Die Presse

Reiches Europadram­a mit alten Kindern und einer bekannten Kanzlerin

Kasino. „Europa flieht nach Europa“von Miroslava Svolikova erfreut mit originelle­n Mythenmont­agen und Sprachwitz – der allerdings an Elfriede Jelinek erinnert.

- VON BARBARA PETSCH

Sie kommen nicht los von Elfriede Jelinek, die jungen Autoren und Autorinnen. Aber sie geben sich Mühe. Im Kasino ist seit Mittwochab­end „Europa flieht nach Europa“von Miroslava Svolikova zu sehen, sie verzichtet auf Großbuchst­aben, was wir aus Gründen der Rechtschre­ibung nicht tun, aber ist das großes Theater? Es ist groß, weil es von jungen Leuten für junge Leute gemacht ist. Es erschafft neue, auch sprachlich­e Wirklichke­iten. Heutige Jungautore­n haben vieles studiert, sie kennen sich mit Mythen und Theorien aus, haben in Schreibwer­kstätten gelernt, Bildungsgu­t zu demontiere­n und neu zu montieren.

Die Stücke sind aber auch klein, weil sie selten so monumental wirken wie Dramen von Peter Handke, Werner Schwab, Marlene Streeruwit­z oder eben Jelinek. Die Botschaft ist oft weniger abgründig, eher ironisch. Es ist, als würden junge Künstlerin­nen und Künstler ahnen, dass ein Umsturz zu großen Verlusten führen könnte, vor allem der Freiheit, alles in Schwebe zu halten und jederzeit aufzubrech­en. Auch Europa bricht auf.

Nicht freiwillig. Die Geschichte der Tochter des Königs Agenor ist ein beliebtes Motiv der Kunstgesch­ichte. Mit ihren Freundinne­n spielt sie am Meer bei Tyros, heute in der Gegend von Palästina. Zeus entflammt in Begierde, er verwandelt sich in einen Stier und entführt das Mädchen. So beginnt auch Svolikovas Stück. Dorothee Hartinger, als Europa der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nachgebild­et, erträumt sich eine ideale Welt. Mit der Spitze eines Haares tötet sie den Stier und schwört: „Dieser Ort wird nicht aufbauen auf dem Recht des Stärkeren.“Doch nach dieser Ansage beginnt der Weg durch das Labyrinth der Zeit.

Immer wieder reißt der Ariadnefad­en der Geschichte. Svolikova, Autorin und bildende Künstlerin, folgt der Historie und schichtet Folien auf Folien, kaum glaubt man, etwas identifizi­ert zu haben, schon liegt eine neue Folie darüber. Trotzdem ist allerlei zu erkennen: Hexenjagd, Gottsuche, Kriege, Grenzziehu­ngen, eine Putzkolonn­e watet im Blut. Bauern beklagen ihr schweres Los. Zeitmangel, Burn-out heißen die Leiden der Gegenwart. Neue und alte Kinder stolpern durch einen ewigen Karneval.

Immer wieder taucht Europa, die Utopie, aus Chaos, Dunkelheit mit Techno-Wummern auf, energisch behauptet Europa, die Frau, ihr Recht auf ein Paradies, „auf die Hoffnung, die niemals ausstirbt. Das ist der Motor der Welt, auch wenn ihr tausend Köpfe abhackt, es wächst immer einer nach.“

Dame Europas Optimismus ist auch skurril. Im rosa Krinolinen­kleid verspricht sie Nahrung für alle, sie hebt den Rock, darunter sind viele Brüste, aber die genährt werden sollen, sind verduftet. Was immer geboten wird, keiner ist je zufrieden. Die Figuren bedrohen ihre Förderin – und doch wollen sie dieses Europa und intonieren die Hymne: schön, schrill. Regisseur Franz-Xaver Mayr hat dieses Drama gewollter oder ungewollte­r Peinlichke­iten belebt – mit einem Ensemble, das gekonnt durch Svolikovas lyrisches Sprachgewü­hle pflügt.

Alina Fritsch – mit Kurzhaar und Russenmütz­e kaum zu erkennen – hat urkomische Szenen etwa als Gelehrter, der das Wort Individuum repetiert bis zum Verhaspeln. Valentin Postlmayer verwandelt sich vom irren König zum Bauern. Sven Dolinski tritt als Regenbogen auf, der sich wehrt, dass er gequetscht wird, weil dann alle Farben zusammenri­nnen und braun werden. Marta Kizy- ma und Marie-Luise Stockinger gestalten köstliche Allegorien. Hilfreich wäre gewesen – wie früher üblich –, den Text im Programmhe­ft abzudrucke­n. Svolikova hat die Rollen bezeichnet, erwähnt werden aber nur die Schauspiel­er. Auch wirkt Mayrs Regie deutlich kulinarisc­her als das Stück selbst.

Immerhin, diese Aufführung nimmt Europa nicht nur als Vorwand, sondern vermittelt Ideen zu diesem vielschich­tigen Begriff. Mögen junge Autoren auch verspielte­r wirken als die älteren, sie haben viel zu erzählen. Mit Ferdinand Schmalz, Thomas Köck, Yade Yasemin Önder (ihr Stück „Kartonage“lief ebenfalls im Kasino) oder Svolikova ist eine neue Generation herangewac­hsen: postmodern, aber listig und humorvoll.

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