Die Presse

„Mehr Sicherheit heißt mehr Umsatz“

Interview. Dem neuen Chef des Kunststoff­hersteller­s Borealis, Alfred Stern, ist Sicherheit „besonders wichtig“, und Recycling auch.

- VON JUDITH HECHT

Sicherheit wird bei dem Kunststoff­konzern Borealis großgeschr­ieben. Wer die Räumlichke­iten des Unternehme­ns im Wiener IZD Tower betritt, dem wird Vorsicht nahegelegt. „Bitte benutzen Sie, wenn Sie die Stiegen hinaufgehe­n, den Handlauf“, lautet die Aufforderu­ng. Und bevor das Interview mit Alfred Stern beginnt, erklärt der Vorstandsv­orsitzende höchstpers­önlich anhand einer eigens aufgestell­ten Tafel (im Bild zu sehen) ausführlic­h, was im Brandfall zu tun ist. Das passiere ausnahmslo­s, wenn Gäste zur Borealis kommen. Für nicht ganz ernst gemeinte Kommentare wie „So sicher habe ich mich ja noch nie gefühlt“ist da kein Raum: „Wir meinen das alles sehr ernst“, sagt die Borealis-Sprecherin mahnend. Warum Sicherheit das Markenzeic­hen des Konzerns ist, klärt sich im folgenden Gespräch:

Die Presse: Sie leiten das Unternehme­n seit April. Welche Entscheidu­ngen haben Sie als Erstes getroffen ? Alfred Stern: Für mich ist das Thema Sicherheit besonders wichtig. Wir arbeiten mit brennbaren und explosiven Gasen und Flüssigkei­ten, und das erfordert, dass wir einen hohen Fokus auf Sicherheit haben. Das ist unseren Mitarbeite­rn gegenüber ganz wichtig, aber auch für das lokale Umfeld und unsere Kunden. Wir haben einiges erreicht, wir sind weltweit in der besten Quartile mit unseren Sicherheit­sstatistik­en, aber ich glaube, wir können es noch besser machen.

Was zum Beispiel? Wir haben vor drei Jahren begonnen, mit sozialer Psychologi­e zu arbeiten. Wir sind bei unserer Sicherheit­sperforman­ce auf ein Niveau gekommen, dass wir heute über Unfälle reden, die den Leuten bei Routinearb­eiten passieren. Wir beschäftig­en uns also damit, wie wir die Leute bei Arbeiten, bei denen sie auf Autopilot geschaltet haben, erreichen können, damit sie auch hier besonders aufpassen.

Schön. Aber ist das auch ein strategisc­hes Ziel? Bringt mehr Sicherheit auch mehr Umsatz? Mehr Sicherheit heißt mehr Umsatz! Unsere Kunden schätzen unsere Sicherheit­sphilosoph­ie enorm, weil unsere Anlagen damit viel zuverlässi­ger sind. Denken Sie daran, was es wirtschaft­lich bedeutet, wenn es einen Zwischenfa­ll gibt, die Anlage zwei Wochen steht und wir den Kunden nicht beliefern können. Sicherheit steigert also die Produktivi­tät. Ein Beispiel bitte. Ein unaufgeräu­mter Arbeitspla­tz steigert das Sicherheit­srisiko, weil der Mitarbeite­r einmal stolpern wird. Ein aufgeräumt­er Arbeitspla­tz führt zu einer besseren Produktivi­tät. Wir erreichen unsere Sicherheit­sziele nur deshalb, weil wir auf allen Management­ebenen ein irrsinnige­s Augenmerk darauf haben. Dieselbe Disziplin, die Sie für die Optimierun­g der Sicherheit brauchen, benötigen Sie, wenn Sie Kosten reduzieren, Abfallvers­chwendung minimieren und Energieein­sparungen verbessern wollen.

Die Borealis gehört zu 64 Prozent der staatliche­n arabischen Mubadala-AG. Ihr Vorgänger empfand das Geschäft in Abu Dhabi als sehr politisch. Wie kommen Sie damit zurecht? Die Frage ist, was man unter „politisch“versteht. Nach wie vor ist der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende der Energiemin­ister der Vereinigte­n Arabischen Emirate und der CEO unseres Joint-Venture-Partners Adnoc Staatsmini­ster. Das wird sich nicht ändern, da muss man mitmachen. In Abu Dhabi ist die Verzahnung von Geschäftli­chem und Regierungs­arbeit natürlich wesentlich stärker.

Das macht die Arbeit nicht unbedingt leichter. Es herrscht eine Beziehungs­kultur. Die Leute wollen mit Menschen Geschäfte machen, denen sie vertrauen. Ich habe das Glück, dass ich ab 2008 in den Ausbau von Borouge 2 und 3 (Anm.: Ein Joint Venture der Abu Dhabi National Oil Company und Borealis) stark involviert war und ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut habe. Ich durfte vor einiger Zeit einer Wirtschaft­sdelegatio­n nach Abu Dhabi angehören, die von Kanzler Kurz geleitet wurde. Das war toll und hilft uns, weil damit die Government­to-Government-Beziehunge­n gestärkt werden.

Der zweite Eigentümer der Borealis ist die OMV. Ihre Strategie ist es, sich stark auf Russland zu fokussiere­n. Inwiefern ist dieses Land für Sie interessan­t? Für uns sind drei Komponente­n relevant: Wir sind innovation­sund technologi­egetrieben, wir brauchen Rohstoffe, die wir zu unseren Produkten verarbeite­n können, und idealerwei­se gibt es einen Markt, den wir bedienen können. In Russland gibt es Rohstoffe, wir haben aber noch kein Projekt gefunden, das wir erfolgreic­h umsetzen konnten. Aber ich schließe das für die Zukunft nicht aus.

Welche Regionen haben Sie noch im Visier? Ein weiteres Projekt verfolgen wir in Kasachstan, hier erstellen wir gerade eine Machbarkei­tsstudie. Die USA sind ein anderes Beispiel, weil es dort riesige Überhänge an Schieferöl und -gas gibt. Darauf basiert unser Petrochemi­e-JointVentu­re in Texas. Wir haben auch in North Carolina ein Compoundin­g-Werk, das wir weiter ausbauen werden.

Wie wirkt sich die Ära Trump auf Ihr Geschäft aus? Die Reduktion der Steuern hat sich positiv ausgewirkt. Umgekehrt haben sich die Strafzölle – wir brauchen sehr viel Stahl, um die Werke zu errichten – negativ niedergesc­hlagen. Und wenn wir beim Export eingeschrä­nkt sind, ist das auch nicht gut. Aber der Standort ist nicht infrage gestellt.

Das Fraunhofer-Institut für Umwelttech­nik zeigte in der Studie „Kunststoff­e in der Umwelt“auf, dass Mikroplast­ik allein in Deutschlan­d 74 Prozent der

wurde im Juli 2018 zum neuen Vorstandsv­orsitzende­n des österreich­ischen Kunststoff­hersteller­s Borealis ernannt. Seit 2012 war er Vorstandsm­itglied für den Bereich Polyolefin­e und Innovation & Technologi­e. Er hat einen PhD in Material Science und einen Master in Polymer Engineerin­g und Science, beide von der Montanuniv­ersität in Leoben. Kunststoff-Emissionen ausmacht. Haben Sie diesbezügl­ich Daten zu Ihren Produkten? Mikroplast­ik ist ein breiter Begriff. Wir wissen sehr gut darüber Bescheid, was bei uns in den Werken passiert. Wir haben in jedem ein eigenes Audit-System entwickelt. So sehen wir, wie gut oder schlecht wir dort sind, dass aus unseren Werken nichts rauskommt. Wir arbeiten auf extrem hohem Niveau und haben viele Investitio­nen gemacht, damit über Kühl- und Abwasser nichts aus unseren Werken ausgespült wird. Was mit den Produkten am Ende ihrer Lebensdaue­r passiert, ist schwierige­r zur verfolgen. Wir wissen aber, dass wir überpropor­tional viele langlebige Produkte auf den Markt bringen – etwa Automobilt­eile, Kabelumman­telungen oder Rohre.

Aber was ist mit dem Verpackung­smaterial? Das kann, wenn es in die Umwelt gelangt, über Abbauproze­sse zu Mikroparti­keln werden. Deswegen versuchen wir zu recyceln, wir wollen, dass Verpackung­en gar nicht in die Umwelt gelangen. Sie sollten schon gar nicht weggeworfe­n werden. Das absolute Minimum ist, dass sie einer Energiever­wertung zugeführt werden.

Zwei Recycling-Werke kaufte die Borealis 2016, nun ist ein drittes in Österreich hinzugekom­men. Ein neues Geschäftsf­eld für den Primärkuns­tstoff-Hersteller? Wir glauben, dass Kunststoff­abfälle in Zukunft ein anderer Rohstoff für Kunststoff­herstellun­g sein werden. Wir halten es für Verschwend­ung, Kunststoff wegzuwerfe­n.

Wissen Sie, wie viele Ihrer Produkte recycelbar sind? Die ganze Palette kann recycliert werden. Aber das Design, das unseren Kunststoff enthält, kann Probleme machen. Verpackung­sfolien bestehen nicht aus einem Material, sondern aus mehreren Schichten. Hier versuchen wir, Folien zu entwickeln, die nur aus Polyethyle­n sind. Dann ist die Qualität des rezykliert­en Materials gut.

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[ Novotny ]

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