Wien als Stadt der Namenlosen
Datenschutz. An den Gemeindebauten werden die Namensschilder abmontiert, nachdem sich ein Mieter beschwert hatte. Von der Schule zum Krankenhaus bis zum Kaffeehaus – wo in Wien nun noch auf die Nennung von Namen verzichtet wird.
Vom Austausch Hunderttausender Namensschilder und anderen Blüten des neuen Datenschutzes.
Wien. Ein Mieter, der bei der Datenschutzbehörde angefragt hatte, warum sein Name ersichtlich sei, löste eine Kettenreaktion aus. An Tausenden Bauten werden nun Namensschilder durch Top-Nummern ersetzt, und überhaupt verschwinden in der Stadt nach und nach (öffentlich ersichtliche) Namen. Wie Wien zu einer Stadt der Namenlosen und der Nummern wird – und wo sich der Datenschutz doch nicht gegen „Frau X“und „Hofrat Y“durchsetzt.
1 Was passiert nun an den Gemeindebauten – und kann man seinen Namen weiter anführen?
In Wien werden nun bei allen 2000 Gemeindebauten mit 220.000 Wohnungen die Namensschilder an den Klingelbrettern durch neutrale Nummern ersetzt, bestätigt Wiener Wohnen. Nach der Beschwerde des Mieters habe die für Datenschutz zuständige Magistratsabteilung 63 erklärt, die Verbindung von Nachname und Türnummer verstoße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die standardgemäße Beschilderung wird also getauscht, die Anonymisierung soll bis Jahresende abgeschlossen sein. Kostenmäßig sei es ein Nullsummenspiel, wird versichert. Der Tausch erfolge im Zuge routinemäßiger Fahrten zu den Anlagen. Wer seinen Namen weiterhin auf dem Klingelschild lesen will, kann ihn selbst mittels Stickers oder Zettels anbringen. Wiener Wohnen zu bitten, den Tausch im individuellen Fall bleiben zu lassen, bringt nichts – das dürfe man auch auf Aufforderung nicht.
2 Gilt das nur für Gemeindebauten, oder müssen alle Klingelbretter anonymisiert werden?
Die Pflicht, die Identität der Bewohner nicht an die Hauswand zu schreiben, betrifft jeden privaten Vermieter und jede Genossenschaft, lässt die Arge Daten wissen. Die Lösung mit anonymisierten Top-Nummern, wie sie Wiener Wohnen umsetzen will, sei demnach die „einzige rechtskonforme Vorgangsweise“– und zwar seit fast 40 Jahren. Die Verpflichtung zur Anonymität gelte weit länger als die DSGVO, bereits seit 1980, seit Mai 2018 seien aber die Sanktionsmöglichkeiten verschärft, sagt Hans Zeger von der Arge Daten. Stehen Namen weiter auf dem Schild, könne man sich bei der Datenschutzbehörde beschweren – oder auf Unterlassung klagen. Der Anspruch auf Anonymität gilt im Übrigen auch bei Postschließfächern, Kellerabteilen, und Ähnlichem.
3 Wie geht man anderswo nun mit öffentlicher Namensnennung um – in Arztpraxen etwa?
Grundsätzlich gilt der Anspruch auf Anonymität überall. Egal, ob beim Anwalt, Arzt, auf dem Amt oder im Krankenhaus darf man nicht mehr mit Namen öffentlich aufgerufen werden. Die meisten Ämter etwa halten sich daran mittlerweile, sagt Zeger, auch in Spitalsambulanzen werden Patienten teilweise mit Nummer oder Abkürzungen, Vorname und Initial des Nachnamens, aufgerufen. Nicht so in den Wiener KAV-Spitälern: Dort nennt man in Ambulanzen noch den Na- men, das sei im Sinne der Sicherheit und Gesundheit wichtig, heißt es vom KAV. Laut Zeger sei das nicht DSGVO-konform. Er sieht auch in Arztpraxen Nachholbedarf. „Wir haben nicht die Erfahrung, dass viel umgestellt wurde, die DSGVO hat zu viel Bürokratie geführt, aber zu wenig Veränderung.“
In den Stationen im Spital etwa führt der KAV keine Namen öffentlich an, beim Portier erhalten Besucher nur mit Zustimmung der Patienten Auskunft, wo jemand liegt. Im AKH etwa via Codewort. In vielen Spitälern ist das anders, dort liegen Listen beim Portier oder stehen sogar Namen an Zimmertüren.
4 Auch in Unis und Schulen oder bei Veranstaltungen hängen Namenslisten – ein Problem?
Theoretisch ja. Der Verordnung nach müssten Schulen und Universitäten bei Aushängen oder Notenlisten auf Nummernsysteme, Matrikelnummern oder Online-Systeme umstellen. Auch bei Veranstaltungen gilt, dass niemand verpflichtet werden darf, ein Kärtchen mit Namen um den Hals zu tragen.
5 Und was passiert dem Kellner oder Friseur, der Stammkunden laut mit Namen grüßt?
Nichts. Datenschutz heißt nicht, dass man einander nicht mehr beim Namen nennen darf. Der Speicherort Gedächtnis sei kein Dateisystem im Sinne der DSGVO, erklären Juristen. Wer Namen weiß, darf sich damit anreden. Zeger sagt, auch in Lokalen gelte Anspruch auf Anonymität. Kennt ein Wirt einen Namen von einer Gästeliste, habe er nicht das Recht, einen Gast damit anzureden und für Dritte identifizierbar zu machen.