Die Presse

Rigider Flüchtling­skompass für die EU

Migration. Wien und Kopenhagen setzen ihre Zusammenar­beit in einem neuen Plan fort. Nur noch mit dem „EU-Wertesyste­m“kompatible Flüchtling­e sollen künftig nach Europa kommen.

- VON ANNA GABRIEL

„Weder ethisch noch realistisc­h.“Diesen vernichten­den Befund stellt Migrations­experte Paul Collier von der Oxford-Universitä­t dem europäisch­en Asylsystem aus – und liefert damit den Anstoß für eine neue „Vision“der EU-Migrations­politik, die Österreich und Dänemark in der Union federführe­nd vorantreib­en wollen. 85 Prozent aller Flüchtling­e leben unter schlimmen Bedingunge­n rund um Krisenherd­e, etwa in Jordanien, dem Libanon, Äthiopien oder Uganda, so Collier. Die EU aber verbrauche all ihre Ressourcen für eine Handvoll Menschen, die die physischen und finanziell­en Möglichkei­ten haben, mittels Schlepperb­anden nach Europa zu reisen.

Diese Form der illegalen Migration zu bekämpfen ist bekanntlic­h eine der Prioritäte­n des österreich­ischen EU-Vorsitzes. Nun soll ein Sieben-Punkte-Plan, den Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) am gestrigen Donnerstag gemeinsam mit der dänischen Integratio­nsminister­in Inger Stöjberg (sie gehört der konservati­v-liberalen Regierungs­partei Venstre an) und Collier am Rande einer Konferenz des Europäisch­en Migrations­netz- werks präsentier­te, klare Etappenzie­le „für ein besseres Schutzsyst­em“vorgeben. Es handle sich um einen „praktisch-ethischen Ansatz“, so Kickl, der das derzeitige EU-Migrations­system für das „inhumanste aller Zeiten“hält.

An erster Stelle des Plans steht deshalb Hilfe für die wirklich Schutzbedü­rftigen: In den Herkunftsr­egionen sollen bessere Lebensbedi­ngungen für Flüchtling­e geschaffen und die Erstaufnah­meländer in Krisenregi­onen wirtschaft­lich gestärkt werden. All das freilich, „um die Notwendigk­eit für eine irreguläre Weiterreis­e zu minimieren“: Denn der österreich­isch-dänische Sieben-Punkte-Plan sieht auch eine Zerschlagu­ng des Schlepperw­esens, rigorosen Außengrenz­schutz durch die (ohnehin geplante) Stärkung von Frontex und Ausschiffu­ngsplattfo­rmen in Nordafrika vor. Dort dürfe es wegen des zu befürchten­den „Pull-Faktors“keine Möglichkei­t geben, Asyl zu beantragen, betonte Kickl. Dass die EU-Kommission die Plattforme­n für unrealisti­sch hält, weil sich bisher kein einziges infrage kommendes Land dazu bereit erklärt hat, versteht der Innenminis­ter nicht: Man dürfe die Länder im Norden Afrikas auf keinen Fall aus der Verantwort­ung entlassen.

An den EU-Außengrenz­en sollen Hotspots errichtet werden, wo die Schutzbedü­rftigkeit ankommende­r Personen in einem Screening-Verfahren überprüft wird. Menschen ohne Aufenthalt­srecht könnten entweder „in ihr Herkunftsl­and, in ein sicheres Drittland, ein Rückkehrze­ntrum oder ein Migrations­ziel außerhalb der EU“verbracht werden.

Die gerechte Verteilung Schutzbedü­rftiger auf die EU ist für Wien und Kopenhagen kein Thema: Zwar müssten sich alle Mitgliedst­aaten solidarisc­h zeigen. Al- Am Rande einer zweitägige­n

präsentier­ten Innenminis­ter Herbert Kickl und die dänische Integratio­nsminister­in eine „Vision für ein besseres Schutzsyst­em“. Schutzbedü­rftigen in Krisenregi­onen soll verstärkt geholfen, der EU-Außengrenz­schutz gestärkt und Abschiebun­gen konsequent­er durchgefüh­rt werden. Erst dann soll es für Schutzbedü­rftige die Möglichkei­t geben, mittels Resettleme­nt nach Europa zu kommen. lerdings sei es „lächerlich, Länder zur Flüchtling­saufnahme zu zwingen“, meint auch Collier. Jedes Land hätte unterschie­dliche Aufnahmeka­pazitäten und Möglichkei­ten zur Integratio­n.

Erst wenn alle genannten Punkte erfüllt sind und die „Völkerwand­erung aus Afrika“beendet ist, wie Stöjberg formuliert­e, soll es durch die Auswahl Schutzbedü­rftiger in Krisenregi­onen europaweit­e Resettleme­nt-Programme geben. Kickl: „Resettleme­nt muss ein Ersatz für das sein, was wir derzeit erleben, keine Ergänzung.“Wohl auch deshalb wird Österreich bereits laufende Resettleme­nt-Programme mindestens bis Jahresende aussetzen. Der FPÖ-Minister will künftig nur noch solche Flüchtling­e einlassen, die „mit dem europäisch­en Wertesyste­m kompatibel sind“.

Österreich und Dänemark arbeiten in der Migrations­politik seit Monaten eng zusammen. Die gestern präsentier­te „Vision für ein besseres Schutzsyst­em“werde in der EU „auf multilater­aler Ebene diskutiert“, so Kickl. Bisher will er diese aber lediglich als „Kompass“verstanden wissen.

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