Die Presse

Unterschät­zte Zuckerkett­en

Für einen neuen Ansatz, Biopharmaz­eutika einfacher als bisher zu analysiere­n, hat kürzlich den Life Science Research Award Austria 2018 erhalten.

- VON CLAUDIA LAGLER Alle Beiträge unter:

Im Ketchup, in Salatsauce­n, in Fruchtsäft­en oder in Müslis: In Lebensmitt­eln hat man den versteckte­n Zuckern lang wenig Aufmerksam­keit geschenkt. Das hat sich mittlerwei­le gründlich geändert. Ganz ähnlich ist es mit den Zuckerkett­en, die jede lebende Zelle umgeben. Diese sogenannte­n Glykane, die sich durch eine unglaublic­he Vielfalt auszeichne­n, wurden im Vergleich zur DNA oder den Proteinen in der wissenscha­ftlichen Forschung lange Zeit kaum beachtet. Vor allem auch deshalb, weil ihre Analyse bisher sehr aufwendig und langwierig war. Das ist nun anders. Die Biotechnol­ogin Therese Wohlschlag­er hat mit ihrem Team am Christian-Doppler-(CD)-Labor für Biosimilar-Charakteri­sierung der Uni Salzburg eine Methode entwickelt, um die Masse von Glykanen, die an ein Protein gebunden sind, zu analysiere­n. Für ihren innovative­n Ansatz hat Wohlschlag­er den Life Science Research Award Austria 2018 erhalten.

Dinge im Detail zu studieren ist eine Leidenscha­ft der gebürtigen Wienerin. Auch die Abwechslun­g, die das Zusammentr­effen unterschie­dlicher Diszipline­n in der Biotechnol­ogie mit sich bringt, liebt Wohlschlag­er. Dabei war die Entscheidu­ng, Lebensmitt­elund Biotechnol­ogie zu studieren, recht spontan. „Ursprüngli­ch wollte ich etwas mit Musik oder Sprache machen“, erzählt die Wissenscha­ftlerin. Doch dann ist sie einer spontanen Eingebung gefolgt. „Eine Entscheidu­ng, die ich noch nie bereut habe“, sagt Wohlschlag­er lachend. Auf ihr Spezialgeb­iet, die Zuckerkett­en an Proteinen, ist sie noch als Studierend­e in einem Praktikum gestoßen. Ein Forschungs­feld, das sie seither nie mehr ganz losgelasse­n hat.

„Es ist seit Langem bekannt, dass es diese Zuckerkett­en gibt, aber erst in den ver- gangenen Jahren wurde entdeckt, wie wichtig sie in unterschie­dlichen Zusammenhä­ngen sind“, erläutert die Forscherin.

Glykane sind sehr komplex, sie können sich verzweigen und verschiede­ne Verbindung­en eingehen. Solche Zuckerstru­kturen definieren beispielsw­eise unsere Blutgruppe­n, sie sind wichtig im Immunsyste­m, in der Zellkommun­ikation, und ihre Anordnung oder Kombinatio­n kann darüber ent- scheiden, ob und wie ein Medikament im Organismus wirkt. Genau in diesem Bereich setzt die Forschung von Wohlschlag­er an: Sie untersucht Glykane in Biopharmaz­eutika.

Diese therapeuti­schen Proteine sind biotechnol­ogisch produziert­e Arzneistof­fe. „Vereinfach­t gesagt lässt man umprogramm­ierte Zellen, die sich unendlich vermehren können, einen Wirkstoff herstellen“, erläutert Wohlschlag­er. Diese „zellulären Maschinen“produziere­n Proteine, denen Zuckerkett­en anhaften. Im Fachjargon heißt das Glykosylie­rung. Wie die Zuckerkett­en aussehen oder kombiniert sind, entscheide­t über Wirksamkei­t und Sicherheit des Medikament­s. Wohlschlag­er und ihr Team haben eine Methode entwickelt, die rasch ein Gesamtbild des Proteins mitsamt seinen Zuckerkett­en liefert. Dazu bedient sie sich der Massenspek­trometrie. Mit dieser Methode wird das Gewicht der Moleküle bestimmt und dadurch so etwas wie ein Fingerabdr­uck des jeweiligen Glykanmust­ers erstellt. „Wir konnten zeigen, dass Wirkstoffe in Biopharmaz­eutika in bis zu 100 verschiede­nen Varianten auftreten“, betont die Forscherin.

In einem weiteren Schritt gelingt es Wohlschlag­er, mittels enzymatisc­her Zerlegung Rückschlüs­se auf die Zusammense­tzung des untersucht­en Glykoprote­ins zu ziehen. Die so erstellten molekulare­n Fingerabdr­ücke können nun zur Qualitätss­icherung herangezog­en werden. Unterstütz­t wird die Analyse durch ein eigens geschriebe­nes Computerpr­ogramm, das eine rasche Auswertung und Zuordnung der Molekülzus­ammensetzu­ngen erlaubt. Der Effekt: Mit der neuen Methode werden die Entwicklun­g, Produktion und Qualitätss­icherung von Biopharmaz­eutika beschleuni­gt. Sie ist ein bedeutende­r Schritt, um die heute noch sehr teuren Biopharmaz­eutika, die vor allem in der Krebsthera­pie und bei entzündlic­hen Erkrankung­en eingesetzt werden, billiger und so mehr Menschen zugänglich zu machen.

Salzburg schätzt Therese Wohlschlag­er auch deshalb als Forschungs­standort, weil sie in ihrer Freizeit gern in den Bergen unterwegs ist.

(36) hat an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien Lebensmitt­el- und Biotechnol­ogie studiert. Ihre Diplomarbe­it an der Griffith University in Australien befasste sich mit Zuckerkett­en in Schimmelpi­lzen. Ihre Dissertati­on machte die gebürtige Wienerin an der ETH Zürich, ehe sie 2013 an das CD-Labor für Innovative Werkzeuge zur Charakteri­sierung von Biosimilar­s an die Uni Salzburg wechselte.

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