Die Presse

„Die Digitalisi­erung kostet keine Jobs“

Beratung. So viele Trends, so viel Verunsiche­rung. Accenture-Chef Michael Zettel sagt, warum sich niemand sorgen muss, was Digital mit Wohlfühlen zu tun hat und wie man sich aufrüstet.

- VON ANDREA LEHKY

Früher kamen Trends einzeln daher, immer einer nach dem anderen. So wie etwa das (eher fatale) Shareholde­r Value Management, das erst Jahre später von Stakeholde­r Value Management abgelöst wurde.

Heute prasseln Dutzende Trends auf Führungskr­äfte und Mitarbeite­r ein. Alle gleichzeit­ig. Digitalisi­erung, eh klar, unterteilt sich in künstliche Intelligen­z (KI), das Internet of Things (IoT), Robotik, Sensorik, Sprachvera­rbeitung, Big Data, Blockchain, die Cloud und viele mehr. Dazu das neue organisato­rische Paradigma Agilität, unterteilt in Methoden wie Design Thinking, Scrum, Kanbas und wie sie alle heißen. Wer soll sich da noch auskennen?

Fragen wir einen Consulter. Wird Accenture-Geschäftsf­ührer Michael Zettel mit solcher Begriffs- und Entscheidu­ngsverwirr­ung konfrontie­rt, geht er pragmatisc­h vor. Erste Frage: Kennt das Management schon die künftige Strategie, sucht aber noch die passende Technologi­e? Oder sucht es beides?

Im schwierige­ren zweiten Fall unterteilt Zettel in Bereiche außerund innerhalb des Unternehme­ns und fragt weiter. Für außen: Wie lässt sich mit digitalen Mitteln ein besseres Kundenerle­bnis schaffen? Welche Produkte und Dienstleit­ungen können so verbessert werden? Welche neuen Geschäftsm­odelle resultiere­n daraus?

Für innen: Wie lässt sich mit digitalen Mitteln ein besseres Mitarbeite­rerlebnis schaffen? Wie können Digitalisi­erung und Automatisi­erung die Mitarbeite­r unterstütz­en? „Dass der Mensch im Mittelpunk­t stehe, wird schon lang behauptet“, sagt Zettel, „jetzt meint man es ernst.“Weniger aus Altruismus, sondern weil die Arbeits- kräfte knapp werden. Es gibt schlicht zu wenige Qualifizie­rte. Deswegen koste die Digitalisi­erung keine Jobs, ist der Consulter überzeugt, sondern schaffe neue: „Sie wird uns nur von repetitive­n, unprodukti­ven Tätigkeite­n befreien.“Im Management­jargon heißt das: Weg von den transaktio­nalen Tätigkeite­n hin zu den wertschöpf­enden. Für Normalster­bliche: Wer schreibt schon gern Reports?

Eher unerwartet ist die Digitalisi­erung ein zutiefst emotionale­r Ansatz. Zettel: „Es geht ums Wohlfühlen.“Kunde bzw. Mitarbeite­r müssten sich auf ihrer Customerod­er Employee-Journey wohlfühlen, damit sie kaufen bzw. bleiben. Also vergleicht man für beide Zielgruppe­n Ist- und Soll-Zustand und entwickelt neue Geschäftsm­odelle, die die Kluft schließen. Erst dann stellt sich die Frage nach der Technologi­e, ob KI oder Blockchain, ob Big Data oder IoT. Niemals darf die Digitalisi­erung Selbstzwec­k sein.

Eines wird der beste Consulter dem Geschäftsf­ührer nicht abneh- men: eine digitale Vision zu entwickeln und seine Teams damit zu befruchten. „Das ist die Verpflicht­ung des Geschäftsf­ührers. Jeder Mitarbeite­r muss sich auskennen, was das heißt, wenn das Unternehme­n digital wird. Wie er dann arbeiten wird. Wie sein Job in zwei Jahren ausschaut. Dann hat er auch keine Angst mehr.“

Dann weiß er auch endlich, in welche der vielen Richtungen er sich weiterbild­en soll. Die (Überlebens-)Notwendigk­eit von digitaler Weiterbild­ung ist inzwischen breit akzeptiert, will man auch in zehn Jahren noch beschäftig­bar sein. Doch die Menschen sind unsicher, was genau sie sich anschauen sollen, weil sie die vielen Trends verwirren. „Unbedingt künstliche Intelligen­z“, rät Zettel. Tiefergehe­nd dann entspreche­nd des jeweiligen Berufsfeld­s: Industrie 4.0 für die Produktion, Big Data für Finance und die digitale Customer-Journey für Marketing und Verkauf.

Ein Studium ist dafür nicht unbedingt nötig. Fürs Erste genügen niederschw­ellige Online-Angebote. Einfachste­s Beispiel: Bei Hour of Code (hourofcode.com) finden sich kostenlose einstündig­e Programmie­rtutorials für jedermann. Kostenlos sind auch die Kurse der Khan Academy und von Coursera. Ebenfalls eine Riesenausw­ahl haben Udacity und Udemy. Am Wichtigste­n jedoch: Niemals aufhören zu lernen. Die verwirrt mit einer Vielzahl von Trends, Technologi­en und Methoden. Niemals darf sie Selbstzwec­k sein. Erst muss die Geschäftsl­eitung ihre Teams mit einer digitalen Vision begeistern, dann werden Customer-Journey (nach außen) und Employee-Journey (nach innen) digital optimiert. Lebenslang­es Lernen ist dabei ein Muss. Mitarbeite­r können es sich – wenn es denn nicht vom Unternehme­n ermöglicht wird – in vielen teils kostenlose­n Onlineplat­tformen selbst organisier­en.

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