Heldinnen in Ruinen – nur ein Lügenmythos?
Trümmerfrauen. Die FPÖ erinnert mit einem Denkmal an die Frauen von 1945, die den Schutt in Wien wegräumten und Aufbauarbeit leisteten. Ist das eine längst fällige Würdigung? Warum gibt es Kritik und Distanz? Eine Bestandsaufnahme.
Die Diskussion darüber, wie sehr unser Bild von den Trümmerfrauen zu Kriegsende 1945 mythisch überhöht oder nahe an der Realität ist, erscheint fast frivol, wenn man bedenkt, was Frauen zu Kriegsende durchlitten haben. Ihre Arbeit war ohne Übertreibung und Heroisierung Überlebensarbeit. Sie sicherten in ausgebombten Häusern das Überleben ihrer Familien, kümmerten sich um Ernährung, Wohnung, Kleidung, arbeiteten überall dort, wo die Männer fehlten und schlugen sich durch bei Hamsterfahrten und auf dem Schwarzmarkt.
Die Wandlung der innerfamiliären Entscheidungskompetenzen durch die Abwesenheit der Männer und die neue Selbstständigkeit brachten ihnen nicht Emanzipation, sondern Überlastung, einen enormen Arbeitsaufwand, oft auch körperliche und seelische Überanstrengung. Man ersehnte die Rückkehr des Ehemannes, man brauchte ihn zur Entlastung. Umso größer die Enttäuschung, wenn sich dieser nur schwer im Nachkriegsalltag zurechtfand und für die Frau keine Hilfe, sondern Belastung war.
Dass sie dann auch noch den Schutt wegräumten, den die Bombenangriffe hinterlassen hatten, ist in diesem unvorstellbaren Arbeitspensum nur ein Teil. Eine große Zahl von Steineklopferinnen, wie in manchen deutschen Städten, gab es in Österreich nur kurzfristig, bald übernahm diese Arbeit das professionelle Handwerk, räumlich waren nur die bombengeschädigten Gebiete in Ostösterreich betroffen. Doch die Frauen mit ihren Kopftüchern und in ihren Schürzkitteln wurden fotografiert, so entstand das visuelle Konstrukt von der „Trümmerfrau“. Oft waren sie auf den Fotos auch nicht zu unterscheiden von denjenigen, die inmitten des Schutts nach Brauchbarem wie Brennmaterial suchten.
Die Arbeit, die hier geleistet wurde, war nicht freiwillig. Wiederaufbauarbeit war verpflichtend. Man war auch auf die Lebensmittelzuteilung angewiesen. Wenn in der NS-Zeit etwas gut funktioniert hatte, war es das Kontrollsystem, es lebte noch fort. Arbeitsverweigerer wurden aufgestöbert. Es kam auch zu einem Negativ-Image dieser Frauen: NS-Parteigenossinnen und Ehefrauen von Funktionären wurden zwangsweise zum Schuttwegräumen herangezogen, nur selten war von einer freiwilligen Teilnahme an der harten Arbeit die Rede.
Die Historikerin Leonie Treber wies nach, wie durch eine Medienkampagne damals das Bild der schuld- wie selbstlosen Trümmerfrau konstruiert wurde, um diese Arbeit vom Stigma der Zwangsarbeit zu befreien, das sie durch den Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen im NSRegime besaß. Durch das Bild der verantwortungsbewussten Frauen sollte die Bevölkerung zu einer stärkeren Mitarbeit motiviert werden. Imagearbeit also und Stereotypenbildung.
Zugleich passierte das, was oft passiert, wenn Frauen ein großes Arbeitspensum vollbringen: Es wird idealisiert und verklärt, als eine wundersame Naturressource und Liebestat begriffen, ohne ernsthafte ökonomische Bewertung und gesellschaftsstrukturelle Folgen. Dann gerieten die Trümmerfrauen wieder in Vergessenheit, eine gesellschaftliche Machtbasis aufzubauen gelang den Heldinnen nicht, in den amtlichen Quellen scheint ihre Leistung nicht auf.
In den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts schlug das Pendel um: Aus den „Trümmerfrauen“von 1945 wurden Steine klopfenden Ikonen und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, Symbole weiblicher Stärke und von Durchhaltewillen. Was war geschehen? Die Frauenbewegung betrieb Mythenproduktion, stellte neue Identifikationsfiguren vor. Vertreterinnen der feministischen Historikerzunft schrieben Deutungen der Fünfzigerjahre ungebrochen fort: Das Bedürfnis nach Heldinnen machte aus der Nachkriegszeit einen Ort der Fantasie, wo sich ein dankbares Publikum weibliche Macht in malerischen Ruinen ausmalen konnte.
Doch es ging nicht nur um moralische Rehabilitation einer Frauengeneration, es ging auch um finanzielle Ansprüche, Deutschland diskutierte die Gleichsetzung von Familien- mit Erwerbsarbeit und die rentenrechtlichen Ansprüche der Frauen, die vor 1921 geboren worden waren und denen Altersarmut drohte. Demonstrantinnen zogen in Kittel und Schürze am „Tag der Trümmerfrauen“vor den Bundestag. 1987 erschien erstmals ein Buch mit Erinnerungen mit dem Titel „Trümmerfrauen – Biografien einer betrogenen Generation“. Auch Österreich entschloss sich 2005 zu einer Einmalprämie an noch lebende Frauen.
Da es um finanzielle Ansprüche ging, popularisierte sich der Begriff sehr rasch. Die „Trümmerfrau“wurde zur Galionsfigur der Jahre nach 1945, der Begriff stark ausgeweitet, plötzlich fielen viele da hinein, Ausgebombte, Evakuierte, Soldatenwitwen, Flüchtlinge. Unbeachtet schlummerten in den Fotoarchiven die Bilder von professioneller Trümmerräumung durch Baumaschinen. Sie waren nicht spannend genug. Wenig beachtet blieben auch die Fotos, auf denen Trümmerfrauen ein durchgestrichenes Hakenkreuz trugen, sie waren zuvor Mitglieder in NS-Organisationen gewesen und wurden daher zwangsweise eingesetzt.
Die Dekonstruktion der Ikonen erfolgte zuletzt durch eine neue Generation von Historikerinnen. Sie stellten die Frage: Räumten die Frauen nur den Schutt der Bomben weg oder auch den Schutt des Dritten Reiches? Gemeint ist die Verdrängung der Vergangenheit zugunsten des Wiederaufbaumythos: „Zurückschauen war ja gar nicht schön. Und wenn man nicht nach vorn geschaut hätte, dann wär ja der Wiederaufbau gar nicht so vorangegangen. Da hätte man sich ja selbst Ketten angelegt“(Frau F., geboren 1928). Als man in Österreich begann, am allgemeinen Opfermythos zu kratzen, wurde auch das Image der Trümmerfrauen hinterfragt.
Nun wurde in der Forschung der Begriff Trümmerfrauen in Anführungszeichen gesetzt, um die Ikonisierung/Heroisierung zu problematisieren. Die große Mehrheit der Österreicherinnen habe sich nicht gegen das NS-Regime gestellt, sich dann nach 1945 auf die Position der unpolitischen Frauen zurückgezogen und sich auf diese Weise der Verantwortung entzogen. Als „Opfer“werden nur die bezeichnet, die aufgrund ihrer rassischen Herkunft, politischen Einstellung, körperlichen Beeinträchtigung oder sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Dass die Trümmerfrauen auch Opfer von Gewalt und Kriegsgeschehnissen wurden und mit traumatischen Erlebnissen konfrontiert waren, steht dabei außer Zweifel, doch in diese Kategorie gehören sie nicht.