Eiweißmoleküle vom Reißbrett
Forscht an künstlichen Proteinstrukturen. Ein Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) gibt seiner Arbeit Auftrieb.
Gustav Oberdorfer findet, dass er ein Glückspilz ist. Stets gab es Menschen auf seinem Weg, die ihn inspiriert und gefördert haben. „Ohne das geht es nicht“, ist der 36-jährige Biochemiker überzeugt. Schon in der Schule habe sich sein Chemielehrer grundsätzlich viel Zeit für über den Lehrplan hinausgehende Fragen genommen. Und er habe miterlebt, wie sich sein Vater, ein Biologielehrer, sehr methodisch mit seinem Hobby Imkerei beschäftigt hat. „Ich glaube, das hat meinen Zugang zu naturwissenschaftlichem Arbeiten beeinflusst.“Für Forschung interessierte er sich früh. „Ich wollte immer wissen, wie die Dinge zusammenhängen“, so der gebürtige Grazer. „Außerdem liebe ich das Aha-Erlebnis, wenn man auf etwas draufkommt.“
Oberdorfer hat an der Uni Graz Chemie studiert. Nach dem Magister in Strukturbiologie wurde er ins damals neue Doktoratskolleg Molekulare Enzymologie aufgenommen, eines der ersten hochkarätigen fächerübergreifenden Doktoratsprogramme des Wissenschaftsfonds FWF. „Eine großartige Zeit, in der ich mich frei mit einem Thema beschäftigen konnte.“Obwohl er seine Dissertation nicht zu seinem heutigen Fachgebiet, dem Proteindesign, verfasst hat, habe ihn sein Doktorvater beim Wechsel in diese Richtung sehr unterstützt. „Es ist ein unglaublich aufregendes neues Feld innerhalb der molekularen Biowissenschaften, in dem sich in den letzten sechs Jahren enorm viel getan hat.“
Proteine, also Eiweißmoleküle, sind ein Grundbaustein der Zellen, unerlässlich für fast alle lebenswichtigen Prozesse. Die große Frage beim Proteindesign ist es, ob man ihre Eigenschaften bereits gut genug versteht, um sie quasi auf dem Reißbrett zu entwerfen, am Computer zu berechnen und dann experimentell zu bauen und zu testen. Es sieht ganz danach aus. Oberdorfer vergleicht den Status quo mit dem Sprung von der Steinzeit, in der sich die Menschen ihre Werkzeuge in der Natur zusammengesucht haben, zum Metallzeitalter, in dem sie diese schon gezielt hergestellt haben. „Ein Jahrhundert lang haben sich Wissenschaftler den Kopf über natürlich vorkommende Proteine zerbrochen“, sagt er. „Jetzt wissen wir so viel darüber, dass wir anfangen können, selbst welche zu designen.“Für die Biotechnologie, die chemische Industrie oder die Medizin sei das wichtig. Denn für nanotechnologische Anwendungen seien in der Natur vorkommende Proteine oft zu empfindlich. „Und dass man für die Erzeugung nicht viel thermische Energie aufwenden muss und keine giftigen Abfälle anfallen, ist ein Riesenvorteil.“
Der Knackpunkt bestehe im sogenannten Proteinfaltungsproblem. Proteine sind aus Aminosäuren aufgebaut, die eine dreidimensionale Struktur bilden; die Abfolge der Aminosäuren auf einer Kette nennt man Aminosäuresequenz. „Diese hat so viele Möglichkeiten, sich in eine bestimmte Struktur zu falten, dass selbst kleine Proteine länger als das Alter unseres Universums brauchen würden, um alle einnehmbaren Molekülanordnungen auszuloten.“Mit Computerunterstützung können sich jedoch Wege eröffnen, Proteine mit maßgeschneiderter Struktur für spezifische Aufgaben im Labor herzustellen.
Vorangebracht haben Oberdorfer auch die vier Jahre, die er als Postdoc am Institut für Proteindesign der University of Washington in Seattle, USA, gearbeitet hat. „Es ist wahrscheinlich das bekannteste in der Proteindesignforschung.“2017 kehrte er an die Uni Graz zurück, seit Februar ist er Universitätsassistent an der TU Graz. Jüngst hat er einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) bekommen. „Jetzt kann ich mit meinem Team an von Grund auf neuen Biokatalysatoren, also Enzymen, arbeiten“, strahlt er. „Das war seit Jahren mein Traum.“Enzyme sind komplexe Proteine, die biochemische Reaktionen steuern. „Durch speziell designte Funktionen könnten sie viele biomedizinische oder biotechnologische Probleme lösen.“
Im Projekt werden Grundlagenforschung dazu und das Entwickeln einer Methodik aus den Erkenntnissen Hand in Hand gehen. Privat spielt der Biochemiker Bassgitarre in einer Band und ist gern mit seiner Freundin in den Bergen unterwegs.
dissertierte im Rahmen des Doktoratskollegs Molekulare Enzymologie an der Uni Graz. Er war von Oktober 2012 bis Jänner 2017 Postdoc an der University of Washington in Seattle, USA, und wurde 2015 mit dem Award der Austrian Scientists & Scholars in North America (Ascina) ausgezeichnet. Sein Fachgebiet ist Proteindesign. Zurzeit ist er Universitätsassistent an der TU Graz, heuer erhielt er einen Starting Grant des ERC.