Die Wahl 2017 – eine Zäsur?
Vor einem Jahr fand die Nationalratswahl statt. Sie hat Österreich, seine Parteien und ein Stück weit auch Europa verändert. Einen echten Hegemoniewechsel gab es aber nicht.
Hat sich das Land verändert seit dem 15. Oktober 2017? Den Zahlen nach nicht wirklich. Die ÖVP kam bei der Nationalratswahl auf 31,47 Prozent, die SPÖ auf 26,86 Prozent, die FPÖ auf 25,97 Prozent, die Neos erlangten 5,30 Prozent, die Grünen 3,80 Prozent, die Liste Pilz kam auf 4,41 Prozent. In einer Anfang Oktober 2018 durchgeführten Umfrage von GfK Austria (1500 Befragte) – diese macht auch Meinungsforschung für die ÖVP – kommt die ÖVP auf 33 Prozent, die SPÖ auf 27 bis 28 Prozent, die FPÖ auf 23 bis 24 Prozent, die Neos kommen auf sieben Prozent, die Grünen auf fünf Prozent, die Liste Pilz erreicht zwei Prozent.
Es blieb also alles mehr oder weniger im Rahmen: Die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ sind stabil, die stärkste Oppositionspartei, die SPÖ, ist es auch.
Und doch hat sich viel getan: ÖVP und FPÖ waren im Wahlkampf noch Gegner gewesen und hatten noch dazu mit demselben Thema – Migration – um Wähler geworben. Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz hatten auch persönlich ein sehr distanzier- tes Verhältnis. Im Zuge der Koalitionsverhandlungen lernten Kurz und Strache einander dann kennen – und schätzen.
Vor allem aber: In den Oppositionsparteien blieb kein Stein auf dem anderen – also kein Parteichef Parteichef. Zuerst folgte bei den Grünen Werner Kogler auf Ingrid Felipe. Dann bei den Neos Beate Meinl-Reisinger auf Matthias Strolz. Zwischendurch übernahm Maria Stern offiziell die Parteiführung der Liste Pilz. Und zuletzt wurde Christian Kern an der Spitze der SPÖ von Pamela Rendi-Wagner ersetzt.
Klimatisch war das Jahr nach der Wahl eines großer Aufregung. Teils von der Regierung, insbesondere der FPÖ, selbst verursacht, teils von den Gegnern aufgebauscht. Diese Koalition polarisiert das Land. Und auch darüber hinaus.
Wenn vom Siegeszug des Rechtspopulismus die Rede ist, wird Österreich in einer Reihe mit den USA, Italien, Ungarn, Polen genannt. Allerdings gilt Sebastian Kurz auch als das Role Model eines modernen Konservativen, der den Rechtspopulisten das wichtigste Thema – Migration – abgenommen, realpolitisch aber auch keine Scheu hat, mit ihnen zu koalieren. Ein Modell, das gerade auch in Deutschland genau beobachtet wird. Von jenen in der CDU, die mit Angela Merkel unglücklich sind – und auch von deren Gegnern. Der deutsche TV-Komiker Jan Böhmermann beispielsweise hat in Sebastian Kurz ein neues Lieblingsfeindbild entdeckt. Das Satiremagazin „Titanic“dämonisierte ihn gar als „Baby-Hitler“.
Zwischen Merkel und Orban
Kurz selbst versucht es mit einem Mittelweg, einem Spagat zwischen Angela Merkel und Viktor Orban.´ Er hält an einer starken EUBindung fest, in der Migrationspolitik teilt er jedoch durchaus die ungarische Position. Und der Kompromiss hat auch einen Namen: Mark Rutte. Den rechtsliberalen niederländischen Premierminister erklärt Kurz gern zu seinem echten Vorbild.
Österreich ist nach rechts gerückt. Eine rechte Mehrheit gab es zwar schon immer (die Kreisky-Ära ausgenommen), aber nun sind die beiden großen Parteien rechts der Mitte auch gewillt, sie gemeinsam einzusetzen. Und so harmonisch – nach außen, aber auch nach innen – war eine Regierung schon lang nicht mehr.
Beiden Parteien ist es gelungen, eine Allianz von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu schmieden. Sowohl Unternehmer als auch Arbeiter wählten bei der Wahl 2017 überdurchschnittlich oft ÖVP und FPÖ. Davon, ob diese Allianz – des Kapitals mit der Arbeiterklasse, wenn man so will – hält, wird der künftige Erfolg bei Wahlen abhängen.
Ein echter Paradigmenwechsel war die Zeit nach dem 15. Oktober 2017 aber (noch) nicht: Die linke Hegemonie in weiten Teilen der öffentlichen Meinung – die Boulevardmedien ausgenommen – wurde bisher nicht durch eine rechte ersetzt. Den Regierungsparteien ist es gelungen, die Herzen von fast sechzig Prozent der Wähler zu erreichen, die Köpfe der Intellektuellen jedoch nicht.