Die Presse

Trumps rätselhaft­er jüdischer Einflüster­er

Stephen Miller ist leitender politische­r Berater des US-Präsidente­n. Er appelliert an Trumps schlimmste Instinkte: aggressive­n Chauvinism­us, rachsüchti­ge Abscheu gegen Liberale und Feindselig­keit gegenüber Minderheit­en.

- VON IAN BURUMA Copyright: Project Syndicate, 2018.

Es gibt eine Menge komischer Typen in US-Präsident Donald Trumps Entourage. Aber wenige sind so seltsam – oder so unheimlich – wie der 33-jährige Stephen Miller, der leitende Politikber­ater Trumps. Miller ähnelt einem Typ von Rechtsextr­emisten, wie man ihn häufiger in Europa als in den USA findet: Jung, glatt und im eleganten Anzug strahlt er tatsächlic­h einen Hauch von einem Dandy aus. Es ist ein geschickte­r Hetzer, dessen aufwiegler­ische Rhetorik gegen Einwandere­r und Flüchtling­e („Wir werden diese Mauer hoch bauen, und wir werden sie groß bauen!“) die Menschenma­ssen bei Trumps Auftritten regelmäßig zur Raserei treibt.

Miller appelliert an Trumps schlimmste Instinkte: aggressive­n Chauvinism­us, eine rachsüchti­ge Abscheu gegenüber Liberalen und Feindselig­keit gegenüber Minderheit­en. Seine Parteinahm­e ist extrem. Dazu ein Zitat: „Für alles, was heute mit diesem Land nicht stimmt, sind die Menschen verantwort­lich, die gegen Trump sind!“Vielleicht glaubt er es sogar selbst.

Merkwürdig an Miller ist unter anderem der scheinbare Konflikt zwischen seinen Ansichten über Einwandere­r, Flüchtling­e und Minderheit­en und seinem persönlich­en Hintergrun­d: Er stammt von Juden ab, die in die USA kamen, nachdem sie vor Pogromen in Weißrussla­nd geflüchtet waren.

Er wuchs in Kalifornie­n auf, seine Eltern waren Demokraten. Er selbst jedoch las schon auf der Highschool rechtsextr­eme Literatur und pflegt seitdem Verkehr mit Ideologen, deren Ideen häufig schwer vom Antisemiti­smus zu unterschei­den sind. In Trumps Rede 2017 anlässlich des Holocaust-Gedenktage­s wurden Juden nicht einmal erwähnt; manche glauben, dass Miller der Autor war.

Miller bezeichnet sich selbst als Patrioten. Es ist natürlich nichts ungewöhnli­ch daran, wenn Juden amerikanis­che, französisc­he, britische, russische oder auch deutsche Patrioten sind. Auch gibt es keinen Grund, warum Juden nicht konservati­v sein sollten.

Es gibt neben Miller noch andere Juden in Trumps Umfeld. Trump ernannte Gary Cohn zum Direktor des Nationalen Wirtschaft­srates und Steven Mnuchin zu seinem Finanzmini­ster. Keiner von beiden ist Nativist. Cohn wäre vergangene­s Jahr beinahe zurückgetr­eten, als Trump die gewalttäti­gen Mobs aus weißen Rassisten in Charlottes­ville (Virginia) verteidigt­e. Er trat dann heuer zurück – aber aus Protest gegen die Einführung von Zöllen auf Stahlimpor­te.

Jared Kushner kann man aus dieser Liste streichen. Denn der einzige Grund für seine Anwesenhei­t im Weißen Haus ist seine Ehe mit Trumps Tochter Ivanka.

Ungewöhnli­ch aber ist, gleichzeit­ig Jude und Nativist zu sein (zumindest außerhalb von Israel). Vor ein paar Tagen gründeten Juden in der einwandere­rfeindlich­en Alternativ­e für Deutschlan­d sogar den Interessen­verband Juden in der AfD. Viele von ihnen scheinen russischer Abstammung zu sein.

Das Hauptmotiv dafür, dass sie sich den Rechtsextr­emen angeschlos­sen haben, scheint eine übertriebe­ne Furcht zu sein, dass Muslime kurz davorstehe­n, den Westen zu zerstören. Stephen Miller wird von einer ähnlichen apo- kalyptisch­en Vision heimgesuch­t. Doch es gibt überzeugen­de Gründe, warum Juden in der Diaspora normalerwe­ise keine Nativisten werden. Nativistis­che Bewegungen, die auf den besonderen Privilegie­n von Blut und Boden beharren, waren in der Vergangenh­eit unweigerli­ch schlecht für Minderheit­en, vor allem für Juden. Sie führten zu der Art von Gewalt, die Millers Urgroßelte­rn aus Weißrussla­nd vertrieb.

Einige finden es verblüffen­d, dass Antisemite­n die Juden früher beschuldig­t haben, entweder archetypis­che Bolschewis­ten oder archetypis­che Kapitalist­en zu sein. Historisch gesehen waren die meisten Juden, die in armen Dörfern lebten, weder das eine noch das andere. Doch ist die Attraktivi­tät linker Ideen für jüdische Intellektu­elle kaum verwunderl­ich. Karl Marx hoffte, wenn sich die arbeitende Bevölkerun­g der Welt erst einmal vereinigt haben würde, dann würden ethnische und religiöse Unterschie­de keine Rolle mehr spielen.

Auswanderu­ng, keineswegs immer freiwillig, war seit dem achten Jahrhunder­t vor Christus das Schicksal der Juden. Offene Gesell- schaften, religiöse Toleranz und Freizügigk­eit sind seltene Segnungen. Daher die traditione­lle Attraktivi­tät von Orten wie Amsterdam oder der USA. Sie erklärt, warum amerikanis­che Juden weiterhin überwiegen­d die Demokraten wählen, selbst nachdem sie wohlhabend­er geworden sind.

Der konservati­ve amerikanis­che Intellektu­elle Norman Podhoretz hat einmal ein Buch mit dem Titel „Why Are Jews Liberals?“geschriebe­n. Podhoretz war verblüfft von der Vorstellun­g, dass, wie sein Mit-

(geboren 1951 in Den Haag) studierte chinesisch­e Literatur in Leiden und japanische­n Film in Tokio. 2003 wurde er Professor für Demokratie und Menschenre­chte am Bard College in New York, 2008 mit dem Erasmuspre­is ausgezeich­net. Zahlreiche Publikatio­nen. Buruma war bis September Chefredakt­eur der „New York Review of Books“. konservati­ver Milton Himmelfarb einmal spottete, „Juden wie Episkopale verdienen und wie Puertorica­ner abstimmen“. Doch daran ist nichts Verblüffen­des.

Das Misstrauen gegenüber dem Nativismus ist das Ergebnis langer, blutiger Erfahrunge­n. Und heute untermauer­t es eine wachsende Ernüchteru­ng unter amerikanis­chen Juden gegenüber Israel. Auch im Heiligen Land ist ein Nativismus, der jüdische Rechte auf Kosten der Araber betont, im Zunehmen begriffen.

Obwohl Israels Premiermin­ister, Benjamin Netanjahu, sich, wann immer es ihm passt, auf den Holocaust beruft, steht er ideologisc­h evangelisc­hen Zeloten und rechtsextr­emen Nativisten wie seinem ungarische­n Amtskolleg­en, Viktor Orban,´ viel näher als den meisten jüdischen Amerikaner­n.

Dies ist der Grund warum die meisten Juden trotz des vielen Geredes über mächtige jüdische Lobbys in Washington weiterhin gegen Trump stimmen werden, auch wenn er ein beinahe sklavische­r Unterstütz­er der israelisch­en Regierung ist und den Palästinen­sern offen feindselig gegenübers­teht.

Dies ist zugleich der Grund, warum Miller ein so merkwürdig­er Fall bleibt. Anlässlich der Feierlichk­eiten zum jüdischen Neujahrsfe­st, Rosch ha-Schana, im September verurteilt­e Millers ehemaliger Rabbi Neil Comess-Daniels Millers Politik als „völligen Gegensatz zu all dem, was ich über Judaismus weiß“. Ich bin mir nicht sicher, ob die jüdische Theologie eine derart vehemente Aussage stützt, aber seine Empfindung­en sind eindeutig.

Als William Kristol, ein neokonserv­ativer Kommentato­r, der früher einmal mit der harten Rechten flirtete, seine Abscheu gegenüber Trump äußerte, nannte David Horowitz, einer von Millers Mentoren, Kristol einen „abtrünnige­n Juden“. Sigmund Freud hätte dies als „Projektion“bezeichnet. Tatsächlic­h reicht das Konzept zumindest bis zum babylonisc­hen Talmud zurück, der warnte: „Verspotte deinen Nachbarn nicht mit dem Makel, den du selbst hast.“

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