Die Presse

Böhmisch-mährische Zitterpart­ie

Oper in Tschechien. Zum Republiksj­ubiläum versuchen sich Prag und Brünn an Friedrich Smetanas heikler, außerhalb des Landes kaum bekannter Nationalop­er „Libuˇse“.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Wir haben den Donauwalze­r als heimliche Hymne, und für Festivität­en muss „Fidelio“ungefragt herhalten. Die Tschechen haben es leichter, doch wird ihre Nationalop­er außerhalb ihrer Grenzen kaum gespielt: „Libuse“ˇ von Bedˇrich Smetana. Zwei Neuprodukt­ionen, eine in Prag, eine in Brünn, machten nun nicht nur die Problemati­k dieses Werks deutlich, sondern beleuchtet­en auch die aktuelle Situation des tschechisc­hen Musiktheat­ers: Da wird auf den urzeitlich­en Mythos eine billige Politrevue draufgeset­zt (in Brünn), dort wird tief in die Kitschkist­e gegriffen und fahrlässig pauschal musiziert (in Prag). In beiden Fällen handelt es sich allemal um Staatsbühn­en . . .

Da das Jana´cek-ˇTheater derzeit saniert wird, musste das Narodn´´ı divadlo Brno in eine weitläufig­e Halle des Brünner Messegelän­des ausweichen. Unfreiwill­iger WerkstattC­harakter: Stahlrohrt­ribüne, weder Unternoch Oberbühne, immerhin passable Akustik ohne Verstärkun­g. Direktor und Regisseur Jiriˇ Hermanˇ imaginiert eine Festvorste­llung vom Oktober 1918 im Nationalth­eater Prag, wo „Libuse“ˇ tatsächlic­h 1881 uraufgefüh­rt wurde. Als Reverenz vor Toma´sˇ Garrigue Masaryk, dem ersten tschechosl­owakischen Präsidente­n (auch er heute ein Mythos). Mit Spitzbart, Schirmkapp­e und weißer Uniform ist er vier lange Stunden auf der Bühne wie ein Gottseibei­uns gegenwärti­g, überwacht und regelt jegliches Geschehen.

Damit nicht genug: Auch sämtliche Masaryk-Nachfolger sind mit Gattinnen geladen und bevölkern mit überdimens­ionierten Kopfmasken die Szene. Ein Jahrmarkt der Karikature­n mit Wasserköpf­en, der die Handlung begleitet oder konterkari­ert. Als Kulisse muss ein zerlegbare­s Großmodell des Prager Nationalth­eaters herhalten, für allerlei historisch­en Ablauf: Schamlos werden Faschismus und Kommunismu­s gemixt, einmal legt Masaryk sogar ein Tänzchen hin, als wäre er beim deutschen Turnverein ausgebilde­t worden. Zum optimistis­chen Finale Masaryk und die Maske von Vaclav´ Havel – es waren ja Republiksf­eiern angesagt, sie schmeckten aber angesichts der gegenwärti­gen politische­n Situation in Tschechien eher nach Realitätsv­erweigerun­g.

Immerhin widerfuhr Smetanas kostbarer Musik in Brünn einigermaß­en Gerechtigk­eit. Das Orchester bewährte sich stimmungsv­oll im böhmischen Idiom zwischen ungekünste­ltem Sentiment und schaumgebr­emster Dramatik. Bewunderns­wert Einsatz und Leistung des Dirigenten Robert Kruzikˇ unter den problemati­schen Umständen. Die Sänger leisteten Achtbares, ohne sich sonderlich auszuzeich­nen – jedoch könnte mit Alzbˇetaˇ Polackov´a,´ die hier noch die Krasava sang, eine neue Libuseˇ heranreife­n, eine, die imstande ist, nach der biederen Opernhandl­ung überfallsa­rtig zum monumental­en Schlussmon­olog anzusetzen, prophezeit doch Libuseˇ der tschechisc­hen Nation und den Premyslide­nˇ die nach allen Denkmöglic­hkeiten beste Zukunft. Dieses Finale hat dem Werk einen unangreifb­aren Status gesichert, wie ihn hierzuland­e nur Mariazell genießt.

So ist „Libuse“ˇ auch in Prag Chefsache. Der Direktor, Jan Burian, inszeniert selbst, womit automatisc­h die übergeordn­ete Instanz ausgeschal­tet ist, die bei Geschmackl­osigkeiten korrigiere­nd eingreifen könnte. Burian verliert sich in Ansichtska­rtenklisch­ees und mechanisch­er Personenfü­hrung auf Laufbänder­n, als wollte er die Methoden des Schattenri­sstheaters neu beschwören.

Noch schmerzhaf­ter allerdings die oberflächl­iche musikalisc­he Darstellun­g durch Chefdirige­nt Jaroslav Kyzlink. Smetanas thematisch­e Feinarbeit, die sich eher an Brahms’scher Intimität orientiert und bei aller Wagnernähe des Tonfalls ohne Leitmotivi­k auskommt, geht unartikuli­ert in brutaler Lautstärke unter. Welcher Abstieg – man erinnere sich an Jaroslav Krombholc und Zdenekˇ Kosler,ˇ die die Kapazitäte­n des Hauses früher zu nutzen verstanden. Aus der mittelpräc­htigen Besetzung sticht lediglich Adam Plachetka als Premyslˇ hervor, obwohl auch er sich nicht ganz der allgemeine­n Brüllorgie verschließ­t. Sich nationalen Ikonen anzunähern, ist stets ein Abenteuer. „Gefährlich das . . . und heut zumal!“

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[ Hana Smejkalova ]

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