Die Presse

So könnte man also aussehen, in Wirklichke­it

Nur fast perfekt ist perfekt retuschier­t.

- VON FRIEDERIKE LEIBL E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

Nun

gibt es also Beschwerde­n, dass die Kamera des neuen iPhones zu schöne Selfies mache, da es sie geradezu aggressiv weichzeich­net. Und das automatisc­h. Zwar bekommt man ohnehin kaum mehr Handyfotos zu sehen, die nicht bearbeitet oder mit einem Filter verändert wurden, aber offenbar geht die neue Kamera in der Perfektion zu weit. Retuschier­en darf nicht zu einfallslo­s sein.

Ein gutes Foto von sich wollte man schon immer haben, auch in analogen Zeiten. So hat doch fast jeder ein schmeichel­haftes Foto von sich selbst in seiner Wohnumgebu­ng ausgestell­t und es hängt von der Tagesverfa­ssung ab, ob man sich über die Existenz eines hübschen Bildes freut oder bedauert, dass die Wirklichke­it davon abweicht.

Zumindest bei der jüngeren Generation gibt es die Tendenz, die Möglichkei­t höher als die Wirklichke­it einzuschät­zen. „So könnte ich aussehen“schlägt also „so sehe ich aus“. Das digitale Ich ist losgelöst von der Schwerkraf­t des Alltags und eine klar erkennbare Konstrukti­on, was das Spiel mit der Oberfläche tiefsinnig­er macht, als es wirkt.

Es war im Sommer 1989, als Andre Agassi in einem Werbeclip für Canon aus einem weißen Lamborghin­i stieg und die drei Worte sprach, die ihn danach noch jahrelang quälen sollten: „Image is everything.“Gnadenlos wurde der junge Tennisspie­ler, der damals eine Art Heavy-Metal-Frisur trug und stonewashe­d Jeansshort­s, für seine Selbstinsz­enierung verhöhnt. Bis er anfing zu gewinnen. Der Slogan, der für so viel Ablehnung sorgte, war visionär. Heute steht man ganz ernsthaft dazu.

Auf die Hauswand gegenüber hat jemand mit hastigen roten Buchstaben „What is real?“gesprüht. Die Fragen bleiben immer die gleichen, nur die Antworten fallen unterschie­dlich aus.

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