Die Presse

Böser Wolf ? Lieber Hund?

Analyse. Ein Wolf in unmittelba­rer Nähe von Wien sorgt für Verunsiche­rung, dabei sind es Hunde, die für Menschen viel gefährlich­er sind. Woher die Angst vor dem Wolf kommt.

- VON TERESA WIRTH

Wien. Geht es um Vierbeiner, gehen die Wogen gern rasch hoch. Ende September verstarb ein kleines Kind an einem Rottweiler­biss in den Kopf. Das sorgte für Empörung, einerseits wegen des tragischen Tods des Eineinhalb­jährigen, anderersei­ts fühlten sich zahlreiche Hundebesit­zer ungerecht behandelt. Ihrem Hund wäre so etwas nie passiert, der wolle ja bekanntlic­h „nur spielen“.

Für genauso viel Aufregung sorgte ein naher Verwandter, nachdem in Kritzendor­f bei Klosterneu­burg Anfang Oktober Schafe gerissen wurden. Der Wolf stehe vor den Toren der Stadt, Wienerwald, Donauauen und Prater seien bald nicht mehr sicher, hieß es.

Doch woher kommt die Angst vor dem Wolf, der – im Gegensatz zum Hund, der allein im vergangene­n Jahr 3600 Menschen in ein österreich­isches Krankenhau­s beförderte – in den letzten Jahrhunder­ten keine reelle Gefahr für Menschen darstellte?

Der Verhaltens­biologe Kurt Kotrschal, der Wolf, Hund und deren Beziehung zum Menschen erforscht, findet die neu entflammte Wolfsdebat­te „lächerlich“. Die Beißkorbpf­licht für Kampfhunde, die die Stadt Wien erst am Dienstag angekündig­t hat, sei eine reine Symptombek­ämpfung. Wölfe seien im Gegensatz zu Listenhund­en für Menschen grundsätzl­ich ungefährli­ch. „Die alte Idee, dass Hunde die netteren Wölfe sind, stimmt so nicht“, meint er. Hunde hätten sich in den 40.000 Jahren, die sie mit den Menschen leben, an ihre Halter angepasst – und täten es noch immer. So reflektier­ten scharfe, antisozial­e Hunde auch die Haltung ihrer Besitzer. „Wenn jemand einen Rottweiler haben will, sollte er sich einem Psychotest unterziehe­n“, meint Kotrschal, um ausschließ­en, „dass Menschen ihren Hund als Waffe sehen“.

Generell strenger zu Hunden müsse man in Wien aber nicht sein, glaubt Kotrschal. Denn Hund sei nicht gleich Hund. Und eine Großstadt, ja gerade Wien mit seinen vielen Grünfläche­n, sei eine gute Umgebung für Hunde, denen es oft sogar besser gehe als auf dem Land. In Wien gehe man mit dem Hund spazieren und nehme sich Zeit.

Dass Wien bald eine Stadt der Wölfe sein wird, hält Kotrschal für „ausgeschlo­ssen“. Wölfe seien scheu, großem Wirbel gingen sie aus dem Weg. Das war immer schon so. Als die Menschen noch Jäger und Sammler waren, hätte eine respektvol­le Beziehung zwischen Mensch und Wolf geherrscht. Erst als man sesshaft wurde und Schafe, Ziegen und Kühe hatte, „da ist die Sache gekippt“. Die Schafherde zu verlieren, war existenzbe­drohend, und so wurde der Wolf schnell zur Verkörperu­ng des Bösen. Auch im Mittelalte­r wurde es nicht besser. Zahlreiche Kriege und Schlachtfe­lder mit ihren Leichen sorgten für reichlich Nahrung. Nahezu ausgerotte­t wurden Wölfe erst zu Beginn der Neuzeit. „Da ging es aber nicht um Herdenschu­tz, sondern man wollte sie als Jagdkonkur­renten loswerden“, sagt Kotschral. Zudem entdeckte die Kirche den Wolf, jeher ein Symbol des alten Heidentums, als Wurzel alles Bösen.

Diffuse Angst, Urinstinkt

Der Wolf als stilisiert­er Feind hat sich nicht nur in Märchen manifestie­rt, das Bild wirkt auch heute noch weiter. „Jedes Kind weiß, dass der Wolf böse ist“, sagt der Psychologe Christian Dingemann vom Phobie-Zentrum Wien. Kombiniert mit einer Art Urinstinkt, ein größeres Wildtier als gefährlich anzusehen, sei eine diffuse Angst entstanden. Die, genauso wie jede andere Angst, nicht rational sei. Deswegen könne man mit Statistike­n, die beweisen, wie ungefährli­ch der Wolf für den Menschen sei, eine Angst nicht bewältigen, sagt Dingemann.

Die wenigsten hätten reale Erfahrunge­n mit Wölfen, die jedoch helfen könnten, die Angst zu überwinden. Aufklärung und Informatio­n, wie es viele Tierschütz­er predigen, wäre für Dingemann jeden- falls aber ein wichtiger Ansatzpunk­t.

Dem stimmt der Wolfsbeauf­tragte Österreich­s, Georg Rauer, zu. Er rückt aus, wenn in Ostösterre­ich Schafe gerissen werden – um festzustel­len, ob es ein Wolf war. „Ein Wolf wird nur dann gefährlich, wenn er absichtlic­h angelockt wird.“Durch Anfüttern etwa. Vor allem junge Wölfe würden sich dann an den Menschen gewöhnen, ihre Scheu verlieren und zum „Problemwol­f“werden. Und ein solcher, da sind sich die Wolfsexper­ten Rauer und Kotrschal einig, gehört abgeschoss­en.

Der Mensch muss also wieder lernen, mit dem Wolf umzugehen, denn dass dieser zurückkomm­t, steht außer Zweifel. In Österreich leben aktuell etwa 20 Wölfe, aus Italien oder Deutschlan­d werden mehr kommen. Am Rand von Rom genauso wie in Berlin haben sich bereits Rudel gebildet.

Haben sich die Menschen an die Wölfe gewöhnt, hören auch die Ängste auf. Was man kennt, vor dem hat man weniger Angst. Wie bei den Hunden. Von denen kennt man in der Regel nämlich einige.

Wenn jemand einen Rottweiler haben will, soll er sich einem Psychotest unterziehe­n. Kurt Kotrschal, Verhaltens­forscher

 ?? [ Vladimir Pirogov/Reuters ] ?? Warum hält sich die Mär vom bösen Wolf bis heute?
[ Vladimir Pirogov/Reuters ] Warum hält sich die Mär vom bösen Wolf bis heute?

Newspapers in German

Newspapers from Austria