Wer „Islamophobie“sagt, will Religionskritik unterbinden
Der Begriff unterstellt Islamkritikern eine Angststörung und disqualifiziert ihre Argumente als irrational. Er nützt den Islamisten, schadet aber liberalen Muslimen.
In der Sowjetunion landeten Dissidenten in den psychiatrischen Sonderkrankenhäusern des Innenministeriums. Wer den Sozialismus ablehnte, wurde für verrückt erklärt. In Putins Russland werden Widerspenstige nicht mehr in Sonderanstalten, sondern in regulären Kliniken zwangspsychiatriert. Andrei Shasherin aus dem westsibirischen Barnaul zum Beispiel wurde im August in eine geschlossene Anstalt eingeliefert, weil seine Postings im Internet angeblich „die Gefühle der Gläubigen verletzten und Hass schürten“.
Mit der Religionskritik ist das so eine Sache. In der EU gilt Blasphemie, bezogen auf das Christentum im Allgemeinen und auf die katholische Kirche im Besonderen, schon lange als Ausweis fortschrittlicher Gesinnung. Sozial auffällig ist hierzulande nicht, wer den Katholizismus verspottet, sondern wer sich zu ihm bekennt.
Anders verhält es sich mit dem Islam. Während in mehreren islamischen Ländern Apostasie und Atheismus mit dem Tod bedroht werden, achtet man bei uns sorgfältig darauf, nur ja nicht muslimische Gefühle zu verletzen. Für die Scharia ist es ein Kapitalverbrechen, den Islam infrage zu stellen. 2005 gab es 100 Tote bei den weltweiten Unruhen, die wegen ein paar Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung ausbrachen.
Im Jänner 2015 stürmten Islamisten die Redaktion von „Charlie Hebdo“und ermordeten zwölf Menschen. Es macht halt einen Unterschied, ob man eine Blindschleiche am Schwanz packt oder eine Klapperschlange.
Auf die Dauer wirkungsvoller und populärer als der Terror ist es allerdings, Kritiker als islamophob hinzustellen. Eine Phobie ist eine Angststörung. Heftige Phobien sind therapiebedürftig. Islamophobie suggeriert eine mentale Störung – ähnlich der Kritik am Sozialismus in der Sowjetunion. Damit erübrigt sich jede Diskussion, denn mit den Argumenten von Phobikern muss man sich nicht erst auseinandersetzen.
Tatsächlich ist die Islamkritik seit den Anfängen der islamischen Expansion im siebten Jahrhundert ein fester Bestandteil der europäischen Geistesgeschichte. Ihren Höhepunkt hatte sie in den Schriften der Aufklärung. Den künstlichen Begriff der Islamophobie hingegen rückte erst der Runnymede Trust, ein antirassistischer Thinktank in Großbritannien, ins Zentrum der Debatte. Das war 1997.
Seither setzte sich der Begriff in akademischen Studien fest, wurde von den Medien übernommen und ging mittlerweile sogar in den Sprachgebrauch der Behörden ein. Islamophobie legt nahe, dass Islamkritik ein rassistisches, dem Antisemitismus vergleichbares Phänomen sei. Das ist Unsinn. Der Islam ist weder eine Rasse noch eine Ethnie noch eine ethnischreligiöse Gruppe.
Nirgendwo im Westen werden Muslime unterdrückt, hingegen werden Christen in fast allen islamischen Ländern massiv diskriminiert, in vielen müssen sie um ihr Leben fürchten. Von einer islamischen Christianophobie ist dennoch nicht die Rede. Als islamophobisch gilt heute, wer den Islam der westlichen Kultur weder für überlegen noch für gleichwertig hält, wer islamische Kritik an der westlichen Lebensart und insbesondere an der Meinungsund Religionsfreiheit zurückweist und wer den politischen Islam als eine totalitäre Ideologie bekämpft, die mit der freiheitlichen Ordnung unvereinbar ist.
So falsch es ist, Islam mit „den Muslimen“gleichzusetzen, so gefährlich ist es, die von ihm ausgehende Bedrohung zu unterschätzen.
In der Kategorie „der guten Subjekte der Geschichte“, schreibt Pascal Bruckner, nähmen Muslime heute die Rolle ein, „die einst Proletarier, Guerilleros und Verdammte der Erde spielten“. Es ist ein Witz der Geschichte, dass ausgerechnet die Linke, die von sich behauptet, als einzige das Erbe der Aufklärung zu verwalten, den rückständigsten Islam in Schutz nimmt. Am allermeisten aber schaden die Linken damit den liberalen, aufgeklärten Muslimen.