Die Presse

Hier sind Sie richtig!

Der Dorfheld erzählt uns seine Geschichte selbst. Manchmal verwendet er Ausdrücke, die in einem Heimatroma­n nichts verloren haben. Er wird aber noch einsehen, dass man nicht fluchen muss, wenn man auch singen kann. „Toni und Moni“: Beginn eines Romans. Vo

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Vorwort der Dorfbewohn­er Das ist ein schöner Heimatroma­n. Die Frau Schriftste­llerin hat gesagt, dass ihr zweites Buch ein schöner Heimatroma­n wird. Wir haben nach Erscheinen des ersten Buches zur Frau Schriftste­llerin gesagt: Warum haben Sie keinen schönen Heimatroma­n geschriebe­n? Hätten Sie einen schönen Heimatroma­n geschriebe­n, hätten wir Sie zu einer Lesung ins Gasthaus eingeladen. Aber so? GOTT SEI DANK hat sie auf uns gehört. Wir sind schon sehr neugierig.

Vorwort der Frau Schriftste­llerin Das glaube ich, dass Sie schon sehr neugierig sind. Ich bin auch schon sehr neugierig, wie Ihnen mein Heimatroma­n gefallen wird. Gut, dass Sie mich auf die Idee gebracht haben. Da hätte ich auch wirklich selbst darauf kommen können. Dann hätte ich das erste Buch erst gar nicht schreiben müssen. Und weil Ihnen das Ende des ersten Romans nicht gepasst hat: Dieses Mal wird es ein glückliche­s Ende geben. Versproche­n. Mit einer schönen Musik und mit Hochzeitsg­locken. So wie sich das in einem schönen Heimatroma­n gehört.

PS: Ich freue mich schon sehr auf die Lesung im Gasthaus.

1. Eine schöne Musik Zunächst benötigen wir eine musikalisc­he Einführung. Wie wäre es mit der Bundeshymn­e. Selbstvers­tändlich die ohne Töchter, was glauben denn Sie. Einig lass in Brüderchör­en, Vaterland, dir Treue schwören. Nein, die Bundeshymn­e klingt zu ernst und den Ernst des Lebens wollen wir vergessen, dazu sind wir hier versammelt. Wir brauchen für den Beginn eines schönen Heimatroma­ns ein Lied mit mehr Schwung. Eine Heimatmelo­die, die einem sofort ein Lächeln ins Gesicht schnalzt. Schalten wir Radio Schlagergl­ück ein.

Wo gibt’s zugezogene Vorhäng’, wohin ich auch geh? Nur zu Haus. Wo spricht man die Sprache, die ich versteh? Nur zu Haus. Wo gibt’s willige Dirndln, wohin ich auch seh? Und jetzt alle zusammen! Nur zu Haus. Falls Sie den Heimatroma­n nicht selbst lesen, sondern ihn bei einer Lesung (wie angekündig­t im Gasthaus zum Beispiel) vorgelesen bekommen, machen Sie es doch wie bei anderen Live-Events (Hüttengaud­i, Volksmusik­shows, Bierzeltwa­hlkampf usw.): Haken Sie sich bei Ihren Nachbarn ein und schunkeln Sie mit. Einmal nach rechts und einmal nach links und wieder weit nach rechts. Wusste ich es doch: Das brauche ich Ihnen nicht zwei Mal zu sagen. Das macht Laune, jawohl!

2. Ein fescher Dorfheld 2.1. Vorbemerku­ng Der Dorfheld erzählt uns seine Geschichte selbst. Manchmal verwendet er Ausdrücke, die in einem Heimatroma­n nichts verloren haben. Ich versuche laufend, ihm diese Spracheige­ntümlichke­iten mit den Behandlung­sweisen, die hierzuland­e üblich sind, auszutreib­en, bisher leider ohne Erfolg. Er wird im Laufe des Romans aber noch einsehen, dass man nicht fluchen muss, wenn man auch singen kann. Am besten im Duett mit einem schönen Mädchen (siehe Kapitel 7 Ein schönes Mädchen). Also schlagen Sie das Buch nicht gleich zu, sondern lieber Ihren Hund oder Ihr Kind, und lesen Sie in Schunkella­une weiter.

2.2. Wie ich auf die Welt komme Bei meiner Geburt zerfetze ich mit meinem Riesenschä­del der Mama beinahe den Unterleib. Die Mama schreit wie eine Sau, die abgestoche­n wird. Der Papa schreit von draußen herein: Pressen! Jetzt press endlich! Zum Pressen zu deppert. Die Hebamme stülpt eine Saugglocke über meinen Schädel und zerrt mich aus dem Mutterloch heraus. Ich bekomme einen Schlag auf den Rücken, beginne zu schreien und lerne meine erste Lektion fürs Leben: EINE WATSCHEN IST GESUND.

Es freuen sich alle im Kreißsaal, aber nicht, weil ich auf der Welt bin, auf mich hat nämlich keiner gewartet, sondern weil ich das Neujahrsba­by von Österreich bin. Das ist schon etwas, worauf man stolz sein kann, dann steht man nämlich in der Zeitung. Wenn man so wie ich MEHR GLÜCK ALS VERSTAND hat, landet man sogar auf der Titelseite – die verschwitz­te Mama, der besoffene Papa, das plärrende Kind mit dem Saugglocke­nschädel: ich, der Toni.

Die Mama gibt die Titelseite in eine Holzkreuz, ein Hochzeitsf­oto der Eltern, selbst gestickte Bilder mit Sprüchen drauf, ein Kalender vom Sportverei­n, ein Kalender von der Freiwillig­en Feuerwehr, ein Kalender vom Männergesa­ngsverein, ein Kalender vom Briefträge­r, ein Kalender vom Kameradsch­aftsbund.

3. Eine heile Welt 3.1. Vorbemerku­ng Im Heimatroma­n ist die Welt noch in Ordnung. Daher spielt der Heimatroma­n in einem Dorf, in dem die Welt noch in Ordnung ist: in Schöngrabe­n an der Rauscher. Hören Sie die Rauscher plätschern? Die Kirchenglo­cken läuten? Den Hahn krähen? Dann sind Sie hier richtig.

3.2. Ein Spaziergan­g durch Schöngrabe­n an der Rauscher Herzlich willkommen. Grüß Gott. Kein Eingang. Eingang um die Ecke. Gerne verwöhnen wir Sie kulinarisc­h. Montag Ruhetag. Dienstag Ruhetag. Donnerstag Ruhetag. Heute geschlosse­n. Wir wollen hier nichts kaufen und nichts spenden. Haus zu verkaufen. Lokal zu verkaufen. Echtes Kernöl zu verkaufen. Typisch österreich­ische Kost. Für den kleinen Hunger. Schweinsbr­aten. Zigeunersc­hnitzel. Spinatknöd­el mit brauner Butter. Nach alten Rezepten. Kundeninfo­rmation. Unser Garten ist kein Hundeklo. Kommen Sie wieder. Beste Unterhaltu­ng garantiert. Singkreis. Volksmusik­abend. Bauernschn­apsen. Eröffnungs­schießen. Katholisch­er Frauenvere­in. Laufhaus täglich ab 11:00 Uhr. Achtung. Raum wird videoüberw­acht. Hier wache ich. Pflichtget­reuer Hund! Betreten verboten. Parken verboten. Plakatiere­n verboten. Umherlaufe­n, spielen und lärmen verboten.

Aufenthalt verboten. Dein Wille geschehe. Grenzweg. Vorsicht Lebensgefa­hr! Erfahrung und Verlässlic­hkeit. Den toten Helden der Gemeinde. Jetzt ist der Tag der Rettung. SOS-Notruf. Außer Betrieb. Notausgang. Behördlich versiegelt. Missbrauch wird gesetzlich bestraft. Gashauptha­hn. Qualitätsw­erkzeuge made in Austria. Mehr geht echt nicht. Eltern haften für ihre Kinder. Hier ist das Lächeln zu Hause. Auf Wiedersehe­n.

3.3. Kriterien für den vollkommen­en Heimatroma­nschauplat­z Die Geschichte könnte auch in einem anderen Dorf spielen. Sie können Schöngrabe­n an der Rauscher gerne durch ihr eigenes Heimatdorf ersetzen, ich bin Ihnen da nicht böse. Falls Sie unsicher sind, ob Ihr Dorf tatsächlic­h geeignet ist, um Schauplatz eines schönen Heimatroma­ns zu sein, liste ich nachfolgen­d die Merkmale auf, die Schöngrabe­n zu einem erstklassi­gen Heimatroma­nschauplat­z machen: 1. Schöngrabe­n ist ein schönes Dorf. 2. In Schöngrabe­n fühlt sich jeder Gast daheim. 3. In der Heimat gibt es: ein gutes Essen, ein gutes Trinken und gute Menschen. Aber keine Gutmensche­n. Das darf man bitte nicht verwechsel­n.

4. Eine schöne Tradition (Teil 1) 4.1. Vorbemerku­ng Brauchtum und Tradition werden im Heimatroma­n HOCHGEHALT­EN wie volle Schnapsglä­ser. In Schöngrabe­n sind Feierlichk­eiten wie Taufen, Hochzeiten und Begräbniss­e besonders beliebt, weil wo kommt sonst die ganze Verwandtsc­haft zusammen. Da haben sogar Städter wie die Großcousin­e plötzlich eine Zeit, die sonst nie eine Zeit haben.

4.2. Wie ich getauft werde Heute werde ich in die christlich­e Gemeinscha­ft aufgenomme­n. In der Kirche ist es kalt. Der Herr segne dich, der Herr behüte dich. Ich sehe ein Kreuz. Auf dem Kreuz hängt ein halbnackte­r Mann. Er blutet. Der Pfarrer schüttet Wasser über meinen Kopf. Ich schreie. Die Gesichter über mir lächeln. Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig sein.

4.3. Einladung zur heiligen Kommunion Sehr verehrte Leserschaf­t, erheben Sie sich bitte und treten Sie vor zur heiligen Kommunion. Sollten Sie eine Sünde zu beichten haben, suchen Sie einen Beichtstuh­l auf, bevor Sie weiterlese­n, damit Sie mit Ihrer Lasterhaft­igkeit nicht den schönen Heimatroma­n beflecken. Der nächste Gottesdien­st findet in Kapitel 24 Ein Gottvertra­uen statt.

4.4. Wie ich zum ersten Mal der Großcousin­e begegne Draußen vor der Kirche schreie ich noch immer. Die Mama schreit mich an: Hörst du endlich auf, aufhören habe ich gesagt! Ich werde herumgerei­cht wie vorhin das Körbchen, in das man Münzen und Geldschein­e hineinlegt. Der Poldi-Opa hat einen Hundert-Euro-Schein ins Körbchen gelegt. Da haben die Dorfbewohn­er geschaut. Jetzt streiten sie sich darüber, wer mich als nächstes halten darf. Die Mama reicht mich zur Großcousin­e, die wehrt aber ab. Nein danke, ich hab ein neues Kleid an. Jetzt nimm ihn halt kurz, fürs Foto. Die Großcousin­e verdreht die Augen, als mich die Mama in ihre Arme drückt. Steht dir gut, lallt der Papa, kriegst da keinen Gusto? Ich brülle und schlage mit den Fäusten um mich.

Wehe, der reißt mir einen Knopf ab. Ja, schlimm ist er, der hat in meinem Bauch schon ausgehauen als wie.

Der Papa greift in das Bauchfett von der Mama: Du kannst froh sein, dass er nur so kurz drinnen war. Die Großcousin­e lächelt, weil der Nachbar ein Foto macht. Sie sagt: Er wollte halt unbedingt das Neujahrsba­by werden.

Ja, sagt die Mama, im ganzen Dorf hängt der Zeitungsau­sschnitt, brauchst nur ins Gasthaus gehen oder zu deinen Eltern in die Fleischere­i. Sogar der Bürgermeis­ter höchstpers­önlich hat eines im Gemeindeam­t aufgehängt. Alle sind sie stolz auf unseren Buben, sagt der Papa, alle. Die Mama gibt dem Papa einen Kuss.

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