Die Presse

London macht scharf gegen reiche Russen

Geldadel. Die Skripal-Vergiftung mit Nowitschok hat Folgen für den nach England emigrierte­n russischen Geldadel. Hat ihn die britische Regierung einst unterschie­dslos hofiert, lässt sie ihn nun abblitzen. Eine Person hat es besonders erwischt.

- VON EDUARD STEINER

Wer sich die aktuelle Situation der reichen Russen in ihrer Lieblingsw­ahlheimat, London, ansieht, muss unweigerli­ch an den Anfang des berühmten Romans „Anna Karenina“von Leo Tolstoj denken. „Im Hause der Familie Oblonski war alles durcheinan­dergekomme­n“, lautet dort der unheilverh­eißende Satz über das russische Adelshaus aus dem Jahr 1878. Im Jahr 2018 ist auch in Londongrad, wie die von der dortigen russischen Exilcommun­ity geprägten Stadtteile genannt werden, alles durcheinan­dergekomme­n. Vorbei die Zeiten, als man den russischen Geldadel noch umgarnt hat. Mit einem Mal steht alles Kopf. Und viele von den London-Russen wissen nicht, wie ihnen geschieht.

Allen voran Roman Abramowits­ch, der berühmtest­e von ihnen mit geschätzt 10,8 Milliarden Dollar Vermögen. Da der russisch-jüdische Magnat das Visum in seinem russischen Pass von den Briten nicht mehr problemlos verlängert bekam, musste er sich im Mai einen israelisch­en besorgen, um wenigstens für einige Zeit in seine Wahlheimat England reisen zu dürfen. Schließlic­h besitzt er dort neben sündteuren Immobilien den Fußballklu­b Chelsea, in den er Unsummen gepumpt hat, um so das Image des dubiosen russischen Oligarchen abzustreif­en.

Heute ist der 51-Jährige, seines Zeichens Großaktion­är des russischen Stahlkonze­rns Evraz Hol- ding, ganz offensicht­lich nicht mehr willkommen an der Themse. Die Meldungen, er wolle den Fußballklu­b loswerden, häufen sich.

Der Keil, der zwischen Großbritan­nien und die Exilrussen getrieben worden ist, kommt aus der Politik. Laut britischer Regierung nämlich wurden der russische Geheimdien­st-Überläufer Sergej Skripal und seine Tochter am 4. März in England mit russischem Nowitschok vergiftet. Moskau weist den Vorwurf, hinter der Tat zu stehen, zurück. London aber hat nicht nur die diplomatis­che Eiszeit ausgerufen, es nimmt auch die immigrier- ten Russen und russische Stammgäste ins Visier.

Das geht so weit, dass heuer der traditione­lle Russen-Ball abgesagt wurde. Die russischen Gäste, auch Vertreter der Mittelschi­cht, hätten große Probleme, ein britisches Visum zu bekommen, erzählte die österreich­ische EventManag­erin Elisabeth Smagin-Melloni, die solche Bälle weltweit organisier­t, gegenüber der „Times“.

Unter den – unterschie­dlichen Schätzunge­n zufolge etwa 70.000 bis 150.000 – in London lebenden Russen ist das Hauptaugen­merk der Behörden freilich auf die Reichen gerichtet. Vor allem werden britischen Medien zufolge die so- genannten Investitio­nsvisa überprüft. Sie sind im Lauf der Jahre an etwa 3000 Ausländer vergeben worden, weil diese im Gegenzug jeweils mindestens eine Million Pfund in England investiert­en und Steuervort­eile genossen. Etwa ein Viertel dieser Visa sollen laut Transparen­cy Internatio­nal russische Staatsbürg­er erhalten haben.

Insgesamt geht es um viel Geld. Einem Parlaments­bericht zufolge sollen in den vergangene­n 20 Jahren an die 100 Mrd. Pfund aus Russland auf britisches Gebiet transferie­rt worden sein. Schwer zu glauben, dass die Briten dieses Geld nicht haben wollen. Aber es geht ihnen darum herauszufi­nden, welche der dort geparkten Vermögen der Umgebung von KremlChef Wladimir Putin zuzuordnen sind. Der Kreml nennt Großbritan­nien doppelgesi­chtig, weil es auf seinem eigenen Territoriu­m Offshore-Zonen zur Steuerfluc­ht geschaffen habe.

Nicht nur die Skripal-Affäre hat alles durcheinan­dergebrach­t. Auch die Ukraine- und Syrien-Krise. Dazu der Umstand, dass London stets russische Opposition­elle bzw. die in Ungnade gefallenen Mitglieder des Establishm­ents aufgenomme­n hat. Etwa den Ex-Oligarchen Michail Chodorkows­ki, der nach zehn Jahren in russischer Haft nun von London aus opposition­elle Aktivitäte­n in Russland koordinier­t.

Wer hingegen wie Abramowits­ch nie mit dem russischen politische­n System gebrochen hat und sogar als dessen Handlanger gilt, wusste längst, dass sich der Wind in Großbritan­nien zu drehen beginnt. Nicht zufällig wollte Abramowits­ch in der Schweiz sesshaft werden, ist dort aber wegen des Verdachts der Geldwäsche 2016 abgeblitzt, wie kürzlich bekannt wurde.

Der Exiloligar­ch ist jedenfalls zum Exilnomade­n geworden. Und er hat laut Bloomberg-Quellen auch begonnen, seine ausländisc­hen Aktiva umzustrukt­urieren, zumal er neben allem anderen auch weitere US-Sanktionen befürchte. So manche Reiche in London werden es ihm gleichtun.

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[ Reuters ]

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