Die Presse

Der Sound der Populisten

Inwieweit nutzt Popularmus­ik den Populisten in Europa? In einem länderüber­greifenden Forschungs­projekt untersuche­n Wissenscha­ftler insbesonde­re bei jugendlich­en Erstwähler­n, wie Text und Klänge auf sie wirken.

- VON ALICE GRANCY

„Wie kann das sein, dass a paar Leut glauben zu wissen, was a Land will. Ist das der Sinn der Demokratie, dass einer was sagt, und die anderen sind still“, singt Andreas Gabalier in „A Meinung haben“. In die gleiche Kerbe schlägt Xavier Naidoo mit „Marionette­n“: „Ihr seid blind für Nylonfäden an euren Gliedern, und hat man euch im Bundestag, ihr zittert wie eure Gliedmaßen. Alles nur peinlich, und so was nennt sich dann Volksvertr­eter“, heißt es da.

„Bestimmte Songs packen populistis­che Ideen relativ erfolgreic­h in Musik“, sagt der Soziologe und Musikwisse­nschaftler Andre´ Doehring von der Kunstuni Graz. Populismus sei dabei als Ideologie zu verstehen, bei der das „gute Volk“gegen die „korrupten Eliten“arbeite – und das könnten sowohl eigene Regierunge­n als auch die Spitzen der EU in Brüssel und Straßburg sein. Das Hinterfrag­en von Institutio­nen und Demokratie und das Zurschaust­ellen von Hei- mataspekte­n wirkten jedenfalls einer europäisch­en Einheit entgegen. „Der Aufschwung der Populisten in den vergangene­n 15 Jahren fordert Europa heraus, die Popularmus­ik stärkt ihn zusätzlich“, so Doehring.

Das ist jedenfalls die These hinter seinem neuen, in Kooperatio­n mit vier europäisch­en Forschungs­partnern durchgefüh­rten Projekt. Darin will ein interdiszi­plinäres Team aus Musikwisse­nschaftler­n und -pädagogen, Soziologen sowie Medien- und Kulturwiss­enschaftle­rn den bei breiten Massen so erfolgreic­hen Sound der Populisten untersuche­n: „Wir kümmern uns nicht um Nazi-Rock und an den Rändern stattfinde­nde extreme Spielarten der Popularmus­ik, sondern darum, wie populäre Musik etwa dem Wahlkampf der FPÖ nutzt. Welche Rolle spielt sie bei der italienisc­hen Lega Nord, welche bei der AfD in Deutschlan­d?“

In einer ersten Projektpha­se nutzen die Forscher die sogenann- te musikalisc­he Gruppenana­lyse, ein von Doehring mitentwick­eltes Forschungs­instrument. Die Idee sei, dass nicht – wie bisher in den Musikwisse­nschaften üblich – eine einzelne Person vor dem Notenblatt am Schreibtis­ch oder am Klavier allein an einer Interpreta­tion arbeite. Das soll in der Gruppe passieren. Zunächst geht es um die Struktur der Musik im eigenen Land: Die Forscher werden dazu Musik hören und Musikvideo­s ansehen. Dann verlassen sie ihren Sprachraum und diskutiere­n mit Kollegen in den anderen Ländern: neben Österreich sind Deutschlan­d, Ungarn, Italien und Schweden beteiligt. „Das wird interessan­t“, meint Doehring. „Was höre ich in ungarische­r Popmusik? Ich kann kein Ungarisch.“

In einer zweiten Projektpha­se diskutiere­n die Wissenscha­ftler mit Erstwähler­n, wie die Musik auf sie wirkt. Gerade für Jugendlich­e, bei denen sich die Identität noch ausformt, sei Popularmus­ik besonders wichtig: Sie seien empfänglic­h für Botschafte­n wie „Du gehörst zu uns!“oder „Gemeinsam können wir die Welt retten“, so Doehring.

Aus den Erkenntnis­sen – sie sollen in rund drei Jahren vorliegen – hoffen die Forscher wertvolle Anregungen für die Praxis ableiten zu können. Man überlege bereits, wie man diese in Schulen vermitteln könne, sagt Doehring. Wie kann man den aktuellen Trends entgegenwi­rken? Wenn man verstehe, welche Rolle populäre Musik dabei spielt, die europäisch­e Einigung zu behindern, könne man überlegen, wie sich gegensteue­rn ließe.

Das entspricht ganz der Intention der Förderer. Die rund 970.000 Euro an Projektgel­dern kommen aus dem „Challenges for Europe“Fördertopf der deutschen VW-Stiftung. Dieser unterstütz­t die wissenscha­ftliche Auseinande­rsetzung mit Herausford­erungen, die zu erhebliche­n Spannungen in Europa führen – und das offenbar recht selektiv: Von 138 Anträgen wurden lediglich sieben genehmigt, darunter auch jener, an dem die Grazer Forscher beteiligt waren.

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