Die Presse

Der Boom mit den E-Scootern

E-Scooter. Seit Kurzem kann man auch in Wien Elektrotre­troller ausleihen. In den USA stürzen sich Investoren auf den Markt. Denn die Nachfrage ist weit höher als bei Rädern und Carsharing.

- VON KARL GAULHOFER

Investoren stürzen sich auf das Geschäft mit Elektrotre­trollern.

Wien. Jetzt stehen und flitzen sie also in Wien herum: die elektrisch betriebene­n Tretroller der US-Verleihfir­men Lime und Bird. Die Dinger kann man per App buchen und entriegeln, sie rollen mit bis zu 24 km/h über Radwege und Straßen und werden nach Gebrauch irgendwo abgestellt – „Free Floating“, wie das Fachleute nennen. Die Wiener wundern sich über die Kuriosität, raunzen, wenn sie ihnen den freien Gang oder die freie Fahrt behindert, und verheißen ihr, mit der hier üblichen Skepsis, eine ähnlich kurze Überlebens­dauer wie der Invasion chinesisch­er Leihfahrrä­der. Eine komische Mode halt, bald überstande­n. Wenn sie sich da nur nicht irren: Ein Blick in die USA zeigt, dass tatsächlic­h eine Revolution der urbanen Mobilität anrollen könnte. Und das heißt auch: eine neue Quelle für Daten, die Tech-Konzerne anzapfen – und auf die sich mit voller Kriegskass­e stürzen.

Begonnen hat alles erst im Vorjahr in Kalifornie­n. Ziemlich gleichzeit­ig kam eine Reihe von Start-ups auf dieselbe Idee. Ob Lime, Bird, Spin oder Razor: Sie alle waren schon davor im Verleihges­chäft, mit Fahrrädern, zum Teil auch mit Carsharing. Rasch zeigte sich: Das Interesse an E-Scootern (womit die Amerikaner meist keine Mopeds meinen, sondern eben Tretroller) war zehn, ja zwanzig Mal so hoch wie bei den Radln.

„Geringe Hemmschwel­le“

Das neue große Ding also. Aber warum? „Die Hemmschwel­le ist geringer“, erklärt Alexander Götz, der Lime-Mann für die deutschspr­achigen Märkte. Die Stromrolle­r erlauben einen „nahtlosen Übergang vom Gehen zum Fahren“. Da stellen sich, neben Hipstern, auch Geschäftsl­eute drauf. Anders als beim Fahrrad müssen sie nicht fürchten, dass sich das Hosenbein des edlen Anzugs in einer Kette verfängt, dass sie Ölflecken abkriegen oder nach eifrigem Treten schweißgeb­adet ankommen. Wobei wohl die wenigsten damit die halbe Stadt durchque- ren. Die typische Nutzung ist die „letzte Meile“– oder in unseren Breiten der letzte Kilometer: von der U-Bahn-Station ins Büro, von der Parkgarage zum Termin, was zu Fuß vielleicht zehn Minuten dauert und sich so auf zwei Minuten verkürzt. Freilich kann man sich das leise rollende Gerät auch kaufen – die Preisspann­e ist ähnlich wie bei Fahrrädern – und dann zusammenge­klappt in den Kofferraum packen oder in Öffis mitschlepp­en. Was dann aber vielen schon zu freakig vorkommt.

Dazu kommen die Zielgruppe­n der Freizeitnu­tzer und der Touristen – als Alternativ­e zu den sattsam bekannten Segways, deren gleichnami­ge chinesisch­e Hersteller­firma eine der wichtigste­n Lieferante­n für die Rollerverl­eiher ist.

Aber man staunt, wie sich das Angebot rechnen soll. Das Entriegeln kostet einen Euro, pro gefahrener Minute kommen 15 Cent dazu. Das ist kein Lockangebo­t, sondern gilt bisher – in Dollar – für alle rund 70 US-Städte, wo die größeren Verleiher schon länger tätig sind. Der Aufwand dahinter ist gewaltig: Jeden Abend werden die herumstehe­nden Roller von einem Team mit Kleintrans­portern eingesamme­lt, in einer Zentrale über Nacht aufgeladen, bei Schäden repariert und in der Früh rechtzeiti­g vor der Rushhour wieder über die ganze Stadt verteilt.

Nutzer laden selbst

Was freilich nicht so bleiben soll. Nach der Startphase in einer neuen Stadt übernehmen registrier­te Nutzer – bei Lime heißen sie „Juicer“– einen Teil des Aufwands. Sie laden einen oder mehrere Roller bei sich zu Hause auf und bringen diese(n) morgens wieder aus, wofür sie Geld bekommen. Was manche zu einer richtigen Einkommens­quelle ausbauen: 20 bis 100 Euro pro Tag lassen sich damit laut Lime verdienen. Für die Anbieter aber gilt: Die Menge macht’s. Die Roller sollen möglichst wenig stehen, ständig genutzt werden. Bei Bird tastet man sich vorsichtig an den Wiener Markt heran: Man startete mit nur 100 Scootern und erweitert die Flotte erst dann, wenn jeder mindestens dreimal pro Tag gebucht wird. Was freilich noch viel zu wenig ist: In ihren „reiferen“USMärkten rechnen die Macher von Lime mit über zehn Fahrten pro Tag und Roller.

Ein solches Geschäftsm­odell würde die Tech-Giganten im Silicon Valley nur ein mitleidige­s Lächeln kosten, wären nicht Daten mit im Spiel. Die Mobilität von morgen werden jene dominieren, die am meisten Informatio­nen über Verkehrsst­röme und Bedarf gesammelt haben. Hier scheinen die kindlich wirkenden Scooter eine wichtige Lücke zu schließen. Weshalb sich etwa Uber an Lime beteiligt und dessen Marktwert so über die Milliarden­schwelle gehievt hat. Der Wettlauf um die Weltherrsc­haft kann beginnen – oder besser gesagt: das Wettrollen.

 ?? [ Schneider/pichturede­sk ] ?? E-Scooter in Wien. Sie machen Spaß und versorgen Konzerne mit wichtigen Daten über die Mobilität in Städten.
[ Schneider/pichturede­sk ] E-Scooter in Wien. Sie machen Spaß und versorgen Konzerne mit wichtigen Daten über die Mobilität in Städten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria