Die Presse

Woher weiß ein Vogel, wie er ein Nest baut?

Will ein Vogel Hochzeit machen, helfen profunde Hausbauken­ntnisse, um das Weibchen zu beeindruck­en. Teils sind sie angeboren, teils erlernt.

- VON ALICE GRANCY [ Foto: Universitä­t Wien]

Sie thronen auf Bäumen und Sträuchern, kleben an Hauswänden, zieren manchen Schornstei­n oder schwimmen mitunter sogar im Wasser: Ein Vogelnest schützt zunächst die Eier, später den Jungvogel. Doch woher wisse dieser, einmal paarungsbe­reit, wie man es baue – schließlic­h habe er seine Eltern nicht dabei beobachten können, fragt ein Leser. Liegt dieses Verhalten also in seinen Genen?

„Es ist einerseits ererbt, anderersei­ts lernen die Vögel beim Nestbauen aber auch immer dazu“, sagt Harald Krenn, Biologe an der Universitä­t Wien und Vizepräsid­ent der Vogelschut­zorganisat­ion Bird Life Österreich. So wie der Mensch gehen lernt, laufen auch beim Vogel manche Programme ab, ohne dass er sie vorerst beeinfluss­en kann. Seine Instinkte leiten ihn bei der Abfolge der nötigen Bewegungen. Wie er diese am besten ausführt, lernt er nach und nach. Erste Nester in einem Vogelleben seien mitunter noch ungeschick­t gebaut, erklärt Krenn. Mit zunehmende­r Erfahrung verändern sich Form und Größe. Das ist bei unterschie­dlichen Tieren innerhalb derselben Art noch stärker zu beobachten.

Sehr unterschie­dliche Baumeister

Überhaupt unterschei­det sich das Nestbauen je nach Spezies stark. „Es gibt weltweit rund 10.000 Vogelarten, das funktionie­rt nicht überall gleich“, so Krenn. Manche Vögel wie der in Mitteleuro­pa heimische Flussregen­pfeifer bauen etwa gar keine Nester, sondern legen ihre Eier auf den Schotter. Auch der Vogel Strauß scharrt lediglich eine Mulde im Boden. Uferschwal­ben oder Bienenfres­ser graben ihre Bruthöhlen in Steilwände aus Sand oder Lehm. „Einzelne Ästchen dienen lediglich dazu, dass die Eier nicht herausruts­chen.“Der Mauersegle­r nistet unter Dachziegel­n, der Turmfalke in Felsnische­n – und in der Stadt in Mauerlöche­rn und Nischen von Altbauten. Der Haubentauc­her baut aus übereinand­ergeschich­teten Pflanzen eine schwimmend­e Plattform, die – geschützt vor dem Fuchs und anderen Feinden – im Schilf hängt. Die Nester von Seglern kann man sogar essen: Sie kleben ihre Eier mit Speichel fest, so entsteht ein kleiner Napf – die Suppe daraus gilt mancherort­s als Delikatess­e.

„Am meisten lernen müssen Singvögel, sie bauen die komplizier­testen und kunstvolls­ten Nester“, sagt Krenn. Experten erkennen eine Art an ihrem typischen Nest. Etwa eine Amsel, die ihr aus Zweigen gebautes Nest innen mit Lehm auskleidet. Oder einen Zaunkönig, der mit einem kleinen Dach den Regen und die Witterung abschirmt. „Ein Vogelnest ist viel Arbeit, die Tiere brauchen dazu rund 1000 Einzelteil­e“, schildert Krenn. Der Buchfink sammelt zuerst feine Zweige und flicht dann Moos ein. Hält alles, kommen Tierhaare hinein – Krenn berichtet von Wildschwei­nhaaren, die er einmal in einem Nest im Lainzer Tiergarten gefunden hat – und zuletzt Federn. So isolieren die Nester bei den frühen Brütern gut gegen Kälte.

Männchen können sich bei Weibchen durch ihre Nestbautec­hnik interessan­t machen. Eine funktionie­rende Hausbaugem­einschaft könne für Vögel sogar ein Grund sein, länger zusammenzu­bleiben, meint Krenn. Denn während Störche oder Greifvögel ihren Horst oft jahrelang immer wieder beziehen, gehen die meisten Singvögel jeden Frühling erneut ans Werk.

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„Erste Nester in einem Vogelleben sind mitunter noch ungeschick­t gebaut.“ Harald Krenn, Biologe, Uni Wien

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