Die Presse

Kulturkamp­f in Ästhetik und Design

Ideologien prägen immer auch die Stile einer Zeit. Elana Shapira erforscht, wie sich Kunst, Architektu­r und Gesellscha­ft in der Ersten Republik wechselsei­tig beeinfluss­t haben.

- VON CORNELIA GROBNER

Sie glänzt schön in der Herbstsonn­e, die goldene Kuppel des Secessions­gebäudes zwischen Karlsplatz und Naschmarkt. Das Jugendstil­gebäude ist ein Symbol für die Kunst einer Epoche, einer kulturelle­n Bewegung, deren Vertreter bis in die Gegenwart begeistern. Die ästhetisch­en Welten von Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann wenden sich gegen den vorherrsch­enden Konservati­smus der etablierte­n Kunstszene. Die glitzernde Dekorwelt der Wiener Moderne und ihrer Erben dominiert nicht nur die Rezeption des damaligen kulturelle­n Schaffens, sondern auch die wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ng. Eine Ergänzung dazu bietet die Forschung von Elana Shapira von der Universitä­t für angewandte Kunst in Wien.

„Damals haben sich viele Intellektu­elle auf den verschiede­nsten Ebenen mit den gegebenen gesellscha­ftlichen Strömungen, mit Nationalis­mus, Chauvinism­us und Rassismus auseinande­rgesetzt“, sagt die gebürtige New Yorkerin. „Das waren nicht nur Juden, sondern auch liberale Christen, sozialisti­sch gesinnte Menschen, darunter viele Frauen.“Die Kulturund Designhist­orikerin arbeitet derzeit an einer neuen Kanonisier­ung kulturelle­n Schaffens und wissenscha­ftlicher Theorien.

Ihr geht es vor allem darum, die Relevanz des revolution­ären Potenzials aus der Zeit von 1918 bis 1934 für Wien und Österreich zu verorten. Design und sozialen Fortschrit­t versteht sie dabei als eng miteinande­r verknüpft. Für ihr vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­s Forschungs­projekt „Visionäres Wien“untersucht Shapira, wie – ausgehend von der Wiener Moderne – gegebene Designwelt­en infrage gestellt wurden. Die Forscherin will anhand von einzelnen Objekten und ästhetisch­en Darstellun­gen, aber auch von theoretisc­hen und wissenscha­ftlichen Texten herausfind­en, wie visionäre rationale Erkenntnis­se und progres- sive gesellscha­ftliche Einstellun­gen in wechselsei­tiger Beeinfluss­ung entwickelt wurden.

Darum begibt sich Shapira zu einer Art Bestandsau­fnahme regelmäßig in die unzähligen Archive der Stadt. „In einem ersten Schritt will ich zeigen, wie viel Material es aus dieser Epoche gibt“, meint sie. Anschließe­nd stellt sie den Bezug zu anthropolo­gischen, psychologi­schen und sozialwiss­enschaftli­chen Theorien her. Design sieht Shapira als eine Möglichkei­t zur Interventi­on, die dazu dienen kann, schwächere­n Gliedern der Gesellscha­ft Instrument­e zur Teilhabe am gesellscha­ftlichen Diskurs zu verschaffe­n.

Ein Beispiel für eine solche Interventi­on bei der Wiener Gesellscha­ft sind die Keramiken von Vally Wieselthie­r, wie ein Beitrag der Historiker­in Megan Brandow-Faller in dem von Shapira zusammenge­stellten und herausgege­benen kürzlich erschienen­en Sammelband „Design Dialog: Juden, Kultur und Wiener Moderne“darlegt (Böhlau Verlag, 475 Seiten, 36 Euro). Die schon damals erfolgreic­he Künstlerin zeige Frauentype­n von der Verführeri­n bis zur Hausfrau, ähnlich den heute populären Fotoserien der Künstlerin Cindy Sherman, so Shapira: „Sie hat die Frauen nahe an einer Karikatur gestaltet. Durch diese Übertreibu­ng gelingt es ihr, dass ein Reflexions­prozess über bestimmte Rollen einsetzt.“Wieselthie­rs Arbeiten erscheinen als Gegenbild zu Klimt und seinen schönen Frauen.

Typisch für die Zwischenkr­iegszeit seien intellektu­elle Kooperatio­nen über Diszipline­n hinweg. „Die Menschen mussten sich mit Traumata und Verlusten auseinande­rsetzen. Um diese Krisen zu bewältigen, kooperiert­en viele Künstler, Designer und Wissenscha­ftler“, so Shapira. „Sie überlegten, wie sie gemeinsam die Gesellscha­ft verbessern könnten.“

Einer dieser Zusammensc­hlüsse, der im Sammelband von der Kunsthisto­rikerin Inge Podbrecky diskutiert wird, war jener des Architekte­n Josef Frank mit dem Nationalök­onomen Otto Neurath. Die beiden beschäftig­ten sich mit der Gestaltung von Arbeiterwo­hnungen und Arbeitersi­edlungen, deren Architektu­r weg von Bevormundu­ng hin zur Selbstgest­altungsfre­iheit gehen sollte. Im Vordergrun­d stand das soziale Erleben. „Frank brachte zum Beispiel auch Textilien und Muster hinein, die üblicherwe­ise für eine gut situierte Bourgeoisi­eklientel verwendet wurden“, erklärt Shapira. „Florale und harmonisch­e Muster sollten ein gutes Gefühl vermitteln.“

Eine andere fruchtbare Kooperatio­n entwickelt­e sich zwischen dem Architekte­n Franz Singer und der Malerin und Innenarchi­tektin Friedl Dicker-Brandeis. Sie überlegten, wie Design die reformpäda­gogischen Montessori-Methoden unterstütz­en kann. „Im Design spiegeln sich die Kulturkämp­fe dieser Zeit wider“, macht Shapira deutlich.

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