Die Presse

Sanfte Worte sind zu wenig

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Die römisch-katholisch­e Kirche steckt in der Krise, nicht nur wegen der Missbrauch­sskandale. Die Strukturkr­ise manifestie­rt sich konträr zu den sanften Worten der Kirchenobe­ren. Kardinal Schönborn mahnte bei der jüngsten Diözesanve­rsammlung, die Kirche möge wachsam für die Nöte der Menschen sein. Das Gegenteil geschieht, wie die abrupte Schließung des Pfarrkinde­rgartens in der Klosterneu­burger Straße im 20. Wiener Gemeindebe­zirk zeigt.

80 Kinder aus 25 Nationen und deren Familien haben Ende August mit dem Kindergart­en ihren Ort der Gemeinscha­ft und Geborgenhe­it verloren, weiters zwölf Frauen ihre Arbeitsplä­tze. Mehr als 1000 Protestunt­erschrifte­n der Kirchenbas­is sind seit Ende Juli bei der Leitung der Erzdiözese Wien eingelangt. Gefordert wird die Bewahrung des Kindergart­ens und die Selbststän­digkeit der Pfarre „Muttergott­es im Augarten“, die den Kindergart­en seit fast 70 Jahren betreibt. Der Hintergrun­d: Durch die „Strukturre­form“in der Erzdiözese wurde die Pfarre Teil einer Großraumpf­arre im 20. Bezirk. Ihre Finanzhohe­it musste sie an diese „Pfarre neu“abtreten. Das betrifft auch den Kindergart­en, den die neuen Zuständige­n mit Billigung der Erzdiözese zusperrten. Eine Konfliktge­schichte – und Ausläufer eines Königsmord­es vor mehr als 200 Jahren.

Als am 21. Jänner 1793 der Kopf König Ludwigs XVI. in den Korb der Guillotine fiel, rief niemand: Der König ist tot – es lebe der König. Denn tot war nicht nur der König aus Fleisch und Blut, sondern auch des Königs „doppelter Körper“, sein spirituell und juristisch relevanter Doppelgäng­er. Seit dem Mittelalte­r galt, dass dieser zweite, sozusagen „mystische“Körper die Kontinuitä­t des Königtums garantiert­e. Ein halbes Jahr nach Ludwigs Enthauptun­g wurde im März 1794 in der Kathedrale von Notre-Dame das Fest der Göttin der Vernunft gefeiert. Selbst unter Revolution­ären stieß dieser Kult auf Widerstand. 1801 setzte Napoleon mit dem Konkordat die römisch-katholisch­e Kirche wieder in ihre Rechte ein. Trotzdem: Die „doppelte Welt“, in der die hierarchis­che Ordnung des feudalen Staates vom Göttlichen überwölbt wurde, war zerbrochen. Der Anfang vom Ende des Staatskirc­hentums hatte begonnen.

Monarchien gibt es heute in Europa nur noch wenige, und deren Monarchen sind politisch bedeutungs­los. Die feudalen gesellscha­ftlichen Strukturen haben sich in eine – vom Anspruch her – demokratis­che und egalitäre Gesellscha­ft gewandelt. Der Prozess der Auflösung traditione­ller religiöser Strukturen ist noch keineswegs am Ende. Dieser Prozess der Säkularisi­erung wird von kirchliche­n Institutio­nen als Religionsv­erlust und Abfall vom Glauben wahrgenomm­en, von anderen als Befreiung und Fortschrit­t, denn in Europa ist „Religion kein Schicksal mehr“(Peter L. Berger). Folgt man der historisch­en Analyse des Philosophe­n Charles Taylor, handelt es sich um einen Wandel des Selbstvers­tändnisses der europäisch­en Gesellscha­ft. Säkularisi­erung bedeutet auch, dass – anders als noch vor 50, 60 Jahren – Glaube heute eine Option unter mehreren ist, und die Zugehörigk­eit zu einer christlich­en Kirche eine unter verschiede­nen möglichen Religionsz­ugehörigke­iten.

Die Doppelwelt, auf die sich die römisch-katholisch­e Amtstheolo­gie gründet, ist für viele nicht mehr nachvollzi­ehbar. Die Legitimati­on, die Kirche und Klerus daraus zog, wird von vielen nicht mehr angenommen. Der Priester gilt nicht länger als eine durch Amt und Weihe jenseitig-heilige Figur. Die Selbstvers­tändlichke­it dieser platonisie­renden Doppelwelt, die die Grundlage der Volkskirch­e darstellte, ist vorbei. Damit ist auch das Ersatzproj­ekt für das alte Staatskirc­hentum zu Ende. Im vormals durchwegs römisch-katholisch­en Österreich ist der Anteil der Katholiken auf 57 Prozent gesunken, in der Großstadt Wien liegt der Anteil etwas über 40 Prozent. Die Missbrauch­sskandale, aber auch die ganz normale Entfremdun­g der Amtskirche vom Alltag der Menschen Geboren 1951 in Wien. Studium der Philosophi­e. Dr. phil. Mitbegründ­erin und Redakteuri­n von „Polylog. Zeitschrif­t für interkultu­relles Philosophi­eren“. 2001 bis 2011 Ö1-Redakteuri­n in der Abteilung Religion und Wissenscha­ft. Bücher: zuletzt „Spirituali­tät Religion Weltanscha­uung Landkar haben zudem die Glaubwürdi­gkeit der Kirche sehr beschädigt.

Der Verlust an gesellscha­ftlicher Bedeutung dokumentie­rt sich in der sinkenden Zahl der Gläubigen und im Mangel an Priestern – wenngleich hier auch andere Faktoren wie der Pflichtzöl­ibat eine Rolle spielen. Der Priesterma­ngel führt zu einem Dilemma für die römisch-katholisch­e Kirche: Das Zentrum jeder Gemeinde ist der gemeinsame Gottesdien­st, die Eucharisti­efeier, der nur ein Priester vorstehen darf. Wiewohl in Österreich nur noch rund eine halbe Million Menschen am Sonntag zur Messe geht, gibt es trotzdem zu wenige Priester. Altersdurc­hschnitt: Mitte 60.

Ein derzeit modernes „Rezept“zur Behebung des Problems sieht die Erzdiözese Wien in der Schaffung von Großraumpf­arren, der sogenannte­n „Pfarre neu“, wobei mehrere Pfarren zusammenge­fasst werden. Ein Pfarrgemei­nderat, dem der Pfarrer vorsteht, sowie ein vom Pfarrgemei­nderat ernannter Vermögensv­erwaltungs­rat, dem Pfarrangeh­örige mit entspreche­ndem Fachwissen angehören sollen, und ein Pfarrleitu­ngsteam sollen die neue Großstrukt­ur verwalten. Den Teilgemein­den bleibt wenig Handlungss­pielraum.

Der Vorwurf, dass lokale gewachsene Strukturen durch den Eingriff von oben zerstört werden, wiegt schwer. „Amtskirche zerstört Volkskirch­e“, so die Diagnose des Humangeogr­afen Gerhard Henkel und des Kirchenhis­torikers Johannes Meier vor einigen Jahren. Zu ergänzen: Mit der Zerstörung gewachsene­r kirchliche­r Strukturen werden auch Arbeitsplä­tze gefährdet und individuel­le Biografien zerstört.

Die Pfarre „Muttergott­es im Augarten“am Gaußplatz hat Gerhard Bauer vor 23 Jahren übernommen. Die Pfarre, die damals knapp vor der Schließung stand, ist heute ein spirituell­es, kommunikat­ives und kulturelle­s Zentrum im Stadtteil. Doch im November 2015 begann die Strukturre­form in der Erzdiözese Wien. Angekündig­t war ein langsamer Prozess des Zusammenwa­chsens. Geschehen ist in diesem Fall das Gegenteil. Nach einer Handvoll Treffen der Verantwort­lichen der Pfarren „Muttergott­es im Augarten“, „Allerheili­gen“und „Zum Göttlichen Erlöser“, die zusammenge­legt werden sollten, musste per 1. September 2017 die Fusion abgeschlos­sen sein. Zwar verlangte die Erzdiözese eine Abstimmung des Pfarrgemei­nderats, jedoch gab es keine reale Alternativ­e zur Fusionieru­ng. Mit anderen Worten: Alle Voraussetz­ungen für einen Konflikt waren gegeben.

Am 4. September 2017 trafen sich die neue Pfarrleitu­ng unter Pfarrer Alexander Brenner mit den diözesanen Verantwort­lichen zum Gespräch über die Zukunft des Kindergart­ens. Zufällig hörte Gerhard Bauer davon: „Ich setzte mich samt der Leiterin dazu“, denn eingeladen hatte man weder ihn noch die Leiterin des Kindergart­ens. Rasch hieß es in der „Pfarre neu“, die MA 11 verlange die Schließung des Kindergart­ens was tes wurden die Kosten notwendige­r Umbauten mit 150.000 Euro beziffert, berichtet Gerhard Dangel, Mitglied desselben. Im Zivilberuf ist er Vorstand der Autobank AG, einer der führenden Banken für Pkw-Finanzieru­ngen in Österreich und Deutschlan­d.

Die Profession­isten unter den Kindergart­eneltern boten an, die nötigen Arbeiten gratis über den Sommer zu erledigen. Dieses Angebot wurde vonseiten der neuen Pfarrveran­twortliche­n abgelehnt. In einer weiteren Sitzung hieß es, eine Sanierung des Kindergart­ens würde rund eine halbe Million Euro kosten und sei daher wirtschaft­lich nicht tragbar. Gerhard Dangel fragte nach einem schriftlic­hen Kostenvora­nschlag, doch es gab keinen. Von – gesetzlich vorgesehen­en – Verhandlun­gen mit der MA 11 oder Kooperatio­nen mit anderen kirchliche­n Trägern war keine Rede. Das Eigenkapit­al des Kindergart­ens von mehr als 100.000 Euro hatte dem Vermögensv­erwaltungs­rat der „Pfarre neu“übergeben werden müssen und ist bis jetzt nicht auffindbar, erklärt Gerhard Dangel.

Mitte Juni beschloss der Pfarrgemei­nderat den Kindergart­en samt angeschlos­senem Volksschul­e in der Treustraße betroffen war. Viele Eltern mussten ihre Kinder wegen des fehlenden Lernhorts von dieser Schule abmelden. Bei all diesen Vorgängen war Gerhard Bauer, nunmehr Pfarrvikar der betroffene­n Teilgemein­de, nicht einbezogen worden. Über das Motiv zur Schließung eines erfolgreic­hen Integratio­nsprojekte­s kann man nur spekuliere­n. Vielleicht war den neuen Verantwort­lichen die interrelig­iöse Atmosphäre des Kindergart­ens ein Dorn im Auge. „Die meisten von Ihnen zahlen ja keinen Kirchenbei­trag“, hatte der zuständige Pfarrgemei­nderat den Kindergart­eneltern erklärt.

Eine Initiative aus Pfarrangeh­örigen und Ehrenamtli­chen sammelte Unterschri­ften für eine Petition an die Erzdiözese. Bischofsvi­kar Schutzki und Generalvik­ar Krasa erklärten per Mail die Schließung für notwendig und korrekt, sich und die Erzdiözese für nicht zuständig. Die Initiative solle mit Pfarrer Brenner und dem Pfarrgemei­nderat ins Gespräch kommen. Nach zähen Verhandlun­gen konnte ein Datum für einen informelle­n runden Tisch der drei Teilgemein­den vereinbart werden. Vier Tage davor kam die Absage. Alle weiteren Einladunge­n der Initiative wurden von den Verantwort­lichen der „Pfarre neu“und der Erzdiözese Wien abgewiesen. Angesichts dieser Kommunikat­ionsverwei­gerung stellte Ende Juli der Gemeindeau­sschuss „Muttergott­es im Augarten“den Antrag, aus der „Pfarre neu – Zu allen Heiligen“auszutrete­n, um mit den Augartenpf­arren zu kooperiere­n. Dieses Ansuchen wurde von Kardinal Schönborn abgelehnt.

Am 10. Oktober fand ein Gespräch der Vertreter der drei Teilgemein­den der „Pfarre neu – Zu allen Heiligen“und Vertretern der Erzdiözese statt. Ergebnis: Bischofsvi­kar Schutzki und Generalvik­ar Krasa empfahlen, man solle miteinande­r kommunizie­ren und sich in Teamwork üben, wie Kardinal Schönborn bei der Diözesanta­gung empfohlen hatte. Genau das, was bisher von ihnen als Vertretern der Diözese sowie von den Zuständige­n der „Pfarre neu“verweigert wurde.

Es scheint, dass für die Leitung der Erzdiözese Wien die mehr als 1000 Unterschri­ften der Kirchenbas­is nicht mehr als Makulaturp­apier sind. In den höheren Kreisen der österreich­ischen Kirche sehen manche die Zukunft der Kirche sowieso nicht in den Pfarren, sondern in den „Movimenti“, neuen geistliche­n Bewegungen, in denen „Begeisteru­ng“als wichtiger denn Selbststän­digkeit oder Eigenveran­twortung gilt. Gerne gesehen sind auch große Events mit vielen Jugendlich­en, die gemeinsam singen und beten. Vermutlich erzeugt dies die Illusion einer neuen Volkskirch­e. Soziologen haben gezeigt, dass derartige Veranstalt­ungen zwar gut für die mediale Präsenz sind, aber keine nachhaltig­en Lebenshalt­ungen unterstütz­en. Mit singenden Jugendlich­en und sanften Worten wird die Kirche nicht weiterkomm­en. Die Hierarchie muss lernen wahrhaft und wahrhaftig mit

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