Populistische Wirtschaftspolitik im Höhenflug
Unter ihren populistischen Führern boomt derzeit die Wirtschaft in den USA, Ungarn oder Polen. Aber beim nächsten Konjunkturabschwung könnte ihre unverantwortliche Politik rasch an Grenzen stoßen. Was kommt dann?
Populistische Wirtschaftspolitik hatte es selten so gut wie heute. Die US-Konjunktur boomt, der Aktienmarkt schießt in die Höhe und der Protektionismus der Trump-Regierung scheint bisher zu vernachlässigende Auswirkungen auf das Wachstum zu haben. Trumps Diktum „Handelskriege sind gut“scheint zur Verblüffung einiger seiner Kritiker inzwischen sogar politisch Anklang zu finden.
Diese Kritiker beharren weiterhin darauf, dass Zölle grundsätzlich nicht wünschenswert seien, doch nun gestehen sie ein, dass derartige Maßnahmen angemessen und nützlich sein könnten, um Chinas Aufstieg einzubremsen.
Ein ähnliches Bild bietet sich in Europa, wo der ungarische Ministerpräsident, Viktor Orban,´ und Polens faktischer Führer Jarosław Kaczyn´ski dank Vollbeschäftigung hervorragend dastehen. Unter diesen Umständen ist eines der stärksten Argumente der Populisten, einfach darauf zu verweisen, dass all die Warnungen der globalistischen Elite, der Davos-Kosmopoliten, Neoliberalen über die Gefahren einer populistischen Wirtschaftspolitik Unsinn waren.
Aber natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis der wirtschaftliche Zahltag kommt. Es geht beim Populismus nicht nur um das Versprechen, einer größeren Anzahl von Menschen mehr zu geben. Aber ohne diese Versprechen würden alle kulturellen Elemente des Populismus lediglich rückständig und reaktionär erscheinen. Und selbst Reaktionäre mögen keine reaktionäre Politik, wenn diese ihre Geldbörse trifft.
In den USA wird der Ausgang der Zwischenwahlen zum Kongress im November davon abhängen, ob die Begeisterung über den Zustand der Konjunktur stark genug ist, um die allgemeine Missbilligung über Trumps persönlichen Stil und seine spaltende, sexistische und rassistische Rhetorik auszugleichen. Doch es betrifft genau diesen Punkt, dass die hergebrachte Weisheit versagt.
Der klassische Wirtschaftsliberalismus geht davon aus, dass eine schlechte Politik unmittelbar durch schlechte Ergebnisse be- straft wird. Ökonomen, die sich mit dem Populismus befassen, ziehen ihre Lehren gern aus Lateinamerika, wo vergangene Episoden überzogener Versprechen durch Nationalisten rasch zu enormen, nicht finanzierbaren Haushaltsdefiziten führten. Dabei setzte die populistische Wirtschaftspolitik jedes Mal Kreisläufe der Inflation, Währungsabwertung und Instabilität in Gang, weil die globalen Finanzmärkte und andere Außenstehende von Anfang an kritisch waren.
Das Problem ist, dass sich die lateinamerikanische Erfahrung nicht verallgemeinern lässt. Die Rentenmärkte sind weniger vorhersehbar, als viele glauben. Wie die Märkte im Allgemeinen lassen sich die Rentenmärkte durch ein populäres Narrativ (oder, euphemistisch ausgedrückt, die Steuerung der Erwartungen) vereinnahmen, das die Aussichten auf ein bestimmtes Ergebnis übertreibt.
Wie heute gab es in der Zwischenkriegszeit Liberale, die prognostizierten, dass die unkonventionelle Reaktion auf die Große Depression tragisch enden würde. Die extremste Antwort auf die Depres- sion kam aus Hitlerdeutschland. Die Nazis ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, damit zu prahlen, wie schnell ihre Programme die Arbeitslosigkeit beseitigt und eine neue Infrastruktur errichtet hätten. Die deutsche Regierung hielt die Inflation durch umfassende Preis- und Lohnkontrollen im Zaum, es wurde viel von einem Wirtschaftswunder gesprochen.
Der offensichtliche Erfolg der Nazis dabei, der wirtschaftlichen Orthodoxie zu trotzen, nahm sich für viele traditionellen Denkmustern verhaftete Analysten wie eine Illusion aus. Kritiker außerhalb Deutschlands sahen nur eine zutiefst unmoralische Politik, die ein zum Scheitern verurteiltes Projekt verfolgte. Was die Unmoral anging, hatten sie natürlich Recht. Aber sie hatten Unrecht, was den unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Projekts anging.
1939 veröffentlichte der Ökonom Claude Guillebaud von der Universität Cambridge ein Buch mit dem Titel „The Economic Recovery of Germany“, in dem er argumentierte, dass die deutsche Wirtschaft relativ robust sei und im Fall eines militärischen Konflikts nicht durch Überlastung oder Überhitzung zusammenbrechen würde. Guillebaud wurde auf breiter Front verunglimpft.
Die Zeitschrift „The Economist“, die Bastion des klassischen Liberalismus, stellte Guillebaud in einer Rezension an den Pranger, die damit schloss, dass nicht einmal der Chefpropagandist der Nazis, Joseph Goebbels, seine Interpretation hätte verbessern können. Guillebauds Arbeit sei emblematisch für eine „gefährliche Neigung unter demokratischen Ökonomen, das Spiel der Nazis mitzuspielen“.
(* 1956 in Bedford) studierte in Cambridge Wirtschaftsgeschichte. Seit 1986 lehrt er als Professor in Princeton Geschichte und Internationale Politik und ist Senior Fellow am kanadischen Center for International Governance Innovation. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt erschien seine Studie „Making the European Monetary Union“. Scharf kritisiert wurde er auch von anderen Wissenschaftlern. Und doch hatte Guillebaud im Wesentlichen recht: Nazideutschland war keine Volkswirtschaft, die am Rande des Zusammenbruchs stand – und die Westmächte hätten gut daran getan, angemessen zur Verteidigung zu mobilisieren.
Die derzeitige Debatte ist ähnlich. Die Bilanz der populistischen Wirtschaftspolitik in Europa ist weder besonders schlecht noch besonders außergewöhnlich. Wichtiger noch: Die heutigen Populisten profitieren von einer allgemeinen Konjunkturerholung, die schon vor ihrer Zeit begonnen hatte.
Wenn der nächste Abschwung kommt, werden sie schnell herausfinden, dass ihre eigene unverantwortliche Politik sie in ihrer Reaktionsfähigkeit stark eingeschränkt hat. An diesem Punkt könnten sich Orba´n, Kaczyn´ski und andere Populisten entscheiden, aggressivere Optionen zu verfolgen.
Wenn der Populismus einen Avatar hätte, wäre es die unsterbliche Comicfigur des Kojoten Karl, der bei seiner vergeblichen Verfolgung des Road Runners regelmäßig über eine Klippe sprintet und dann, getragen von der Logik seiner eigenen Überzeugung, weiterläuft. Irgendwann erkennt der Kojote, dass er keinen Boden unter den Füßen hat, und fällt. Aber das passiert nie sofort.
In den 1990er-Jahren, als in Russland die Wirtschaftsreformen zu schmerzen begannen, fragte der russische Politprovokateur Wladimir Schirinowskij: „Warum sollten wir uns selbst Leiden zufügen? Lasst uns dafür sorgen, dass andere leiden.“Die ultimative Gefahr, die vom nationalistischen Populismus ausgeht, zeigt sich immer während eines Rückschlags. Wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, geht der einzige Weg voran auf Kosten anderer.
Wie in der Vergangenheit wird, wenn die Illusion der heutigen schmerzlosen Wirtschaftsexpansion endet, die Politik wieder in den Vordergrund treten. Und Handelskriege könnten dann zum Marschbefehl für Truppen führen.