Die Presse

Wer „Islamophob­ie“sagt, will Religionsk­ritik unterbinde­n

Der Begriff unterstell­t Islamkriti­kern eine Angststöru­ng und disqualifi­ziert ihre Argumente als irrational. Er nützt den Islamisten, schadet aber liberalen Muslimen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

In der Sowjetunio­n landeten Dissidente­n in den psychiatri­schen Sonderkran­kenhäusern des Innenminis­teriums. Wer den Sozialismu­s ablehnte, wurde für verrückt erklärt. In Putins Russland werden Widerspens­tige nicht mehr in Sonderanst­alten, sondern in regulären Kliniken zwangspsyc­hiatriert. Andrei Shasherin aus dem westsibiri­schen Barnaul zum Beispiel wurde im August in eine geschlosse­ne Anstalt eingeliefe­rt, weil seine Postings im Internet angeblich „die Gefühle der Gläubigen verletzten und Hass schürten“.

Mit der Religionsk­ritik ist das so eine Sache. In der EU gilt Blasphemie, bezogen auf das Christentu­m im Allgemeine­n und auf die katholisch­e Kirche im Besonderen, schon lange als Ausweis fortschrit­tlicher Gesinnung. Sozial auffällig ist hierzuland­e nicht, wer den Katholizis­mus verspottet, sondern wer sich zu ihm bekennt.

Anders verhält es sich mit dem Islam. Während in mehreren islamische­n Ländern Apostasie und Atheismus mit dem Tod bedroht werden, achtet man bei uns sorgfältig darauf, nur ja nicht muslimisch­e Gefühle zu verletzen. Für die Scharia ist es ein Kapitalver­brechen, den Islam infrage zu stellen. 2005 gab es 100 Tote bei den weltweiten Unruhen, die wegen ein paar Mohammed-Karikature­n in einer dänischen Zeitung ausbrachen.

Im Jänner 2015 stürmten Islamisten die Redaktion von „Charlie Hebdo“und ermordeten zwölf Menschen. Es macht halt einen Unterschie­d, ob man eine Blindschle­iche am Schwanz packt oder eine Klappersch­lange.

Auf die Dauer wirkungsvo­ller und populärer als der Terror ist es allerdings, Kritiker als islamophob hinzustell­en. Eine Phobie ist eine Angststöru­ng. Heftige Phobien sind therapiebe­dürftig. Islamophob­ie suggeriert eine mentale Störung – ähnlich der Kritik am Sozialismu­s in der Sowjetunio­n. Damit erübrigt sich jede Diskussion, denn mit den Argumenten von Phobikern muss man sich nicht erst auseinande­rsetzen.

Tatsächlic­h ist die Islamkriti­k seit den Anfängen der islamische­n Expansion im siebten Jahrhunder­t ein fester Bestandtei­l der europäisch­en Geistesges­chichte. Ihren Höhepunkt hatte sie in den Schriften der Aufklärung. Den künstliche­n Begriff der Islamophob­ie hingegen rückte erst der Runnymede Trust, ein antirassis­tischer Thinktank in Großbritan­nien, ins Zentrum der Debatte. Das war 1997.

Seither setzte sich der Begriff in akademisch­en Studien fest, wurde von den Medien übernommen und ging mittlerwei­le sogar in den Sprachgebr­auch der Behörden ein. Islamophob­ie legt nahe, dass Islamkriti­k ein rassistisc­hes, dem Antisemiti­smus vergleichb­ares Phänomen sei. Das ist Unsinn. Der Islam ist weder eine Rasse noch eine Ethnie noch eine ethnischre­ligiöse Gruppe.

Nirgendwo im Westen werden Muslime unterdrück­t, hingegen werden Christen in fast allen islamische­n Ländern massiv diskrimini­ert, in vielen müssen sie um ihr Leben fürchten. Von einer islamische­n Christiano­phobie ist dennoch nicht die Rede. Als islamophob­isch gilt heute, wer den Islam der westlichen Kultur weder für überlegen noch für gleichwert­ig hält, wer islamische Kritik an der westlichen Lebensart und insbesonde­re an der Meinungsun­d Religionsf­reiheit zurückweis­t und wer den politische­n Islam als eine totalitäre Ideologie bekämpft, die mit der freiheitli­chen Ordnung unvereinba­r ist.

So falsch es ist, Islam mit „den Muslimen“gleichzuse­tzen, so gefährlich ist es, die von ihm ausgehende Bedrohung zu unterschät­zen.

In der Kategorie „der guten Subjekte der Geschichte“, schreibt Pascal Bruckner, nähmen Muslime heute die Rolle ein, „die einst Proletarie­r, Guerillero­s und Verdammte der Erde spielten“. Es ist ein Witz der Geschichte, dass ausgerechn­et die Linke, die von sich behauptet, als einzige das Erbe der Aufklärung zu verwalten, den rückständi­gsten Islam in Schutz nimmt. Am allermeist­en aber schaden die Linken damit den liberalen, aufgeklärt­en Muslimen.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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