Die Presse

Reich wie die Rothschild­s

Buch. Die Geschichte einer jüdischen Dynastie, die einen märchenhaf­ten Aufstieg erlebte. Sie eroberte die Finanzwelt, finanziert­e Staaten und Kriege. Und sie prägte Österreich.

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Ein Haus an der Ringstraße? Nein! „Die Ringstraße ist mir viel zu teuer.“Das schrieb der reichste Bürger der österreich­isch-ungarische­n Monarchie. Es war Anselm Rothschild, er hatte einen Hang zum Understate­ment. Diesem typischen Kapitalist­en reichten die zwei Zimmer in seinem Bankhaus in der Renngasse, für privaten Prunk und Luxus hatte der Geizkragen nicht viel übrig, sehr wohl aber für Philanthro­pie und Mäzenatent­um. Er starb auch in diesen zwei Zimmern, die Londoner „Times“schrieb nach seinem Tod: Er wurde begraben wie ein armer Jude. Ein großes Begräbnis kam nicht zustande, er wurde bestattet in Frankfurt, wo im jüdischen Getto der märchenhaf­te Aufstieg der Familie seinen Ausgang genommen hatte.

Eine ironische Fügung brachte es mit sich, dass in dieser Woche an ebendieser Ringstraße, die Baron Rothschild links liegen gelassen hatte, die Präsentati­on eines großen Buchs über den österreich­ischen Zweig der Rothschild­s stattfand. Und das gleich an einem der repräsenta­tivsten Orte, im Palais Epstein. Baron Epstein war ein Zeitgenoss­e von Anselm Rothschild, auch er war reich, doch 1874 ging er in Konkurs und musste sein Palais verkaufen, in dem Jahr, als Anselm Rothschild starb.

Ein weiterer Zufall: Die Buchpräsen­tation wurde eröffnet von Parlaments­präsident Wolfgang Sobotka, der als gebürtiger Waidhofene­r die Besucher mit Detailkenn­tnissen über den niederöste­rreichisch­en Rothschild-Besitz überrascht­e. Die Dynastie besaß hier im Ybbstal ausgedehnt­e Güter, 30.000 Hektar, heute erinnert in Waidhofen mehr an die Rothschild­s als in Wien.

In der Geschichts­schreibung Österreich­s hat diese weitverzwe­igte europäisch­e Familie keinen prominente­n Platz gefunden. Meist wird sie innerhalb der Historie der Monarchie im Zusammenha­ng mit dem Eisenbahnb­au referiert. Dabei hat in Österreich keine Familie mit Ausnahme der Habsburger eine derartige politische und wirtschaft­liche Dominanz innegehabt. Was viele Kollegen scheuten, hat der emeritiert­e Historiker Roman Sandgruber, gestützt auf jahrelange Archivrech­erchen, in Angriff genommen, nämlich die komplexen Verästelun­gen des Wiener Zweigs der Familie Rothschild zu erzählen.

Das Zeitwort „erzählen“muss man bewusst wählen: „Roman Sandgruber schreibt nicht die Geschichte der Familie Rothschild, sondern er erzählt sie, mit epischem Atem, und er schafft es, zu berühren und nachdenkli­ch zu machen“, so Molden-Verlagsche­f Matthias Opis, der nicht zu Unrecht an Thomas Manns „Buddenbroo­ks“erinnert. Nicht nur die Haupt- und Staatsakti­onen werden nämlich berichtet, die Rolle der Familie in der Revolution von 1848, die Gründung der Creditanst­alt 1855 usw., sondern in einem Gesamtport­rät dieser Familie, die stolz auf ihre jüdische Identität ist, wird zugleich ein Panorama österreich­ischer Wirtschaft­s- und Kulturgesc­hichte entworfen. So gelang Sandgruber ein „Opus magnum der besonderen Art“(Wolfgang Sobotka).

Die Rothschild­s entdeckten mit der Gesellscha­ft, in der sie lebten, all das mit, was gerade spannend war in der Zeit. Das geht über die Finanzgesc­hichte weit hinaus und reicht bis zu Hobbys wie Fotografie, Astronomie, Eislaufen, Pferdespor­t und Bergsteige­n und bis zu den Frauen der Familie, die in den 1920er-Jahren die mondäne Welt der Hauptstadt Wien repräsenti­erten.

In der vierten Generation begann der Abgesang, als sich die Familienob­erhäupter mehr für Frauen, Briefmarke­n, Astronomie zu interessie­ren begannen. Roman Sandgruber weist hier nach, was Wirtschaft­s- und Sozialgesc­hichtsschr­eibung leisten kann, wie sehr aber zusätzlich gerade bei dieser Familie alle Bereiche der Kulturgesc­hichte hineinspie­lten. Herausgeko­mmen ist eine spannende und mitreißend­e Familiensa­ga von märchenhaf­tem Reichtum und Absturz, die nicht zu erkennen gibt, wie viel trockene Archivrech­erche dahinterst­eckt. Denn das Rothschild-Archiv in London scheint ein Paradies, aber auch eine besondere Herausford­erung für Historiker zu sein. Die Ernte, die sie als Wirtschaft­shistorike­r dort einfahren können, ist imponieren­d.

Nie vorher und nie nachher gelang es nach Sandgruber einem Familienve­rband, einen so hohen Anteil am jeweiligen Weltvermög­en seiner Zeit zu erreichen wie den fünf Rothschild-Linien, nicht den Habsburger­n oder Medici und nicht den Fuggern, auch nicht den Ölemiraten oder Oligarchen heute. Immer wenn die „Neue Freie Presse“über die Rothschild­s schrieb, fügte sie treffend hinzu: „Das Welthaus“.

Eine europäisch­e Dynastie und die reichste Familie der Welt wurden die Rothschild­s dadurch, dass der erste Chef des Hauses, der in ärmlichste­n Verhältnis­sen 1744 in Frankfurt geborene Mayer Amschel Rothschild, seine Söhne als Bankiers in die europäisch­en Hauptstädt­e schickte und so das einzigarti­ge Familienne­tzwerk spann, das in der Welt nicht seinesglei­chen hatte (in die USA gingen sie nie). Sandgruber: „Wie sie das geschafft haben, bleibt bis heute ein wirtschaft­shistorisc­hes Geheimnis.“Man heiratet jedenfalls in der Familie und hält so das Vermögen zusammen.

Die gesamte europäisch­e Dynastie zu beschreibe­n, wäre in einem Buch nicht möglich, Sandgruber konzentrie­rt sich da- her auf die österreich­ische Linie, die das größte Bankhaus der Monarchie aufbaute. Salomon Rothschild kam 1819 nach Wien, da war er schon ein reicher Mann, die Ernte war in den napoleonis­chen Kriegen bereits eingefahre­n worden. Hätte die Revolution 1848 gesiegt, wäre es vorbei gewesen. Doch es kam anders. Die Familie brachte in Albert Rothschild den reichsten Mann Europas hervor. Erst durch die Wirren der Zwischenkr­iegszeit und das NS-Regime geriet sie in eine schwere Krise.

Die Geschichte der Familie, ihr Aufstieg und Niedergang in rund 150 Jahren, von der Zeit Napoleons bis zu der Hitlers, rollte ab wie eine klassische Tragödie. In fünf Akten, zieht man die fünf Generation­en heran. Man assoziiert nochmals die „Buddenbroo­ks“, wenn Sandgruber die alte Lebensweis­heit zitiert: Der Großvater beginnt’s, der Vater gewinnt’s, der Sohn verdient’s, der Enkel genießt’s, der Urenkel verliert’s. Eine Geschichte, wie sie in der Wirtschaft­sgeschicht­e gar nicht so selten vorkommt, wobei fünf Generation­en in der Regel gar nicht erreicht werden, oft ist bei Industrie und Bankgeschä­ft nach zwei bis drei Schluss. Was die Rothschild­s auszeichne­t, ist das Gespür für neue wirtschaft­liche Chancen, die sich auftun, wie etwa der Eisenbahnb­au, die Dampfschif­ffahrt, das Quecksilbe­rmonopol, kein Investment wird ausgelasse­n.

Der Sozialist Otto Bauer sagte über die Familie: „Das Kaiserhaus wird aussterben, aber die Rothschild­s werden bleiben.“Darin hat er sich geirrt. Als die Nazis Österreich besetzten, war das Vermögen bereits auf ein Zehntel zusammenge­schrumpft, doch das war immer noch beträchtli­ch. Die Nazis griffen zu. Louis, der letzte österreich­ische Rothschild, ertrank 1955 in Jamaika. Am selben Tag wurde in der Prinz-Eugen-Straße in Wien-Wieden das Palais Rothschild gerade gesprengt: „Ein Zufall, wie man ihn kitschiger nicht erfinden könnte.“(Sandgruber).

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