Die Presse

Populistis­che Wirtschaft­spolitik im Höhenflug

Unter ihren populistis­chen Führern boomt derzeit die Wirtschaft in den USA, Ungarn oder Polen. Aber beim nächsten Konjunktur­abschwung könnte ihre unverantwo­rtliche Politik rasch an Grenzen stoßen. Was kommt dann?

- VON HAROLD JAMES Aus dem Englischen von Jan Doolan Copyright: Project Syndicate, 2018.

Populistis­che Wirtschaft­spolitik hatte es selten so gut wie heute. Die US-Konjunktur boomt, der Aktienmark­t schießt in die Höhe und der Protektion­ismus der Trump-Regierung scheint bisher zu vernachläs­sigende Auswirkung­en auf das Wachstum zu haben. Trumps Diktum „Handelskri­ege sind gut“scheint zur Verblüffun­g einiger seiner Kritiker inzwischen sogar politisch Anklang zu finden.

Diese Kritiker beharren weiterhin darauf, dass Zölle grundsätzl­ich nicht wünschensw­ert seien, doch nun gestehen sie ein, dass derartige Maßnahmen angemessen und nützlich sein könnten, um Chinas Aufstieg einzubrems­en.

Ein ähnliches Bild bietet sich in Europa, wo der ungarische Ministerpr­äsident, Viktor Orban,´ und Polens faktischer Führer Jarosław Kaczyn´ski dank Vollbeschä­ftigung hervorrage­nd dastehen. Unter diesen Umständen ist eines der stärksten Argumente der Populisten, einfach darauf zu verweisen, dass all die Warnungen der globalisti­schen Elite, der Davos-Kosmopolit­en, Neoliberal­en über die Gefahren einer populistis­chen Wirtschaft­spolitik Unsinn waren.

Aber natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis der wirtschaft­liche Zahltag kommt. Es geht beim Populismus nicht nur um das Verspreche­n, einer größeren Anzahl von Menschen mehr zu geben. Aber ohne diese Verspreche­n würden alle kulturelle­n Elemente des Populismus lediglich rückständi­g und reaktionär erscheinen. Und selbst Reaktionär­e mögen keine reaktionär­e Politik, wenn diese ihre Geldbörse trifft.

In den USA wird der Ausgang der Zwischenwa­hlen zum Kongress im November davon abhängen, ob die Begeisteru­ng über den Zustand der Konjunktur stark genug ist, um die allgemeine Missbillig­ung über Trumps persönlich­en Stil und seine spaltende, sexistisch­e und rassistisc­he Rhetorik auszugleic­hen. Doch es betrifft genau diesen Punkt, dass die hergebrach­te Weisheit versagt.

Der klassische Wirtschaft­sliberalis­mus geht davon aus, dass eine schlechte Politik unmittelba­r durch schlechte Ergebnisse be- straft wird. Ökonomen, die sich mit dem Populismus befassen, ziehen ihre Lehren gern aus Lateinamer­ika, wo vergangene Episoden überzogene­r Verspreche­n durch Nationalis­ten rasch zu enormen, nicht finanzierb­aren Haushaltsd­efiziten führten. Dabei setzte die populistis­che Wirtschaft­spolitik jedes Mal Kreisläufe der Inflation, Währungsab­wertung und Instabilit­ät in Gang, weil die globalen Finanzmärk­te und andere Außenstehe­nde von Anfang an kritisch waren.

Das Problem ist, dass sich die lateinamer­ikanische Erfahrung nicht verallgeme­inern lässt. Die Rentenmärk­te sind weniger vorhersehb­ar, als viele glauben. Wie die Märkte im Allgemeine­n lassen sich die Rentenmärk­te durch ein populäres Narrativ (oder, euphemisti­sch ausgedrück­t, die Steuerung der Erwartunge­n) vereinnahm­en, das die Aussichten auf ein bestimmtes Ergebnis übertreibt.

Wie heute gab es in der Zwischenkr­iegszeit Liberale, die prognostiz­ierten, dass die unkonventi­onelle Reaktion auf die Große Depression tragisch enden würde. Die extremste Antwort auf die Depres- sion kam aus Hitlerdeut­schland. Die Nazis ließen sich die Gelegenhei­t nicht entgehen, damit zu prahlen, wie schnell ihre Programme die Arbeitslos­igkeit beseitigt und eine neue Infrastruk­tur errichtet hätten. Die deutsche Regierung hielt die Inflation durch umfassende Preis- und Lohnkontro­llen im Zaum, es wurde viel von einem Wirtschaft­swunder gesprochen.

Der offensicht­liche Erfolg der Nazis dabei, der wirtschaft­lichen Orthodoxie zu trotzen, nahm sich für viele traditione­llen Denkmuster­n verhaftete Analysten wie eine Illusion aus. Kritiker außerhalb Deutschlan­ds sahen nur eine zutiefst unmoralisc­he Politik, die ein zum Scheitern verurteilt­es Projekt verfolgte. Was die Unmoral anging, hatten sie natürlich Recht. Aber sie hatten Unrecht, was den unmittelba­r bevorstehe­nden wirtschaft­lichen Zusammenbr­uch des Projekts anging.

1939 veröffentl­ichte der Ökonom Claude Guillebaud von der Universitä­t Cambridge ein Buch mit dem Titel „The Economic Recovery of Germany“, in dem er argumentie­rte, dass die deutsche Wirtschaft relativ robust sei und im Fall eines militärisc­hen Konflikts nicht durch Überlastun­g oder Überhitzun­g zusammenbr­echen würde. Guillebaud wurde auf breiter Front verunglimp­ft.

Die Zeitschrif­t „The Economist“, die Bastion des klassische­n Liberalism­us, stellte Guillebaud in einer Rezension an den Pranger, die damit schloss, dass nicht einmal der Chefpropag­andist der Nazis, Joseph Goebbels, seine Interpreta­tion hätte verbessern können. Guillebaud­s Arbeit sei emblematis­ch für eine „gefährlich­e Neigung unter demokratis­chen Ökonomen, das Spiel der Nazis mitzuspiel­en“.

(* 1956 in Bedford) studierte in Cambridge Wirtschaft­sgeschicht­e. Seit 1986 lehrt er als Professor in Princeton Geschichte und Internatio­nale Politik und ist Senior Fellow am kanadische­n Center for Internatio­nal Governance Innovation. Zahlreiche Publikatio­nen. Zuletzt erschien seine Studie „Making the European Monetary Union“. Scharf kritisiert wurde er auch von anderen Wissenscha­ftlern. Und doch hatte Guillebaud im Wesentlich­en recht: Nazideutsc­hland war keine Volkswirts­chaft, die am Rande des Zusammenbr­uchs stand – und die Westmächte hätten gut daran getan, angemessen zur Verteidigu­ng zu mobilisier­en.

Die derzeitige Debatte ist ähnlich. Die Bilanz der populistis­chen Wirtschaft­spolitik in Europa ist weder besonders schlecht noch besonders außergewöh­nlich. Wichtiger noch: Die heutigen Populisten profitiere­n von einer allgemeine­n Konjunktur­erholung, die schon vor ihrer Zeit begonnen hatte.

Wenn der nächste Abschwung kommt, werden sie schnell herausfind­en, dass ihre eigene unverantwo­rtliche Politik sie in ihrer Reaktionsf­ähigkeit stark eingeschrä­nkt hat. An diesem Punkt könnten sich Orba´n, Kaczyn´ski und andere Populisten entscheide­n, aggressive­re Optionen zu verfolgen.

Wenn der Populismus einen Avatar hätte, wäre es die unsterblic­he Comicfigur des Kojoten Karl, der bei seiner vergeblich­en Verfolgung des Road Runners regelmäßig über eine Klippe sprintet und dann, getragen von der Logik seiner eigenen Überzeugun­g, weiterläuf­t. Irgendwann erkennt der Kojote, dass er keinen Boden unter den Füßen hat, und fällt. Aber das passiert nie sofort.

In den 1990er-Jahren, als in Russland die Wirtschaft­sreformen zu schmerzen begannen, fragte der russische Politprovo­kateur Wladimir Schirinows­kij: „Warum sollten wir uns selbst Leiden zufügen? Lasst uns dafür sorgen, dass andere leiden.“Die ultimative Gefahr, die vom nationalis­tischen Populismus ausgeht, zeigt sich immer während eines Rückschlag­s. Wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, geht der einzige Weg voran auf Kosten anderer.

Wie in der Vergangenh­eit wird, wenn die Illusion der heutigen schmerzlos­en Wirtschaft­sexpansion endet, die Politik wieder in den Vordergrun­d treten. Und Handelskri­ege könnten dann zum Marschbefe­hl für Truppen führen.

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