Wenn das Auto unmotiviert bremst
Haftungsfragen. Elektronische Fahrassistenten sollten Unfälle verhindern – sie haben aber auch schon welche ausgelöst. Wer haftet dann wofür?
In Deutschland gab es schon ähnliche Fälle, vor Kurzem ist es in Österreich passiert: In Tirol legte ein Auto ohne erkennbare Ursache auf der Autobahn eine Vollbremsung hin, zwei nachfolgende Fahrzeuge fuhren auf. Grundlos gebremst hat aber offenbar nicht der Fahrer des ersten Autos. Sondern der elektronische Fahrassistent.
Wer ist da nun schuld? Das müssen dann oft die Gerichte entscheiden. Losgelöst vom Einzelfall, geht es dabei immer wieder um die gleichen Fragen: Warum kam es zu der Bremsung, und hatten die nachfolgenden Autos genug Sicherheitsabstand? Davon hängt ab, wen in welchem Ausmaß ein (Mit-)Verschulden trifft. Nur gibt es jetzt plötzlich einen weiteren „Akteur“– den Fahrassistenten. Hat wirklich dieser – um beim Beispiel zu bleiben – eine sinnlose Notbremsung eingeleitet? Und wenn ja, müsste dann nicht der Hersteller dafür geradestehen?
„Die Presse“sprach mit Juristen darüber, und es zeigt sich: Die Sache ist äußerst vielschichtig. „Die erste Frage ist, ob den ersten Fahrer überhaupt ein Verschulden trifft“, sagt Clemens Irrgeher, Partner bei Preslmayr Rechtsanwälte. „Das hängt davon ab, ob er in den Bremsvorgang eingreifen konnte oder nicht.“Wenn nicht, kann man ihm keinen Fehler anlasten.
Die nächste Ebene ist die Haftung des Fahrzeughalters gegenüber den Unfallgegnern. Diese beruht auf dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) und gilt verschuldensunabhängig für Unfälle beim „Betrieb“eines Fahrzeugs. Eine Haftungsbefreiung gäbe es nur bei unabwendbaren Ereignissen – ein technischer Defekt am Auto zählt gerade nicht dazu. Erstes Fazit: Der Fahrzeughalter haftet, wie sonst auch, für Schäden der Unfallgegner. Freilich nur, insoweit sie nicht selbst (mit) schuld am Unfall sind – etwa weil sie zu wenig Abstand gehalten haben.
Bleibt damit der Autohersteller außer Obligo? Das ist noch nicht gesagt. Hat z. B. ein Softwarefehler zu dem Unfall geführt, haftet er dafür nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG). „Fahrzeughalter und Hersteller haften dem Unfallgegner dann solidarisch“, erklärt Irrgeher. „Ersetzt der Haftpflichtversicherer diesem den gesamten Schaden, könnte er gegen den Autohersteller einen Ausgleichsanspruch geltend machen.“In welchem Ausmaß, hängt von den jeweiligen Umständen ab. „In einem Fall wie diesem ist es meines Erachtens gut begründbar, dass sich der Haftpflichtversicherer zur Gänze – und nicht bloß zum Teil – beim Hersteller regressieren kann“, sagt der Jurist.
Dann sollte auch der Malus für den Fahrzeughalter wegfallen. Viel schwerer wiegt für ihn aber wahrscheinlich der Schaden an seinem eigenen Auto, die Produkthaftung des Autoherstellers greift hier nicht. Er muss also befürchten, dass er auf diesem Schaden sitzen bleibt. „Der Halter – bzw. sein Kaskoversicherer – könnte aber allenfalls eine Verschuldenshaftung gegen den Hersteller geltend machen“, sagt Irrgeher. Sofern nicht die Beweislastumkehr greift, ist es aber oft schwierig, ein Verschulden nachzuweisen.
Nun stammt aber die Software oft nicht vom Autohersteller selbst, sondern von einer anderen Firma. Haftet dann nicht auch der Softwarehersteller – neben einer allfälligen Verschuldenshaftung – auch nach dem PHG für sein Produkt? Das sei aus mehreren Gründen zweifelhaft, sagt Irrgeher: Einerseits, weil fraglich sei, „ob Software überhaupt ein Produkt im Sinne des PHG ist“. Hier täte eine gesetzliche Klarstellung not, meint er. Und andererseits, weil sie, wenn schon, nur ein „Teilprodukt“sei, das den Schaden am Gesamtprodukt ausgelöst hat.
Konrad Koloseus, Partner in der Kanzlei NHK, ist bei der ersten Frage etwas weniger skeptisch: Sobald Software auf einem Datenträger gespeichert ist, sollte ihr Hersteller als Produzent im Sinne des PHG gelten, meint er. Für Personenschäden und für Schäden an „vom Auto verschiedenen Sachen“, die durch Fehlerhaftigkeit der Software verursacht wurden, hafte er somit wohl nach dem PHG.
Was aber das Auto betrifft, in das die Software eingebaut wurde, sieht auch Koloseus derzeit wenig Chancen auf einen Produkthaftungsanspruch. In der österreichischen Lehre sei das umstritten, „und die OGH-Rechtsprechung verneint eine Haftung eines Teilherstellers für am Endprodukt entstandene Schäden“. Hier wäre eine Klarstellung durch den EuGH wünschenswert, sagt Koloseus, denn das PHG basiert auf Europarecht. Auch eine Regelung durch den österreichischen Gesetzgeber könnte hilfreich sein – freilich nur, wenn sie mit Unionsrecht vereinbar ist.