Nüchterner Report und Schwelgerei
Wiener Konzertleben. Angelika Kirchschlager sang erstmals Schuberts „Winterreise“in der Staatsoper, die Schwestern Buniatishvili konzertierten mit dem RSO unter Viotti.
Courage fehlte ihr nie. Im Herbstgold ihrer Weltkarriere stellte sich Angelika Kirchschlager am Donnerstag mit Schuberts „Winterreise“ihrer „ultimativen Herausforderung“. Unter gar nicht so sympathischen Umständen: die Staatsoper ist für intime Liedgestaltung denkbar ungeeignet, da gibt’s kein Schummeln.
Die Kirchschlager kämpft dennoch tapfer dagegen, dass Volumen, Glanz und Farben ihres einst kostbaren Mezzos reduziert scheinen. Sie versucht erst gar nicht, dem Publikum etwas vorzumachen, spielt nicht Verzweiflung, Enttäuschung, Trostlosigkeit oder den Versuch, mit den letzten Dingen des Lebens fertig zu werden.
Sie berichtet eher mit journalistischem Sicherheitsabstand und uniformem Grauton. Sie darf sich auf ihre Textverständlichkeit und vermittelnde Erzählweise verlassen und ist virtuoser Bühnenmensch genug, um im Finalteil der einsamen Größe dieser wertvollsten aller Wiener Musiken nahezukommen.
Flügelmann Julius Drake begleitete mit britischem Understatement, versuchte kaum, die Sängerin durchzutragen, und war so nicht gefährdet, sich zu verausgaben. Die Frage, ob Frauen die „Winterreise“singen sollen, dürfen oder müssen, geht verloren. Christa Ludwig versuchte es mit Schöngesang, tiefe Spuren hinterließen Brigitte Fassbaender und Christine Schäfer. Angelika Kirchschlager mobilisierte ihre besten Reserven.
Dankbarer Applaus der Fangemeinde. (gü)
Zur selben Stund’ ließ das RSO im Musikverein in größtmöglicher Besetzung Musik des 20. Jahrhunderts unterschiedlichster Provenienz aufrauschen. Ohne dabei wirklich laut zu werden, was an der Stabführung des Dirigenten-Senkrechtstarters Lorenzo Viotti lag, der auf seine jungen Tage keine Posen und Mätzchen kennt, sondern mit ebenso faszinierend wie zweckmäßig klarer Gebärde den Takt vorzugeben weiß.
Und nicht nur den Takt, sondern auch die nötigen Ausdrucksparameter: Für Prokofieffs skurril scharf geschnittene Musik zur „Liebe zu den drei Orangen“wie für den Stilmix von Poulencs Doppelkonzert, in dem die Schwestern Buniatishvili sich die Klavierpointen animiert zuwarfen. Das RSO bot ihnen den rechten Klangspielplatz dafür, die rechte freche Mischung aus Offenbach und Strawinsky in den Ecksätzen, das feine Gespinst einer behutsamen Mozart-Paraphrase im Mittelsatz.
Korngolds Sinfonietta zum begeisternden Beschluss: Ein leuchtkräftig orchestriertes Riesenwerk des genialen Teenagers, von Viotti farbenprächtig ausgemalt und vor allem: austariert. Kein leichtes Unterfangen bei einer dermaßen reich instrumentierten Partitur, die noch dazu dank aparten Verdoppelungen und rhythmischen Parforceakten nicht den kleinsten Fehler zulässt: Die Musiker brillierten, angestachelt von der Energie des jungen Maestros. Nachzuhören am 16. Oktober in Ö1 (19.30 Uhr). (sin)