„Italien ist eine der größten Bedrohungen“
Interview. Am Mittwoch hat der Ministerrat Gottfried Haber zum Chef des Fiskalrates bestellt. Der neue Hüter über die Staatsfinanzen fordert mehr Sparanstrengung vor einer Steuerentlastung und plädiert für das schwedische Pensionsmodell.
Die Presse: Sie werden von allen Seiten als Fachmann gelobt. Aber die Opposition sorgt sich, weil Sie als ÖVP-nah gelten und Berater in den Koalitionsverhandlungen waren. Sind Sie an der kurzen Leine von Kanzler Kurz? Gottfried Haber: In den Verhandlungen war ich nur ein nicht mitstimmender Experte. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich unabhängig bin und dass es mir um die Sache geht. Ich vertrete oft Positionen, die nicht Regierungslinie sind. Im Fiskalrat zählen nicht Meinungen oder Ideologie, sondern nur faktenbasierte Analyse.
Wollen Sie andere Akzente setzen als ihr Vorgänger Felderer? Ich möchte mehr Kommunikation an die Öffentlichkeit. Es ist für die Qualität politischer Entscheidungen wichtig, dass die Wähler das einfache Prinzip verstehen: Ich kann nur das ausgeben, was ich eingenommen habe. Es gibt den alten Reflex, dass Nachrichten der Art „Jemand bekommt mehr“besser ankommen als Pläne, wie man das Pensionssystem oder die Pflegevorsorge nachhaltiger macht. Je mehr Menschen darüber Bescheid wissen und diskutieren, desto besser. Und es macht es Politikern leichter, an die Kosten zu denken, ohne dafür abgestraft zu werden.
Eine Hauptaufgabe des Fiskalrates ist es zu prüfen, ob Österreich den EU-Budgetpfad einhält. Funktionieren diese Regeln? Sie leiden unter fehlenden Sanktionsmechanismen. Es ist nicht glaubwürdig, dass jemals Strafzahlungen verhängt werden. Aber allein, dass Brüssel kontrolliert, dass es in jedem Land unabhängige Fiskalräte und eine mediale Diskussion gibt: Das diszipliniert schon. Ohne diese Regeln wäre die Schuldensituation in allen Ländern Europas deutlich schlechter. Italiens Regierung hält sich aber sehr provokant nicht daran. Sorgen Sie sich, dass dieses Beispiel Schule machen könnte? Ich sehe darin eine der größten Bedrohungen der EU. Eine Gemeinschaft lebt davon, dass man sich an Spielregeln hält, auf die man sich einmal geeinigt hat. Wenn man sie nicht gut findet, kann man sie gemeinsam verbessern. Aber man darf sie nicht einseitig außer Kraft setzen wollen.
Aber Italien hat große Vorbilder: Franzosen und Deutsche haben seinerzeit dasselbe gemacht . . . Der Unterschied ist: Man kann die Regeln mit einem leicht schlechten Gewissen verfehlen. Oder man verfehlt sie absichtlich und geniert sich dafür nicht einmal. Zweiteres halte ich für bedrohlich.
Sind die Regeln die richtigen? Sie verdienen eine Weiterentwicklung. Man könnte auf die einfache und knackige Ausgabenregel mehr Fokus legen. Das strukturelle Defizit ist als Zielgröße schwer anzupeilen, weil es aufgrund seiner Berechnung großen statistischen Schwankungen unterliegt. Aber man kann damit leben: Die Politik muss einen Sicherheitspuffer einbauen, nicht am Limit der möglichen Neuverschuldung planen. Wenn ich einen schlechten Kompass habe, kann ich nicht haarscharf am Felsen vorbeisegeln, sondern muss Abstand einkalkulieren. Das haben wir in der Vergangenheit oft nicht gemacht.
Wo liegt Österreich im EU-Vergleich bei der Stabilität? Im oberen Bereich. Aber Deutschland zeigt vor, dass man schnellere Erfolge erzielen und mit einer geringeren Steuer- und Abgabenquote hohe Überschüsse erzielen kann.
Soll der Staat seine Schulden auch absolut verringern? In einer wachsenden Wirtschaft ist es nicht notwendig, dass man den absoluten Schuldenstand reduziert – außer, wenn man von einem sehr hohen Stand kommt. In dieser Situation ist Österreich nicht. Es geht um die Relation zum BIP. In Europa haben wir 60 Prozent als Grenze definiert. Sie hat keine theoretische Fundierung, genauso gut könnten wir 50 oder 70 Prozent anpeilen. Wesentlich ist, dass sich die Quote stabil entwickelt. Dazu muss man Defizite über den Konjunkturzyklus ausgleichen. Das heißt: in guten Zeiten Reserven anlegen, durchaus mit dem Nebeneffekt, dass man damit das Wachstum ein bisschen einbremst.
Die guten Zeiten haben aber im kommenden Jahr ihren Zenit schon überschritten. Erst dann gibt es ein Nulldefizit. Und es dürfte einmalig bleiben, denn schon 2020 plant die Regierung eine teure Steuerentlastung. Priorität hat die Stabilität der Staatsfinanzen. Also muss man für eine starke Entlastung zuerst Spiel- räume schaffen und sparen. In der aktuell guten Konjunktursituation müssen wir Überschüsse generieren. Und solange die Zeiten gut bleiben, sollten wir diesen Pfad nicht verlassen. Ob 2020 der richtige Zeitpunkt für eine Entlastung oder es noch zu früh ist, das kann heute niemand seriös voraussagen. Jedenfalls ist es sinnvoll, den Zeitpunkt nicht nach kurzfristigen politischen Überlegungen wie einem Wahltermin festzulegen.
Wie zukunftssicher sind die heimischen Pensionen? Österreich ist eines von wenigen EU-Ländern ohne Nachhaltigkeitsmechanismus bei den Pensionen. Dänemark passt das Pensionsantrittsalter automatisch an die Lebenserwartung an. In Schweden gilt das Prinzip: Ich bekomme genau das heraus, was ich beigetragen habe. Wenn die Menschen länger leben, bekommen sie weniger. Wer freiwillig länger arbeitet, bekommt mehr. Dafür müssen aber betriebliche und private Vorsorge stärker ausgebaut sein.
Welches System präferieren Sie? Das schwedische, weil es den Menschen mehr Freiheit bietet. Die Schweden können in Pension gehen, wann sie wollen, innerhalb eines Korridors. Und sie können in der Pension dazuverdienen, weil sie ja nichts geschenkt kriegen. Das ist das klarere, transparentere Modell, es ist stabil, und man erspart sich viele Diskussionen.