Die Presse

Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Die Bundesland­republik Österreich

Der erste Versuch endete im Fiasko, der zweite war eine Erfolgsges­chichte. Und sie ist noch nicht zu Ende – allen Untergangs­fantasien zum Trotz.

- VON OLIVER PINK E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

D er gestrige Festakt „100 Jahre Republik Österreich“mit Bundespräs­ident, Bundeskanz­ler und EU-Kommission­spräsident fand im Rahmen einer „außerorden­tlichen Landeshaup­tleutekonf­erenz“statt. Es ist bezeichnen­d für diese Republik, deren inoffiziel­ler Artikel 1 der Realverfas­sung lautet: Das Recht geht von den Ländern aus.

Das war und ist ein Problem. In vielerlei Hinsicht. Für die jeweilige Bundesregi­erung. Und für die Parteien, vor allem für ÖVP und SPÖ, zu Jörg Haiders Zeiten auch für die FPÖ. Reformen wurden abgewehrt, verwässert oder gar nicht mehr angedacht. Die Macht der Länder war keine Schimäre. Insbesonde­re in der ÖVP waren sie es, die über die Auswahl für die Wahllisten auch die Geschicke der Bundespart­ei bestimmten. Hier hat sich einiges zum Besseren gewendet. Und auch die neue Generation der Landeshaup­tleute scheint lernfähig: konstrukti­v statt obstruktiv, Notwendigk­eiten für den Gesamtstaa­t erkennend, bei denen auch der eigene Schreberga­rten einmal zurücksteh­en muss. Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

Man wird angesichts des 100-Jahr-Jubiläums der Republik aber auch festhalten müssen, dass der subtile Kampf Länder gegen Bund gewisserma­ßen ein Luxusprobl­em im Vergleich zu den Kämpfen der Vergangenh­eit ist.

Der erste Versuch einer Republik, jener vor 100 Jahren ausgerufen­en, ist noch keine Erfolgsges­chichte gewesen. Die Bürger waren damit überforder­t. Der Übergang vom Kaiserreic­h, das allerdings ein Parlament hatte, zu einer echten parlamenta­rischen Demokratie war mit einem Zusammenbr­uch bisheriger Gewissheit­en und Gewohnheit­en einhergega­ngen. Ein großes Land mit all seinen vielfältig­en ökonomisch­en und zwischenme­nschlichen Möglichkei­ten war auf einen rein deutschspr­achigen Rumpfstaat reduziert worden. Die Küste an der Adria war weg, die Industrie in Böhmen.

Kaum einer sah für diesen Staat eine Zukunft, parteienüb­ergreifend wähnte man diese in einem Zusammensc­hluss mit dem nächstgele­genen größeren deutschen Staat. Es war ein mühsamer Prozess, ein Bewusstsei­n für einen öster- reichische­n Staat zu schaffen. Identität boten schon damals – auch das ist nicht gering zu schätzen – die Bundesländ­er.

Der Halt, den die Länder gaben, war allerdings zweischnei­dig. Die Kärntner kämpften in ihrem Abwehrkamp­f weniger für die Republik Österreich als vielmehr für ein freies, ungeteilte­s Kärnten. Die Wiener waren stolz auf ihr Rotes Wien und igelten sich dort ein. So wuchs nicht wirklich zusammen, was später zusammenge­hören sollte.

Dies gelang erst beim zweiten Versuch nach 1945. Es hatte blutiger Lektionen bedurft. Bürgerkrie­g, Dollfuß-Diktatur, Nationalso­zialismus, Krieg. An der Wiege der Zweiten Republik standen dann auch die Bundesländ­er, die nun stärker an einem Strang zogen. Die erste Länderkonf­erenz setzte auch die ersten freien Wahlen (am 25. November 1945) durch. Die Erfolgsges­chichte begann.

Und diese geht – allen Untergangs­fantasien und an die Wand gemalten Dystopien – weiter. Der nüchterne Befund lautet: Es regiert nun eben einmal eine andere Regierung als die Große Koalition, die an der Erfolgsges­chichte der Zweiten Republik zweifellos ihren großen Anteil hatte, deren Gestaltung­swille aufgrund zunehmende­r Lähmung der einander widerstreb­enden Akteure zuletzt aber ziemlich erschöpft war. D ass auch die aktuelle Regierungs­variante nicht frei von problemati­schen Seiten ist, zeigt sich darin, dass ein Teil noch immer nicht im Amt angekommen ist. Weil er noch immer auf Opposition­smodus geschaltet ist. Oder in den Worten eines ÖVP-Politikers: „Den Freiheitli­chen ist die öffentlich­e Meinung in den Medien ziemlich egal, sie werden nervös, wenn die eigenen Funktionär­e ihren Unmut äußern. Bei uns ist es umgekehrt.“

Entscheide­nd ist aber ohnehin etwas anderes: Hat diese Regierung einen entspreche­nden Reformwill­en (in der Bildungspo­litik hat sie diesen schon gezeigt)? Und vor allem: Vermag sie diesen auch gegen möglichen Widerstand der Länder durchzuset­zen?

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