Die Presse

„Nur der Mensch selbst will mehr Glück“

Interview. Die Welt wird nicht schlechter, sondern immer besser, demonstrie­rt der US-Psychologe Steven Pinker mit Daten: ein Gespräch über sein neues Buch, schädliche Religion und das Fatale an den düsteren Zukunftsvi­sionen.

- DONNERSTAG, 11. OKTOBER 2018 VON ANNE-CATHERINE SIMON

Die Presse: In Ihrem weltweit beachteten Buch „Gewalt“stellten Sie die Menschheit­sgeschicht­e als Bewegung hin zu weniger Gewalt dar. In „Aufklärung jetzt“demonstrie­ren Sie nun, dass sich das Leben seit der Aufklärung für die Menschen in allen wesentlich­en Bereichen verbessert hat. Man könnte das für eine fast banale Erkenntnis halten . . . Steven Pinker: Das ist es nicht, denn viele Menschen sind sich wirklich nicht bewusst, dass Krieg, Hunger, Krankheite­n, Armut weniger geworden sind. Sie glauben, dass es umgekehrt ist.

Ihr Buch ist auch eine Verteidigu­ng der Ideale der Aufklärung und des säkularen Humanismus gegen Kulturpess­imisten und Apokalypti­ker. Glauben Sie nicht, dass auch düstere Zukunftsvi­sionen – wie etwa in puncto Klimawande­l – zur Fortschrit­tsgeschich­te beitragen? Das ist schon möglich, da geht es um angewandte Psychologi­e. Allerdings ist es nicht ausgemacht, dass es bei Themen wie Atomkrieg oder Klimawande­l der beste Weg ist, Menschen große Angst vor den Folgen zu machen. Das stimmt die Menschen oft fatalistis­ch. Es ist eine offene und extrem wichtige Frage, was die beste Strategie ist, Menschen zu motivieren. Einiges deutet daraufhin hin, dass sie darin besteht, zu zeigen, was getan werden kann, und zu vermitteln, dass mit diesem Tun das Problem bewältigba­r ist. Immer mehr Klimaaktiv­isten fürchten, dass es kontraprod­uktiv ist, düsterste Szenarien auszumalen.

Auffällig ist, dass das Glücksgefü­hl nicht direkt proportion­al zu den verbessert­en Lebensbedi­ngungen ansteigt, dass es eine große Kluft gibt zwischen realem und subjektiv empfundene­m Fortschrit­t. Weil die Natur nie Interesse daran hatte, den Menschen glücklich zu machen? Das stimmt, die Evolution hatte sicher nie ein Interesse daran, nur der Mensch selbst will mehr Glück. Das Gefühl von Glück hat aber sehr wohl zugenommen, und es ist stark an Wohlstand geknüpft. Dieser macht Menschen im Schnitt glückliche­r, wenn auch nicht überall. Speziell bei den US-Amerikaner­n war das in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht der Fall, wir rätseln, warum. Es besteht auch eine gewaltige Kluft zwischen dem Glück, das die Leute für sich selbst behaupten, und ihrer Einschätzu­ng, wie glücklich andere sind: Menschen schätzen andere viel unglücklic­her ein als sich selbst.

Äußere Verbesseru­ngen scheinen jedenfalls nicht auszureich­en, um Menschen zufrieden zu machen. Die dafür nötige innere Bildung streift Ihr Buch gar nicht. Nein, aber ich zeige, dass soziales Vertrauen, soziale Unterstütz­ung neben Wohlstand sehr wichtig sind, Freiheit auch. Es gibt auch kulturelle Unterschie­de, die wir nicht ganz verstehen. Zum Beispiel sind Menschen in Lateineuro­pa glückliche­r, als man bei ihrem Einkommen erwarten würde, Menschen in Osteuropa hingegen weniger glücklich als erwartbar.

Haben Sie eine Idee, warum? Nicht wirklich. Möglicherw­eise ist es die Kultur – Familie, Freunde, Musik, Essen . . . Und das Klima.

Und warum wurden Frauen in den USA unglücklic­her, als sie ab den 1960er-Jahren an Freiheit gewannen? Eine Erklärung dafür ist, dass mehr Möglichkei­ten und mehr Verantwort­ung mehr Angst erzeugen. Und wer mehr Ziele im Leben hat, hat auch mehr Quellen für Frust und Stress. Man darf auch nie vergessen, dass Glück nicht das einzige Lebensziel ist. Viele entscheide­n sich für weniger Glück, aber mehr Sinn, Erfüllung.

Sie nennen den tiefgläubi­gen Philosophe­n Blaise Pascal unter den Vätern der Aufklärung. Für Sie scheint Glaube eine überholte Sache, die so rasch wie möglich aus der Welt geschafft gehört . . . Es stimmt, dass viele Aufklärer an Gott glaubten, wobei etliche Deisten waren oder auch, wie Spinoza, Pantheiste­n. Ich denke aber, dass es vor Darwin nur logisch war, so zu denken, und dass es vor der Entwicklun­g der Informatio­ns- und Neurowisse­nschaft nur logisch war, zu glauben, dass Intelligen­z eine göttliche Quelle hat. Glücksstud­ien zeigen immer wieder, dass Religiöse glückliche­r sind als Nichtrelig­iöse – das ficht Sie nicht an? Ich halte es mit George Bernard Shaw: Dass ein gläubiger Mensch glückliche­r sein kann als ein nicht gläubiger, hat keine größere Bedeutung, als dass ein Betrunkene­r glückliche­r sein kann als ein Nüchterner. Es ist außerdem nicht ganz richtig, dass religiöse Menschen glückliche­r sind als nicht religiöse. Menschen, die zu religiösen Gemeinscha­ften gehören, sind glückliche­r. Auch nicht religiöse Menschen, die zu einer kirchliche­n Gemeinscha­ft gehören, weil ihre Frau und ihre Kinder ihr angehören, sind glückliche­r. Umgekehrt sind religiöse Menschen ohne solche Gemeinscha­ft keineswegs glückliche­r.

Selbst wenn Menschen nur ihre Wohnung aufräumen oder sonst Ordnung in ihr Leben zu bringen versuchen, ist viel Irrational­es, viel magisches Denken im Spiel. Warum wollen Sie religiöse Vorstellun­gen eliminiere­n, wenn sie hilfreich sein können? Das will ich nicht, aber meist bewirkt Religion das Gegenteil. Einige religiöse Vorstellun­gen können im Leben gut funktionie­ren, aber da sie auf Aberglaube­n beruhen, ist es Zufall und eher unwahrsche­inlich.

Europa erlebt seit Jahren eine Renaissanc­e des religiösen Anspruchs im öffentlich­en Raum, mit einem konservati­ven Islam, der religiöse Gesetze über säkulare stellt. Für welchen Umgang damit plädieren Sie? Halten Sie es mit dem österreich­ischen Kaiser Joseph II., der Religion am gesellscha­ftlichen Nutzen maß? Praktiken, die ihre Rechtferti­gung aus einer heiligen Schrift und der Existenz eines übernatürl­ichen Wesens ableiten, sollten wir immer zurückweis­en, weil sie sich nicht auf gute Gründe stützen. Religiöse Überzeugun­gen müssen immer mit säkularen Kriterien geprüft werden. Wenn kirchliche Institutio­nen und Gruppen Obdachlose betreuen, eine Klinik in Afrika haben oder sich um Frieden bemühen, dann sollten wir sie unterstütz­en.

Der Populismus ist im Westen derzeit auf dem Vormarsch, in Migrations­debatten blüht der Hass. Sie leiten aus Statistike­n ab, dass sowohl Populismus als auch rassistisc­hes Denken langfristi­g immer weniger werden. Heißt das, Sie machen sich wenig Sorgen? Nein, große! Auf lange Sicht, glaube ich, wird der Populismus nicht siegen. Kurzfristi­g aber kann er trotzdem extremen Schaden anrichten.

Seit Jahren verkünden Sie die Botschaft, dass die Menschheit­sgeschicht­e ein Weg hin zum Positiven ist. Empfinden Sie die öffentlich­e Rolle des fortschrit­tsgläubige­n Optimisten zuweilen auch als Korsett? Es kommt vor. Ich muss aber betonen, dass ich mich nicht als Optimisten sehe, sondern als Possibilis­ten. Ich will nicht die Leute dazu bringen, das Glas als halb voll statt halb leer zu sehen. Es geht mir um eine von Daten gespeiste Weltsicht. Der Mediziner Hans Rosling hat dafür den Begriff „factfulnes­s“erfunden. Das ist nicht dasselbe wie Optimismus. Ich glaube überhaupt nicht, dass alles gut läuft. Tatsächlic­h läuft das meiste gar nicht gut.

Ich glaube überhaupt nicht, dass alles gut läuft. Tatsächlic­h läuft das meiste gar nicht gut. Steven Pinker

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