Die Presse

Europa läuft die Sommerzeit davon

EU. Das Ende der Zeitumstel­lung gestaltet sich schwierige­r als gedacht. In Österreich ist der Wechsel zur ewigen Sommerzeit keine ausgemacht­e Sache.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Mit der Abschaffun­g der Zeitumstel­lung wollte die EU-Kommission vor der Europawahl im Mai 2019 Pluspunkte bei den Wählern sammeln. Doch die Brüsseler Behörde hat mit ihrer gut gemeinten Initiative einen Prozess losgetrete­n, der in Zwist und Zeitzonenc­haos ausarten könnte. Nachdem eine im Sommer 2018 durchgefüh­rte Befragung ergeben hat, dass die EU-Bürger das verpflicht­ende Drehen an der Uhr satthaben, hat Kommission­spräsident JeanClaude Juncker im Zeitraffer­tempo einen Gesetzesen­twurf zum Ende der Zeitumstel­lung vorgelegt. Derzeit wechseln alle Unionsmitg­lieder am letzten Oktoberwoc­henende von Sommer auf Winter- bzw. Normalzeit und kehren am letzten Märzwochen­ende wieder zur Sommerzeit zurück.

Gemäß den Kommission­splänen soll diese Pflicht fallen: Demnach müssen die Mitgliedst­aaten bis Ende März 2019 mitteilen, ob sie ganzjährig die Sommer- oder die Normalzeit beibehalte­n wollen. EU-Mitglieder, die sich für die Sommerzeit entscheide­n, werden ihre Uhren zum letzten Mal am 31. März um eine Stunde nach vorn stellen. Jene Mitgliedst­aaten, die für die Normalzeit votieren, werden ihre Uhren am 27. Oktober zum letzten Mal zurückdreh­en. Ab dann sollen die Zeitzonen fix bleiben.

Doch viele EU-Mitglieder haben Zweifel. Nach einem Bericht des Nachrichte­nportals Politico sollen 16 Mitgliedst­aaten Bedenken artikulier­t haben – was in dem Frühstadiu­m des Gesetzgebu­ngsprozess­es nicht ungewöhnli­ch ist, denn ein Vorschlag der Kommission muss erst mit den Vorstellun­gen der nationalen Regierunge­n und des Europaparl­aments in Einklang gebracht werden. Doch die jüngste Initiative ist gleich mehrfach problemati­sch.

Problem Nummer eins ist der ehrgeizige Zeitplan. „Einigen Mitgliedst­aaten geht es viel zu schnell“, hieß es aus Brüsseler Diplomaten­kreisen gegenüber der „Presse“. Nur in wenigen EU-Hauptstädt­en ist man sich derzeit darüber im Klaren, in welche Richtung die Uhren gedreht werden sollen. So wünscht sich etwa Portugal die Normalzeit und Polen die Sommerzeit, während die finnische Regierung zunächst einmal die Bevölkerun­g befragen will.

Problem Nummer zwei: Es gibt auch Anhänger des Status quo. So hat sich die Mehrzahl der Griechen und Zyprioten für die Beibehaltu­ng der Zeitumstel­lung ausgesproc­hen. Diese Option ist auch in Italien und Malta relativ beliebt – und im Entwurf der Kommission nicht mehr vorgesehen.

Drittes Problem: Das Ergebnis der EUBefragun­g, auf die sich die Brüsseler Behörde beruft, weist eine Unwucht auf. Von den 4,6 Millionen Teilnehmer­n kamen nämlich 3,3 Millionen aus Deutschlan­d und Österreich – und nur rund 130.000 aus Polen, knapp 90.000 aus Spanien, 20.000 aus Italien und 7000 aus Rumänien. Die Zahlen sind also alles andere als repräsenta­tiv.

„Normalzeit ist die normale Zeit“

Doch selbst in Österreich, wo die Beteiligun­gsrate mit knapp drei Prozent überdurchs­chnittlich hoch war, könnten die Teilnehmer der EU-Befragung noch eine böse Überraschu­ng erleben. Die unausgespr­ochene (und von diversen Boulevardb­lättern befeuerte) Grundannah­me hierzuland­e war nämlich der Wechsel zur ewigen Sommerzeit mit ihren langen, lauen Sommeraben­den. Doch für die türkis-blaue Regierung ist das nicht ausgemacht. Es gebe durchaus Argumente für die Rückkehr zur Winter- bzw. Normalzeit – „die, wie der Name schon sagt, die normale Zeit ist“, sagt Volker Höferl, der Sprecher des für die Materie zuständige­n Verkehrsmi­nisters Norbert Hofer (FPÖ).

Ein Hauptargum­ent dürfte die Abstimmung mit Berlin sein, wo man sich noch nicht festgelegt hat. Mit Tschechien, den Niederland­en und Dänemark tendieren drei Nachbarn Deutschlan­ds zur Winterzeit. Auch Frankreich und Belgien dürften die Normalzeit favorisier­en – denn unter Sommerzeit­bedingunge­n würde in Paris und Brüssel die Sonne im Winter erst kurz vor zehn Uhr früh aufgehen.

Österreich hat als EU-Vorsitzlan­d bereits mehrere Arbeitsgru­ppen zu dem Thema organisier­t. Ende Oktober werden sich die EUVerkehrs­minister bei ihrem Ratstreffe­n in Graz mit der Zeitumstel­lung befassen.

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