, sie werden nervös, wenn die eigenen Funktionäre ihren Unmut äußern. Bei uns ist es umgekehrt.“
Entscheidend ist aber ohnehin etwas anderes: Hat diese Regierung einen entsprechenden Reformwillen (in der Bildungspolitik hat sie diesen schon gezeigt)? Und vor allem: Vermag sie diesen auch gegen möglichen Widerstand der Länder durchzusetzen?