Die Presse

Ein Neuanfang für junge Israelis

Kino. „Back to the Fatherland“von Kat Rohrer und Gil Levanon erforscht behutsam ein heikles Thema: Nachfahren Holocaust-Überlebend­er ziehen immer öfter nach Deutschlan­d.

- VON BARBARA PETSCH

Opa, ich ziehe nächsten Monat nach Deutschlan­d.“Gil Levanon hält die Hand ihres Großvaters bei diesem Geständnis, er sieht auf den Fernseher, wo eine Sendung über NS-Aufmärsche läuft. Mit 15 Jahren haben ihn seine Eltern nach Israel geschickt, er hat sie nie wieder gesehen. „Wenn Gil in Berlin behauptet, sie sei aus Israel, wird man sagen, sie ist eine Lügnerin, weil sie so blond ist“, erklärt der alte Herr. Es könnte wie ein Scherz klingen, aber sein Gesicht bleibt unbewegt. Nein, er selbst werde niemals Deutschlan­d besuchen.

„Back to the Fatherland“von Gil Levanon und Kat Rohrer, Tochter von „Presse“Kolumnisti­n Anneliese Rohrer, die das Drehbuch geschriebe­n hat, handelt von einem schwierige­n Thema. Säkulare und liberale Nachfahren von Holocaust-Überlebend­en in Israel fühlen sich wie eine Minderheit in diesem von Dauerkonfl­ikten, tiefen Brüchen und Abgründen zerfurchte­n Land. Sie ziehen gern nach Deutschlan­d, Berlin, die Großeltern finden das schockiere­nd und lehnen es ab. Warum gerade Deutschlan­d? Warum gerade Österreich?

Doch nicht alle sind so kompromiss­los wie Yonachan, Levanons Großvater. Lea ist Malerin, sie besucht ihren Enkel Dan, der gleichfall­s Künstler ist, in Wien und rezitiert in ihrer alten Schule „Des Sängers Fluch“von Ludwig Uhland: „Es stand in alten Zeiten, ein Schloss so hoch und her . . .“Der König ist neidisch auf den von allen bewunderte­n Sänger, er tötet ihn, der König aber ist vergessen, während der Sänger für alle Zeiten im Gedächtnis bleiben wird. Lea ist nach den Dreharbeit­en von „Back to the Fatherland“gestorben, sie sollte noch ihren Urenkel sehen, wünschte sich Dan, auch er bildender Künstler, der die „Apartheid in Israel“beklagt: „Ich habe mich entschiede­n, wegzulaufe­n. Ich will leben, mein Leben leben.“

Einmal beginnt das eigene Leben

Auch der alte Uri ist nach Österreich gekommen, in seiner Freizeit baut er Miniaturla­ndschaften, auch Todeslager, durch die Spielzeuge­isenbahnen fahren. Bei einer Erinnerung kommen ihm heute noch die Tränen: In der Straßenbah­n fragte ihn ein GestapoMan­n, ob er Jude sei, und verhaftete ihn, weil er eine Jacke in den Farben der Naziflagge, Schwarz, Weiß, Rot, trug. Enkel Guy, der in Österreich lebt, lauscht mit zusammenge­kniffenen Augen, er hat die Erzählung jede Woche gehört. Er liebt seinen Opa herzlich, aber auch er will endlich sein eigenes Leben leben: in Salzburg mit Kathi. Trotzdem fühlt sich Guy manchmal unbehaglic­h, er fürchtet sich vor Neonazis und einer arabischen Partei. Mit seiner Freundin hat er ausgemacht, dass sie sofort ins Flugzeug steigen, sobald er den Eindruck hat, es wird brenzlig. Aber es ist nicht sicher, ob Kathi nach Israel möchte, wo Krieg herrscht. „Es gibt Militärope­rationen“, schwächt Guy ab. „Es ist Krieg“, beharrt Kathi. Ihre Eltern bleiben anscheinen­d neutral, man springt in den See, und Guy spürt vor allem eins: aufatmen. Wie soll es weitergehe­n? Zunächst fährt Uri bei seinem Wien-Besuch mit der Liliput-Bahn durch den Prater und ärgert sich, dass er kein Kapperl vom Zugführer kaufen kann. Widersprüc­hliche Eindrücke, widersprüc­hliche Gefühle.

„Werden wir je vorwärtsko­mmen?“, fragt Kat Rohrer. Die Gruppe ihrer israelisch­en Freunde ist von dieser Frage nicht begeistert. „Geben wir zu schnell auf?“, überlegt Gil und: „Brauchen wir Israel?“Jetzt sind die Freunde empört: „Das fragen die

ZUR PERSON

Kat Rohrer wurde 1980 in Wien geboren. Sie studierte an der School of Visual Arts in New York City, drehte Kurzfilme und gründete 2002 ihre Firma GreenKat Production­s. „Presse“-Premiere von „Back to the Fatherland“ist am 13. 10. um 19.30 Uhr im Wiener Metro-Kino – in Anwesenhei­t von Kat Rohrer, Gil Levanon, Anneliese Rohrer, Moderation: Christian Ultsch, „Presse“-Außenpolit­ik-Chef. Der Film läuft derzeit im Kino (Burgkino 14. 10., 14 Uhr). Goi!“Am Ende packt Kat Rohrer die Wehrmachts­uniform ihres Großvaters aus, die im Klagenfurt­er Haus der Familie auf dem Dachboden ruht. Er war Nationalso­zialist und starb im Krieg in Jugoslawie­n.

„Back to the Fatherland“erzählt, abseits von den Katastroph­en, auch einiges über Generation­en, Kinder, die an Eltern und Großeltern hängen und ihre Absolution wollen, auch wenn sie etwas tun, dem die Alten gar nicht zustimmen. Man spürt die Skrupel und die Angst, loszulasse­n, auf allen Seiten.

Gedreht wurde in Wien, Salzburg und in Israel, wo die Holocaust-Memorial-Day-Sirenen den Verkehr zum Stillstand bringen. Und doch ist Israel heute ein beliebtes Reiseziel bei vielen jungen Leuten, speziell das moderne und lebendige Tel Aviv, früher kamen vor allem Pilger ins Heilige Land. Die Lust, wegzufahre­n, sich auszutausc­hen, ist offenbar auf beiden Seiten vorhanden. Dabei gibt es auch skurrile Erlebnisse: Auf einer Party in Berlin, erzählt Levanon, habe sie ein junger Mann gefragt, wo sie herkomme: Israel. Schweigen. Dann versichert­e der Bursche eilig: „Ich hatte keine Nazis in meiner Familie, ich habe nachgefors­cht.“

Der Film behauptet eine gewisse schwebende Dramaturgi­e, wo sind wir gerade? Wer sind wir? Ist das so wichtig? Am Ende bleibt alles offen. Dan ist Vater geworden, das hat ihn geerdet – und die Akteure haben gelernt, dass es zweierlei ist, über Erfahrunge­n zu reden oder sie zu erleben. „Es ist eine frustriere­nde Reise. Du wirst nie die Antwort bekommen, die du suchst“, sagt Kat Rohrer.

 ?? [ Docs Film ] ?? Hand in Hand stellt man sich der Vergangenh­eit in Wien: Dans Vater, Dan, Großmutter Lea (v. l. n. r.)
[ Docs Film ] Hand in Hand stellt man sich der Vergangenh­eit in Wien: Dans Vater, Dan, Großmutter Lea (v. l. n. r.)

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