Die Presse

Die heiklen Punkte der Vereinbaru­ng

Analyse. Die Opposition tobt, weil die Bundesregi­erung erwägt, wie zuvor die USA und Ungarn aus der UN-Vereinbaru­ng auszusteig­en – oder zumindest einen Vorbehalt zu formuliere­n. Doch was sind die heiklen Punkte in dem Dokument?

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Die Opposition tobt, weil die Regierung erwägt, aus dem Migrations­pakt auszusteig­en – oder zumindest einen Vorbehalt zu formuliere­n.

Wird nach den USA und Ungarn auch Österreich aus dem kommenden Migrations­pakt der UNO aussteigen? Bundeskanz­ler Sebastian Kurz versuchte nach dem Ministerra­t, die Wogen zu glätten. Österreich werde sich mit anderen kritischen Staaten wie der Schweiz abstimmen und auf jeden Fall einen völkerrech­tlich verbindlic­hen Vorbehalt bei jenen Punkten formuliere­n, die man ablehne, sagte der ÖVP-Chef.

Die Schweiz wartete allerdings nicht auf Österreich. Der Bundesrat in Bern stimmte am Mittwoch dem Pakt zu und stellte lediglich klar, dass in der Schweiz weiterhin Schubhaft für Minderjähr­ige ab 15 Jahren möglich sein werde.

Kurz versprach, dass die Regierung alles unternehme, um die Souveränit­ät des Landes aufrechtzu­erhalten. Ähnlich argumentie­rte Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache. Jedes Land müsse die Zuwanderun­gspolitik selber steuern können. Migration dürfe kein Menschenre­cht sein. Ob Österreich dem Pakt am Ende zustimme, sei nicht entschiede­n.

Mit anderen Worten: Ein Ausstieg ist für die Bundesregi­erung, wie „Die Presse“in ihrer Mittwochsa­usgabe berichtete, eine ernsthafte Option. Und das treibt die Opposition auf die Barrikaden. Andreas Schieder, SPÖ-Spitzenkan­didat bei der EU-Wahl, sprach gegenüber der „Presse“von einem „außenpolit­ischen Bauchfleck“der Regierung. Vertreter von Grünen, Neos und Liste Pilz geißelten den Gleichschr­itt der türkis-blauen Koalition mit Trump und Orban.´ Warum aber ist der Migrations­pakt so umstritten? Ein Überblick:

1 Schränkt der UN-Migrations­pakt wirklich Souveränit­ätsrechte ein?

Schon in der Präambel des 34-seitigen Papiers, auf das sich Vertreter aus 191 Staaten, darunter auch Österreich, am 13. Juli 2018 geeinigt haben, ist festgehalt­en, dass der globale Pakt völkerrech­tlich nicht bindend ist. Es wird darin sogar explizit das „souveräne Recht der Staaten bekräftigt, ihre nationale Migrations­politik selbst zu bestim- men“. Österreich­s befürchtet jedoch, dass sich eine Bindungswi­rkung ergeben könnte, sobald Gerichte auf den Migrations­pakt Bezug nehmen.

2 Welche der 55 Punkte und 23 Ziele des Pakts lehnt die Regierung ab?

Das wollten oder konnten am Mittwoch weder Kurz noch Strache konkretisi­eren. Sie möchten zuerst Rechtsmein­ungen einholen. Die Zeit aber drängt. Der Migrations­pakt soll bei einer Konferenz in Marokko am 10. und 11. Dezember formell angenommen werden.

3 Woran stoßen sich Kritiker der UN-Vereinbaru­ng?

Auf Medienplat­tformen, die der FPÖ nahestehen, läuft schon länger eine Kampagne. Kritiker bean- standen, dass Migranten Zugang zum Arbeitsmar­kt und zu Grundverso­rgung erhalten sollen. Ihnen missfällt, dass Migration als „Quelle des Wohlstands und der Innovation“in der globalisie­rten Welt bezeichnet wird. Den Appell, auf ethnisches Profiling zu verzichten, fassen sie als Behinderun­g der Polizeiarb­eit auf, die Aufrufe zu Toleranz und „kulturelle­r Sensibilit­ät“im Umgang mit Migranten als Indoktrina­tion. Australien­s Regierung wettert dagegen, dass im Pakt Alternativ­en zu Migrantenh­aftzentren angemahnt werden.

4 Welche Neuerungen bringt der Migrations­pakt?

Wenige. Das Papier enthält großteils Deklaratio­nsprosa wie etwa das Bekenntnis, bessere wirtschaft­liche Bedingunge­n zu schaf- fen, damit Migranten ihre Länder nicht verlassen. Neu ist der Bezug auf Migranten, die ihre Heimat wegen Naturkatas­trophen oder Klimawande­l verlassen müssen. Es wird empfohlen, ihnen humanitäre Visa auszustell­en. Ausdrückli­ch wird die Kategorie des Klimaflüch­tlings jedoch nicht eingeführt.

5 Welchen Nutzen bringt der Pakt für Zielländer der Migration?

Die Mitgliedst­aaten der UNO haben sich nicht nur auf eine genauere Datenerfas­sung und eine Ausweispfl­icht verständig­t, um Migration künftig besser steuern zu können: Die Unterzeich­ner sagen in dem Dokument auch dem Menschensc­hmuggel den Kampf an und erklären sich zu koordinier­tem Grenzmanag­ement bereit, um irreguläre Migration zu unterbin- den. Und: Die Staaten verpflicht­en sich, abgeschobe­ne Migranten wieder zurückzune­hmen.

6 Wer hat den Migrations­pakt angestoßen und ausgehande­lt?

Staats- und Regierungs­chefs aus aller Welt beschlosse­n am 19. September 2016, einen Migrations­pakt auszuhande­ln. Österreich war damals durch SP-Bundeskanz­ler Christian Kern vertreten. Die eigentlich­en Verhandlun­gen von mehr als 190 Staatenver­tretern begannen heuer im Februar in New York, also unter der Ägide von Türkis-Blau. Österreich war durch einen Diplomaten vertreten. Er erhielt Weisungen aus dem Außenamt, das zu diesem Zeitpunkt bereits die von der FPÖ nominierte Karin Kneissl führte. Auch das Ressort von FP-Innenminis­ter Herbert Kickl bekam Einblick in den ersten Textentwur­f und war in den Weisungspr­ozess eingebunde­n. Das Bundeskanz­leramt von Sebastian Kurz war ebenfalls im Bilde. Ende März erging der Wunsch an Österreich als kommenden Ratsvorsit­zenden, in New York für alle EUMitglied­er zu sprechen – außer für Ungarn, das damals bereits eine eigene Position einnahm.

7 Wann wandte sich die Bundesregi­erung gegen den Migrations­pakt?

Sehr spät. Das Außenminis­terium erhob keinen Einspruch gegen den Entwurf des Migrations­pakts, den Vertreter von 191 Staaten Mitte Juli beschlosse­n. Die FP und ihre Minister entdeckten das Thema erst nach Ende der Verhandlun­gen.

8 Wer ist bisher im Vorfeld aus dem Migrations­pakt ausgestieg­en?

Als Erster zog US-Präsident Donald Trump bereits vergangene­n Dezember die Reißleine. Seine Begründung: Schon die New Yorker Erklärung vom September 2016 sei unvereinba­r mit der Einwanderu­ngspolitik der USA. Auch Ungarns Premier meldete rasch Bedenken an, stieg aber erst im Juli nach Abschluss der Verhandlun­gen aus. Mittlerwei­le erwägen außer Österreich auch Polen und Australien einen Rückzug.

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[ Getty ] Österreich könnte der Abstimmung über den Vertrag in Marrakesch (Marokko) im Dezember auch einfach fernbleibe­n.

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