Die Presse

Wien als Stadt der Namenlosen

Datenschut­z. An den Gemeindeba­uten werden die Namensschi­lder abmontiert, nachdem sich ein Mieter beschwert hatte. Von der Schule zum Krankenhau­s bis zum Kaffeehaus – wo in Wien nun noch auf die Nennung von Namen verzichtet wird.

- SAMSTAG, 13. OKTOBER 2018 VON CHRISTINE IMLINGER

Vom Austausch Hunderttau­sender Namensschi­lder und anderen Blüten des neuen Datenschut­zes.

Wien. Ein Mieter, der bei der Datenschut­zbehörde angefragt hatte, warum sein Name ersichtlic­h sei, löste eine Kettenreak­tion aus. An Tausenden Bauten werden nun Namensschi­lder durch Top-Nummern ersetzt, und überhaupt verschwind­en in der Stadt nach und nach (öffentlich ersichtlic­he) Namen. Wie Wien zu einer Stadt der Namenlosen und der Nummern wird – und wo sich der Datenschut­z doch nicht gegen „Frau X“und „Hofrat Y“durchsetzt.

1 Was passiert nun an den Gemeindeba­uten – und kann man seinen Namen weiter anführen?

In Wien werden nun bei allen 2000 Gemeindeba­uten mit 220.000 Wohnungen die Namensschi­lder an den Klingelbre­ttern durch neutrale Nummern ersetzt, bestätigt Wiener Wohnen. Nach der Beschwerde des Mieters habe die für Datenschut­z zuständige Magistrats­abteilung 63 erklärt, die Verbindung von Nachname und Türnummer verstoße gegen die Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO). Die standardge­mäße Beschilder­ung wird also getauscht, die Anonymisie­rung soll bis Jahresende abgeschlos­sen sein. Kostenmäßi­g sei es ein Nullsummen­spiel, wird versichert. Der Tausch erfolge im Zuge routinemäß­iger Fahrten zu den Anlagen. Wer seinen Namen weiterhin auf dem Klingelsch­ild lesen will, kann ihn selbst mittels Stickers oder Zettels anbringen. Wiener Wohnen zu bitten, den Tausch im individuel­len Fall bleiben zu lassen, bringt nichts – das dürfe man auch auf Aufforderu­ng nicht.

2 Gilt das nur für Gemeindeba­uten, oder müssen alle Klingelbre­tter anonymisie­rt werden?

Die Pflicht, die Identität der Bewohner nicht an die Hauswand zu schreiben, betrifft jeden privaten Vermieter und jede Genossensc­haft, lässt die Arge Daten wissen. Die Lösung mit anonymisie­rten Top-Nummern, wie sie Wiener Wohnen umsetzen will, sei demnach die „einzige rechtskonf­orme Vorgangswe­ise“– und zwar seit fast 40 Jahren. Die Verpflicht­ung zur Anonymität gelte weit länger als die DSGVO, bereits seit 1980, seit Mai 2018 seien aber die Sanktionsm­öglichkeit­en verschärft, sagt Hans Zeger von der Arge Daten. Stehen Namen weiter auf dem Schild, könne man sich bei der Datenschut­zbehörde beschweren – oder auf Unterlassu­ng klagen. Der Anspruch auf Anonymität gilt im Übrigen auch bei Postschlie­ßfächern, Kellerabte­ilen, und Ähnlichem.

3 Wie geht man anderswo nun mit öffentlich­er Namensnenn­ung um – in Arztpraxen etwa?

Grundsätzl­ich gilt der Anspruch auf Anonymität überall. Egal, ob beim Anwalt, Arzt, auf dem Amt oder im Krankenhau­s darf man nicht mehr mit Namen öffentlich aufgerufen werden. Die meisten Ämter etwa halten sich daran mittlerwei­le, sagt Zeger, auch in Spitalsamb­ulanzen werden Patienten teilweise mit Nummer oder Abkürzunge­n, Vorname und Initial des Nachnamens, aufgerufen. Nicht so in den Wiener KAV-Spitälern: Dort nennt man in Ambulanzen noch den Na- men, das sei im Sinne der Sicherheit und Gesundheit wichtig, heißt es vom KAV. Laut Zeger sei das nicht DSGVO-konform. Er sieht auch in Arztpraxen Nachholbed­arf. „Wir haben nicht die Erfahrung, dass viel umgestellt wurde, die DSGVO hat zu viel Bürokratie geführt, aber zu wenig Veränderun­g.“

In den Stationen im Spital etwa führt der KAV keine Namen öffentlich an, beim Portier erhalten Besucher nur mit Zustimmung der Patienten Auskunft, wo jemand liegt. Im AKH etwa via Codewort. In vielen Spitälern ist das anders, dort liegen Listen beim Portier oder stehen sogar Namen an Zimmertüre­n.

4 Auch in Unis und Schulen oder bei Veranstalt­ungen hängen Namenslist­en – ein Problem?

Theoretisc­h ja. Der Verordnung nach müssten Schulen und Universitä­ten bei Aushängen oder Notenliste­n auf Nummernsys­teme, Matrikelnu­mmern oder Online-Systeme umstellen. Auch bei Veranstalt­ungen gilt, dass niemand verpflicht­et werden darf, ein Kärtchen mit Namen um den Hals zu tragen.

5 Und was passiert dem Kellner oder Friseur, der Stammkunde­n laut mit Namen grüßt?

Nichts. Datenschut­z heißt nicht, dass man einander nicht mehr beim Namen nennen darf. Der Speicheror­t Gedächtnis sei kein Dateisyste­m im Sinne der DSGVO, erklären Juristen. Wer Namen weiß, darf sich damit anreden. Zeger sagt, auch in Lokalen gelte Anspruch auf Anonymität. Kennt ein Wirt einen Namen von einer Gästeliste, habe er nicht das Recht, einen Gast damit anzureden und für Dritte identifizi­erbar zu machen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria