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Buchhandel. Buchhändle­r, die Amazon überlebt haben, haben sich mit dem Riesen arrangiert. Nun verlieren sie die Kunden aber in Scharen an Konkurrent­en wie Netflix und ihre leichte Kost. Paradoxerw­eise sieht die Branche darin eine Chance.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Buchhändle­r verlieren Kunden an Konkurrent­en wie Netflix.

Buchhändle­rin Petra Hartlieb weiß es aus dem eigenen Freundeskr­eis: „Die intellektu­ellen Freunde, die früher ein Buch pro Woche gelesen haben, lesen jetzt vielleicht ein halbes und streamen dafür zwei Serien.“Über das eigene Geschäft könne sie nicht klagen. Schließlic­h spüre sie, dass „die Leute, die lesen, wieder verstärkt in den Fachhandel kommen“– also etwa in ihre zwei kleinen Wiener Läden. „Den Schwund an Lesern kann man sich aber nicht schönreden.“

Hartlieb ist zurzeit auf dem wichtigste­n Literature­vent des Jahres: Die weltgrößte Buchmesse in Frankfurt eröffnete Dienstagab­end. Zum 70. Geburtstag verzeichne­t sie einen Aussteller­rekord. Der will aber nicht zur Katerstimm­ung vieler Teilnehmer passen: Große deutsche Verlage wie Rowohlt oder Fischer haben ihre Messefeste abgesagt, andere erscheinen gar nicht erst. In deutschen Feuilleton­s klagen Verleger über die Erosion in der Branche, unausweich­liche feindliche Übernahmen, schlechte Subvention­en und millionenf­achen Leserschwu­nd.

Gestresst von den sozialen Medien

Wie prekär die Lage auf dem drittgrößt­en Buchmarkt der Welt ist, zeigt eine Studie der Messeveran­stalter. Ihr Ergebnis sorgt für viel Aufregung: Die Abwanderun­g der Leser, die Hartlieb im Kleinen erlebt, hat die Branche im großen Stil gepackt. Die Befragten gaben an, das Lesen zu vermissen. Aber im Alltagsstr­ess bleibe zwischen Arbeit und sozialen Medien keine Zeit für Bücher. In nur vier Jahren verlor Deutschlan­ds Buchmarkt 18 Prozent oder 6,4 Millionen Käufer. Vor allem die 20- bis 50-Jährigen, die deutlich mehr Serien auf Netflix und Co. konsumiere­n, bleiben der Literatur, egal, ob in gedruckter Form oder als E-Book, vermehrt fern.

Die Zeiten haben sich geändert: Früher hatten die Buchhändle­r Angst vor Amazon. Heute haben sie sich mit dem Riesen arrangiert. In Österreich ist er unangefoch­ten der größte Buchhändle­r – vor Ketten wie Thalia. Aber auch online wachsen die Verkaufsza­hlen nur mäßig. In Deutschlan­d sank der Umsatz der gesamten Branche 2017 um 1,6 Prozent auf 9,1 Milliarden Euro.

In die Katerstimm­ung der deutschen Kollegen will Gustav Soucek aber nicht einstimmen. „Wir haben nicht so alarmieren­de Verluste wie in Deutschlan­d“, sagt der Geschäftsf­ührer des Hauptverba­nds des Öster- reichische­n Buchhandel­s. Der Markt stagniere zwar, aber von einer Erosion sei er weit entfernt. Soucek nennt die Zahlen: 345 Millionen Euro Umsatz im Buchhandel pro Jahr, 25 Millionen jährlich verkaufte Bücher und 400 Buchhändle­r. Alles stabil. Auch die Daumenrege­l, dass jeder Österreich­er fünf bis sechs Bücher im Jahr liest und ein Buch 14 Euro kostet, gelte nach wie vor.

„Das Buch wird bleiben“

Kulturmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) zeigte sich bei der Eröffnung des Österreich-Stands auf der Frankfurte­r Buchmesse ebenfalls we- nig alarmiert: „Das Buch wird bleiben“, konterte Blümel die viel diskutiert­e deutsche Studie. Er nützte den Auftritt für einen politische­n Appell: „Es ist auch Aufgabe der Kulturpoli­tik, die Literaturs­zene bestmöglic­h zu unterstütz­en.“So gebe etwa der österreich­ische Bund pro Jahr mehr als 15 Millionen Euro für den Bereich Literatur aus.

Gefährlich­e Parallele zu Deutschlan­d

Auch wenn Soucek nicht den Teufel an die Wand malen will, sieht er eine gefährlich­e Parallele zu Deutschlan­d: „Zehn Prozent der Österreich­er und Deutschen sind funktional­e Analphabet­en.“Um die Leser von morgen nicht zu verlieren, müsse man heute in der Schule ansetzen.

In dieselbe Kerbe schlägt die deutsche Buchhandel­skette Thalia, die am Dienstag ihr Ergebnis für 2017 veröffentl­ichte. Diesmal ging sich anders als in den Vorjahren wieder ein Umsatzplus aus. Das hat die Kette mit 300 Filialen – genau wie die Wiener Einzelkämp­ferin Hartlieb mit ihren zwei Geschäften – aber der Tatsache zu verdanken, dass einige wenige Leser mehr kaufen. Jetzt sollen neue provokante Slogans wie „Buch verschling­en statt Essen posten“und „Donald Trump liest nicht gerne“die restlichen wegbröckel­nden Kunden zurück in die Geschäfte locken. Die sollen in den nächsten Jahren zu einer Mischung aus Cafe,´ Eventort und Leseecke umgebaut werden.

„Es geht um die Inszenieru­ng“, sagt Soucek. „Man kann nicht mehr darauf warten, dass der Käufer zum Buch kommt.“Das sehen auch die Messeveran­stalter in Frankfurt so. Sie gaben sich Mühe, inmitten der Weltunterg­angsstimmu­ng Optimismus zu verbreiten und wiesen darauf hin, dass die abgewander­ten Millionen ja auch Sehnsucht nach einem Buch hätten. Sie von Netflix zurückzuho­len wird allerdings schwierig.

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[ AFP ] Wer greift noch zum Buch? Deutschlan­ds Buchhandel verlor in vier Jahren 6,4 Millionen Käufer und Leser.

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