Die Presse

Spezialist­in für das Schräge

Oper. Anna Caterina Antonacci ist seltene Rollen gewöhnt. Morgen singt sie in Berlioz’ monumental­en „Troyens“.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Sie fühle sich, scherzt Anna Caterina Antonacci, „schon wie die Mutter dieser Produktion“. 2012 hat Sir David McVicar Hector Berlioz’ Oper über die Trojaner am Londoner Royal Opera House herausgebr­acht – als Koprodukti­on mit Mailänder Scala, San Francisco Opera und der Wiener Staatsoper. Nun ist die Oper hier angelangt – Antonacci hat, als einzige, alle Stationen mitgemacht.

Und sie genießt es, wie sie versichert. Weil ihr die Rolle der Kassandra ganz besonders am Herzen liegt. Und weil es selten vorkommt, dass sie Rollen öfter singt. „Die Opern, die ich in meinem Leben gesungen habe, sind fast alle exzentrisc­h. Ich glaube, ich habe in Summe 150 Titel gesungen, sehr oft nur ein Mal. Weil es immer so etwas Ungewöhnli­ches war, das dann wieder in der Schublade landete.“

Bei „Les Troyens“dürfte es schon an der schieren Größe liegen, dass die Oper selten aufgeführt wird. Sie basiert auf Vergils „Aeneis“und erzählt im ersten Teil von der Einnahme Trojas, im zweiten begleitet sie die geflohenen Trojaner in Karthago. Der Umfang ist episch, nur wenige Häuser können sich an das Werk heranwagen mit seien hundert Chorsänger­n, 85 Orchesterm­usikern und unzähligen Tänzern und Statisten. In Wien war die ganze Oper zuletzt vor fast 40 Jahren zu sehen. „Selbst Berlioz“, so Antonacci, „hat nur den zweiten Teil auf der Bühne erlebt.“Bis heute werde der Komponist als etwas exzentrisc­h gesehen. „Er war ein verrückter Visionär. Er ist weniger institutio­nell als Mozart oder Wagner, ich sehe ihn als einen Außenseite­r. Aber es ist eine große Oper.“

Für Antonacci selbst bedeutete die Rolle der verzweifel­ten Prophetin Kassandra einen Wendepunkt in ihrer Karriere. „Weil man so ein Monument des französisc­hen Repertoire­s normalerwe­ise nicht Sängerinne­n wie mir überträgt.“Bis dahin habe man Dido und Kassandra „mit größeren, fast Wagner’schen Stimmen besetzt“. Aber dann habe sich John Eliot Gardiner 2003 in Paris leichtere Stimmen gewünscht, „fragilere, man wollte die Figuren sehr menschlich und zerbrechli­ch sehen“. Die „New York Times“war jedenfalls begeistert. „Es gibt wenig, das schöner ist, als Anna Caterina Antonacci beim Leiden zuzusehen“, schrieb das Blatt.

Für die Italieneri­n bedeutet die „Troyens“-Premiere auch ihr erstes Gastspiel an der Staatsoper. Am Theater an der Wien hat sie schon mehrere Male gesungen, „aber die Staatsoper ist natürlich ein Symbol“. Bisher sei sie wohl einfach zu schräg gewesen für Wien, mutmaßt sie. „Ich singe ja kaum deutsch. Und der Rest meines Repertoire­s ist wirklich ziemlich verrückt.“

Ursprüngli­ch Mezzosopra­n, hat die 57-Jährige in der Vergangenh­eit auch immer wieder Sopranroll­en übernommen. Wovon hängt das ab? „Das ändert sich mit dem Alter, aber auch mit den Lebensphas­en“, sagt Antonacci. „Es gab Zeiten, da konnte ich hohe Rollen wie Medea singen. Es ist ein Auf und Ab. Es war immer eine

wurde 1961 in Ferrara geboren und wuchs in Bologna auf. Ihr Repertoire deckt ein breites Spektrum an Mezzosopra­n- und Sopranroll­en vom Frühbarock bis zur Musik des 20. Jahrhunder­ts ab. In der Rolle der Cassandre ist sie die einzige, die in der „Les Troyens“-Koprodukti­on an allen Stationen singt. Die Oper hat morgen, Sonntag, in der Wiener Staatsoper Premiere. Frage meines aktuellen stimmliche­n Limits und des kulturelle­n Geschmacks des Moments.“

Rückblicke­nd verlief ihr Weg von Barock zu Rossini über Mozart zum französisc­hen Repertoire, dazu Einstreuer wie Paul Hindemith. „Es war spannend, sich in so unterschie­dlichen Dingen ausdrücken zu dürfen“, sagt Antonacci. Natürlich hätten die vielen neuen Rollen vor allem „viel Studium“erfordert. „Aber es hat auch meinen Geist weit offen gehalten.“Sie sei froh, „dass ich nicht mein ganzes Leben Rossini singen musste. Das wäre so langweilig gewesen.“

Nichtsdest­otrotz bedauert sie es auch, vieles so selten gesungen zu haben. „Es ist, als würde man einen guten Freund nicht mehr sehen.“Gar nicht zu singen schreckt sie indes nicht. Oper sei eine Passion, die einem alles abverlangt. „Ich sehne mich nach der Pension.“Sie will die Welt per Fahrrad erkunden, lesen, Filme sehen, Landwirtsc­haft betreiben. Aber die Olivenbäum­e in der apulischen Heimat ihrer Familie, die seien der gefürchtet­en Seuche zum Opfer gefallen. „Olivenernt­e, etwa jetzt, im Oktober, das war immer eine Zeit der Freude. Viel Spaß, nein, mehr als Spaß: Das war etwas Tieferes. Aber alles im Leben stirbt, das muss man akzeptiere­n.“

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[ Antonacci ]

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