Wenn Schwangere stehen müssen
Spital. Die Vorständin der Gyn-Geburtshilfe im Wilhelminenspital über kulturelle Konflikte.
Die Presse: Bei wie vielen Patientinnen gibt es Sprachprobleme? Barbara Maier: Laut Geburtenregister haben 2016 im Wilhelminenspital 13,6 Prozent der Gebärenden als Muttersprache Deutsch angegeben. Natürlich sprechen sehr viel mehr Frauen Deutsch, aber man kann sich ungefähr ein Bild machen, wie häufig Sprachprobleme vorkommen. Wobei auf der Gyn-Geburtshilfe auch unter uns Ärztinnen, Hebammen und Schwestern Angehörige verschiedener Kulturen mit insgesamt 15 Sprachen vertreten sind.
Ein mehrsprachiges Team ist bei der Ausgangslage sicher praktisch. Ja, aber Geburtshilfe ist ein Nachtjob, und nicht immer hat die sprachlich passende Mitarbeiterin Dienst. In der Nacht sind auch Dolmetscher nicht auf Abruf vorhanden. Teilweise wird dann mit dem Handy gedolmetscht, manchmal helfen Angehörige, die aber nicht immer alles übersetzen können. Angehörige sind entweder die Partner, die häufiger und besser Deutsch können als ihre Frauen, oder die Kinder, wobei es nicht angeht, dass ein halbwüchsiger Sohn für seine Mutter übersetzen muss. Es gibt auch Analphabetinnen. Da arbeiten wir mit Piktogrammen. Das stelle ich mir im Notfall schwierig vor. Im Notfall ist nicht Zeit für lange Anamnesen und komplexe Erklärungen. Hier kommt es vor allem darauf an, dass uns die Patientinnen vertrauen.
Abgesehen von der Sprache – gibt es so etwas wie kulturelle Barrieren? Manche Frauen wollen nur von Frauen behandelt werden, wobei das auch ein Wunsch einer Österreicherin sein kann. Wir versuchen das, wo immer möglich, zu berücksichtigen und da unser ärztliches Team bis auf drei Männer aus Frauen besteht, ist das meist gewährleistet. Aber es gibt keinen Anspruch darauf. Denn wenn ein Facharzt mit einer Ausbildungsassistentin im Dienst ist und eine schwierigere Intervention notwendig ist, dann kann die Assistentin, weil noch unerfahren, das nicht lösen. Unsere Patientinnen wissen, dass für sie auch ein Arzt infrage kommen kann, wir informieren sie schriftlich bei der Geburtsanmeldung. Aber wenn jemand in einer Notsituation kommt, muss man handeln.
Hat eine Patientin schon einmal gesagt: Dann geh ich wieder? Ein Mann hat das einmal gesagt. Seine Frau wollte bei uns gebären, und er wollte nicht, dass der Kollege, der im Dienst war, sie unter- sucht. Der Mann wollte dann den Chef sprechen – und „der“Chef, der bin nun einmal ich. Ich habe ihm gesagt: Der Muttermund ist drei bis vier Zentimeter geöffnet, es ist noch möglich, seine Frau in ein Privatkrankenhaus zu fahren und dort eine Ärztin zu verlangen. Aber er ist natürlich geblieben. Letztlich kam es zu einer Hebammengeburt ohne ärztlichen Interventionsbedarf.
Gibt es zwischen Ärztinnen und männlichen Angehörigen mitunter ein Respektproblem? Manchmal, auch wenn es nicht immer offensichtlich ist. Man merkt es an der Ungeduld, am Hinterfragen der Kompetenz. Mit den Frauen selbst arbeiten wir sehr gut zusammen. Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann eher mit Begleitpersonen.
Können Sie Beispiele nennen? Zum Beispiel, wenn ein Vater bestimmen will, dass seine Tochter die Schwangerschaft behalten soll, sie aber nicht möchte. In solchen Fällen holen wir uns über FEM Hilfe (Anm.: Verein Frauengesundheitszentrum). Oder es werden Wartezeiten nicht toleriert. Oder es gibt kein Verständnis, dass wir eine Anmeldung zur Geburt nicht mehr annehmen können. Da kann es sogar zu leicht aggressiven Akten kommen.
Was heißt „leicht aggressiv“? Beschimpfungen, Drohungen, z. B. wird auf den Kalender gespuckt. Es ist auch schon zu Handgreiflichkeiten gekommen, aber das sind Ausnahmen. Allerdings ist das in manchen Kulturen vermittelte Frauenbild manchmal schon eine Herausforderung, z. B. wenn ich durch den Wartebereich gehe und dort Männer sitzen und am Handy spielen, während die schwangeren Frauen stehen. Wenn ich durchgehe, fordere ich sie auf, für ihre Frauen Platz zu machen. Aber manche Frauen trauen sich dann oft gar nicht, sich hinzusetzen.
Gibt es nur mit Männern Probleme? Nein, auch mit anderen Angehörigen. Es gibt z.B. Schwiegermütter, die sich über die Betreuung aufregen. Ich setze mich mit einer Beschwerde von Patientinnen jederzeit auseinander, aber nicht mit Vorwürfen, die weder von der Betroffenen kommen noch ihr recht sind. Bei solchen Problemen spielt aber mehr der soziale als der kulturelle Hintergrund eine Rolle. „Die Frau mit Migrationshintergrund“gibt es ja gar nicht.
Ich nehme an, Besuchszeiten und Anzahl der Besucher sind auf einer Geburtsstation ein großes Thema. Ja. Da natürlich alle Angehörigen – und das sind in manchen Kulturen sehr viele – das Neugeborene sehen wollen, haben wir sehr großzügige Besuchszeiten. Gleichzeitig brauchen aber in einem Mehrbettzimmer die Frauen und ihre Kinder Ruhe. Darauf weisen wir sehr vorsichtig hin. Trotzdem kommt nicht selten das Killerargument: Weil wir keine Österreicher sind, dürfen von uns weniger Besucher kommen. Was natürlich nicht stimmt, Besuchszeiten sind für alle einzuhalten. Auch im Kreißsaal haben wir das Problem. Da wollen gleich drei, vier Leute zur Geburt mitkommen, gleich nach der Geburt hineinstürmen. Dabei liegen im Kreißsaal, der ein Ort der Ruhe und Konzentration auf die Geburt sein soll, noch andere Frauen, die unter der Geburt sind. Bei mir hat sich einmal ein Vater schriftlich beschwert, dass er nur deshalb nicht gleich nach der Geburt zu seiner Tochter in den Kreißsaal durfte, weil er Muslim sei. Ich habe ihm dann erklärt, dass das lediglich mit der Rücksichtnahme auf andere Gebärende zu tun hat.
Was würde Ihnen die Arbeit am meisten erleichtern? Ich halte wenig von noch mehr Broschüren. Mir sind Ansprechpartnerinnen lieber, die uns bei unseren Bemühungen um eine kultursensible Geburtshilfe helfen können. Wenn die Patientinnen aus ihrem Umfeld Personen stellen könnten, die übersetzen und eine Mittlerfunktion übernehmen, hilft das am meisten. Ich wäre sehr froh, wenn das System der Doula ausgebaut würde. Das ist eine Art Schwangerschafts- und Geburtsbegleiterin, eine Frau aus dem eigenen Kulturkreis, die schon geboren hat und die werdende Mutter begleitet. Das können z. B. Personen aus dem Peer-Mentoring-Programm sein, also Hebammen, die bei uns als Flüchtlinge anerkannt, aber noch nicht nostrifiziert sind. Gerade für Frauen, die so eine mütterliche Mittlerin nicht haben, wären solche Netzwerke wichtig. Damit haben auch unsere Patientinnen gute Erfahrungen.