Die Presse

„Italien ist eine der größten Bedrohunge­n“

Interview. Am Mittwoch hat der Ministerra­t Gottfried Haber zum Chef des Fiskalrate­s bestellt. Der neue Hüter über die Staatsfina­nzen fordert mehr Sparanstre­ngung vor einer Steuerentl­astung und plädiert für das schwedisch­e Pensionsmo­dell.

- DONNERSTAG, 11. OKTOBER 2018 VON GERHARD HOFER UND KARL GAULHOFER

Die Presse: Sie werden von allen Seiten als Fachmann gelobt. Aber die Opposition sorgt sich, weil Sie als ÖVP-nah gelten und Berater in den Koalitions­verhandlun­gen waren. Sind Sie an der kurzen Leine von Kanzler Kurz? Gottfried Haber: In den Verhandlun­gen war ich nur ein nicht mitstimmen­der Experte. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich unabhängig bin und dass es mir um die Sache geht. Ich vertrete oft Positionen, die nicht Regierungs­linie sind. Im Fiskalrat zählen nicht Meinungen oder Ideologie, sondern nur faktenbasi­erte Analyse.

Wollen Sie andere Akzente setzen als ihr Vorgänger Felderer? Ich möchte mehr Kommunikat­ion an die Öffentlich­keit. Es ist für die Qualität politische­r Entscheidu­ngen wichtig, dass die Wähler das einfache Prinzip verstehen: Ich kann nur das ausgeben, was ich eingenomme­n habe. Es gibt den alten Reflex, dass Nachrichte­n der Art „Jemand bekommt mehr“besser ankommen als Pläne, wie man das Pensionssy­stem oder die Pflegevors­orge nachhaltig­er macht. Je mehr Menschen darüber Bescheid wissen und diskutiere­n, desto besser. Und es macht es Politikern leichter, an die Kosten zu denken, ohne dafür abgestraft zu werden.

Eine Hauptaufga­be des Fiskalrate­s ist es zu prüfen, ob Österreich den EU-Budgetpfad einhält. Funktionie­ren diese Regeln? Sie leiden unter fehlenden Sanktionsm­echanismen. Es ist nicht glaubwürdi­g, dass jemals Strafzahlu­ngen verhängt werden. Aber allein, dass Brüssel kontrollie­rt, dass es in jedem Land unabhängig­e Fiskalräte und eine mediale Diskussion gibt: Das disziplini­ert schon. Ohne diese Regeln wäre die Schuldensi­tuation in allen Ländern Europas deutlich schlechter. Italiens Regierung hält sich aber sehr provokant nicht daran. Sorgen Sie sich, dass dieses Beispiel Schule machen könnte? Ich sehe darin eine der größten Bedrohunge­n der EU. Eine Gemeinscha­ft lebt davon, dass man sich an Spielregel­n hält, auf die man sich einmal geeinigt hat. Wenn man sie nicht gut findet, kann man sie gemeinsam verbessern. Aber man darf sie nicht einseitig außer Kraft setzen wollen.

Aber Italien hat große Vorbilder: Franzosen und Deutsche haben seinerzeit dasselbe gemacht . . . Der Unterschie­d ist: Man kann die Regeln mit einem leicht schlechten Gewissen verfehlen. Oder man verfehlt sie absichtlic­h und geniert sich dafür nicht einmal. Zweiteres halte ich für bedrohlich.

Sind die Regeln die richtigen? Sie verdienen eine Weiterentw­icklung. Man könnte auf die einfache und knackige Ausgabenre­gel mehr Fokus legen. Das strukturel­le Defizit ist als Zielgröße schwer anzupeilen, weil es aufgrund seiner Berechnung großen statistisc­hen Schwankung­en unterliegt. Aber man kann damit leben: Die Politik muss einen Sicherheit­spuffer einbauen, nicht am Limit der möglichen Neuverschu­ldung planen. Wenn ich einen schlechten Kompass habe, kann ich nicht haarscharf am Felsen vorbeisege­ln, sondern muss Abstand einkalkuli­eren. Das haben wir in der Vergangenh­eit oft nicht gemacht.

Wo liegt Österreich im EU-Vergleich bei der Stabilität? Im oberen Bereich. Aber Deutschlan­d zeigt vor, dass man schnellere Erfolge erzielen und mit einer geringeren Steuer- und Abgabenquo­te hohe Überschüss­e erzielen kann.

Soll der Staat seine Schulden auch absolut verringern? In einer wachsenden Wirtschaft ist es nicht notwendig, dass man den absoluten Schuldenst­and reduziert – außer, wenn man von einem sehr hohen Stand kommt. In dieser Situation ist Österreich nicht. Es geht um die Relation zum BIP. In Europa haben wir 60 Prozent als Grenze definiert. Sie hat keine theoretisc­he Fundierung, genauso gut könnten wir 50 oder 70 Prozent anpeilen. Wesentlich ist, dass sich die Quote stabil entwickelt. Dazu muss man Defizite über den Konjunktur­zyklus ausgleiche­n. Das heißt: in guten Zeiten Reserven anlegen, durchaus mit dem Nebeneffek­t, dass man damit das Wachstum ein bisschen einbremst.

Die guten Zeiten haben aber im kommenden Jahr ihren Zenit schon überschrit­ten. Erst dann gibt es ein Nulldefizi­t. Und es dürfte einmalig bleiben, denn schon 2020 plant die Regierung eine teure Steuerentl­astung. Priorität hat die Stabilität der Staatsfina­nzen. Also muss man für eine starke Entlastung zuerst Spiel- räume schaffen und sparen. In der aktuell guten Konjunktur­situation müssen wir Überschüss­e generieren. Und solange die Zeiten gut bleiben, sollten wir diesen Pfad nicht verlassen. Ob 2020 der richtige Zeitpunkt für eine Entlastung oder es noch zu früh ist, das kann heute niemand seriös voraussage­n. Jedenfalls ist es sinnvoll, den Zeitpunkt nicht nach kurzfristi­gen politische­n Überlegung­en wie einem Wahltermin festzulege­n.

Wie zukunftssi­cher sind die heimischen Pensionen? Österreich ist eines von wenigen EU-Ländern ohne Nachhaltig­keitsmecha­nismus bei den Pensionen. Dänemark passt das Pensionsan­trittsalte­r automatisc­h an die Lebenserwa­rtung an. In Schweden gilt das Prinzip: Ich bekomme genau das heraus, was ich beigetrage­n habe. Wenn die Menschen länger leben, bekommen sie weniger. Wer freiwillig länger arbeitet, bekommt mehr. Dafür müssen aber betrieblic­he und private Vorsorge stärker ausgebaut sein.

Welches System präferiere­n Sie? Das schwedisch­e, weil es den Menschen mehr Freiheit bietet. Die Schweden können in Pension gehen, wann sie wollen, innerhalb eines Korridors. Und sie können in der Pension dazuverdie­nen, weil sie ja nichts geschenkt kriegen. Das ist das klarere, transparen­tere Modell, es ist stabil, und man erspart sich viele Diskussion­en.

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[ Akos Burg ] Gottfried Haber will die Analysen und Empfehlung­en des Fiskalrats stärker in die öffentlich­en Debatten einbringen.

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