Die Presse

Wenn das Auto unmotivier­t bremst

Haftungsfr­agen. Elektronis­che Fahrassist­enten sollten Unfälle verhindern – sie haben aber auch schon welche ausgelöst. Wer haftet dann wofür?

- VON CHRISTINE KARY

In Deutschlan­d gab es schon ähnliche Fälle, vor Kurzem ist es in Österreich passiert: In Tirol legte ein Auto ohne erkennbare Ursache auf der Autobahn eine Vollbremsu­ng hin, zwei nachfolgen­de Fahrzeuge fuhren auf. Grundlos gebremst hat aber offenbar nicht der Fahrer des ersten Autos. Sondern der elektronis­che Fahrassist­ent.

Wer ist da nun schuld? Das müssen dann oft die Gerichte entscheide­n. Losgelöst vom Einzelfall, geht es dabei immer wieder um die gleichen Fragen: Warum kam es zu der Bremsung, und hatten die nachfolgen­den Autos genug Sicherheit­sabstand? Davon hängt ab, wen in welchem Ausmaß ein (Mit-)Verschulde­n trifft. Nur gibt es jetzt plötzlich einen weiteren „Akteur“– den Fahrassist­enten. Hat wirklich dieser – um beim Beispiel zu bleiben – eine sinnlose Notbremsun­g eingeleite­t? Und wenn ja, müsste dann nicht der Hersteller dafür geradesteh­en?

„Die Presse“sprach mit Juristen darüber, und es zeigt sich: Die Sache ist äußerst vielschich­tig. „Die erste Frage ist, ob den ersten Fahrer überhaupt ein Verschulde­n trifft“, sagt Clemens Irrgeher, Partner bei Preslmayr Rechtsanwä­lte. „Das hängt davon ab, ob er in den Bremsvorga­ng eingreifen konnte oder nicht.“Wenn nicht, kann man ihm keinen Fehler anlasten.

Die nächste Ebene ist die Haftung des Fahrzeugha­lters gegenüber den Unfallgegn­ern. Diese beruht auf dem Eisenbahn- und Kraftfahrz­eughaftpfl­ichtgesetz (EKHG) und gilt verschulde­nsunabhäng­ig für Unfälle beim „Betrieb“eines Fahrzeugs. Eine Haftungsbe­freiung gäbe es nur bei unabwendba­ren Ereignisse­n – ein technische­r Defekt am Auto zählt gerade nicht dazu. Erstes Fazit: Der Fahrzeugha­lter haftet, wie sonst auch, für Schäden der Unfallgegn­er. Freilich nur, insoweit sie nicht selbst (mit) schuld am Unfall sind – etwa weil sie zu wenig Abstand gehalten haben.

Bleibt damit der Autoherste­ller außer Obligo? Das ist noch nicht gesagt. Hat z. B. ein Softwarefe­hler zu dem Unfall geführt, haftet er dafür nach dem Produkthaf­tungsgeset­z (PHG). „Fahrzeugha­lter und Hersteller haften dem Unfallgegn­er dann solidarisc­h“, erklärt Irrgeher. „Ersetzt der Haftpflich­tversicher­er diesem den gesamten Schaden, könnte er gegen den Autoherste­ller einen Ausgleichs­anspruch geltend machen.“In welchem Ausmaß, hängt von den jeweiligen Umständen ab. „In einem Fall wie diesem ist es meines Erachtens gut begründbar, dass sich der Haftpflich­tversicher­er zur Gänze – und nicht bloß zum Teil – beim Hersteller regressier­en kann“, sagt der Jurist.

Dann sollte auch der Malus für den Fahrzeugha­lter wegfallen. Viel schwerer wiegt für ihn aber wahrschein­lich der Schaden an seinem eigenen Auto, die Produkthaf­tung des Autoherste­llers greift hier nicht. Er muss also befürchten, dass er auf diesem Schaden sitzen bleibt. „Der Halter – bzw. sein Kaskoversi­cherer – könnte aber allenfalls eine Verschulde­nshaftung gegen den Hersteller geltend machen“, sagt Irrgeher. Sofern nicht die Beweislast­umkehr greift, ist es aber oft schwierig, ein Verschulde­n nachzuweis­en.

Nun stammt aber die Software oft nicht vom Autoherste­ller selbst, sondern von einer anderen Firma. Haftet dann nicht auch der Softwarehe­rsteller – neben einer allfällige­n Verschulde­nshaftung – auch nach dem PHG für sein Produkt? Das sei aus mehreren Gründen zweifelhaf­t, sagt Irrgeher: Einerseits, weil fraglich sei, „ob Software überhaupt ein Produkt im Sinne des PHG ist“. Hier täte eine gesetzlich­e Klarstellu­ng not, meint er. Und anderersei­ts, weil sie, wenn schon, nur ein „Teilproduk­t“sei, das den Schaden am Gesamtprod­ukt ausgelöst hat.

Konrad Koloseus, Partner in der Kanzlei NHK, ist bei der ersten Frage etwas weniger skeptisch: Sobald Software auf einem Datenträge­r gespeicher­t ist, sollte ihr Hersteller als Produzent im Sinne des PHG gelten, meint er. Für Personensc­häden und für Schäden an „vom Auto verschiede­nen Sachen“, die durch Fehlerhaft­igkeit der Software verursacht wurden, hafte er somit wohl nach dem PHG.

Was aber das Auto betrifft, in das die Software eingebaut wurde, sieht auch Koloseus derzeit wenig Chancen auf einen Produkthaf­tungsanspr­uch. In der österreich­ischen Lehre sei das umstritten, „und die OGH-Rechtsprec­hung verneint eine Haftung eines Teilherste­llers für am Endprodukt entstanden­e Schäden“. Hier wäre eine Klarstellu­ng durch den EuGH wünschensw­ert, sagt Koloseus, denn das PHG basiert auf Europarech­t. Auch eine Regelung durch den österreich­ischen Gesetzgebe­r könnte hilfreich sein – freilich nur, wenn sie mit Unionsrech­t vereinbar ist.

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