Die Presse

Raum statt Masse

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Sie stammt aus einer längst vergangene­n Epoche und hat schon einige Namen getragen: die Universitä­t für angewandte Kunst Wien. Ursprüngli­ch als „Kunstgewer­beschule“in Symbiose mit dem benachbart­en Museum gegründet, könnte sie heute ihren Bedarf an „Anschauung­smaterial“für den Kunstunter­richt wohl kaum mehr aus dessen Beständen decken. Auf eine Qualität kann „die Angewandte“jedoch nach wie vor zurückgrei­fen: Ihre Gebäude sind beispielha­ft für die Architektu­r ihrer Zeit.

Dieser Anspruch war schon mit dem ersten eigenen, nach den Plänen von Heinrich Ferstel am Stubenring errichtete­n Haus verbunden. Doch wie es Perioden gab, die der Architektu­r des ausgehende­n 19. Jahrhunder­ts keinen künstleris­chen Wert abgewinnen konnten, war auch der Respekt vor Bauten der 1960er-Jahre wie dem von Eugen Wöhrle und Karl Schwanzer errichtete­n Erweiterun­gsbau der damaligen Akademie nicht immer und überall besonders groß. Oder war es im Fall der Angewandte­n bloß die schiere Menge der im Lauf der Jahrzehnte irgendwie bewältigte­n Notwendigk­eiten des Alltags, die den Schwanzer-Trakt in seinem Inneren fast bis zur Unkenntlic­hkeit entstellt haben? Seine von Riepl Kaufmann Bammer Architektu­r geplante Sanierung jedenfalls knüpft nun an die baukünstle­rische Tradition der Angewandte­n ebenso an wie ihre Umdeutung des auf der anderen Seite des Wienflusse­s gelegenen ehemaligen Zollamtes zum Universitä­tsgebäude.

Riepl Kaufmann Bammer Architektu­r hat, als Sieger eines geladenen Verfahrens mit der Generalsan­ierung des SchwanzerT­raktes beauftragt, alles konstrukti­v Unnötige daraus entfernt und seine klare, an einen Industrieb­au gemahnende Tragstrukt­ur freigelegt. Der Schwanzer-Trakt erstreckt sich parallel zum Wienfluss. Seine sieben oberirdisc­hen Geschoße sind zwischen zwei stirnseiti­g gelegenen Stiegenhäu­sern aufgespann­t. Die filigranen, hinter abgehängte­n Verkleidun­gen zum Vorschein gekommenen kassettier­ten Stahlbeton­decken werden von jeweils drei Betonstütz­enreihen getragen. Die lang gezogenen rechteckig­en Hallen zwischen den Stiegenhäu­sern lassen eine Vielzahl unterschie­dlicher Raumfigura­tionen zu. Um diese funktionel­le Großzügigk­eit auch im Raumeindru­ck zu erhalten, hat Riepl Kaufmann Bammer Architektu­r einen Bausatz entwickelt, der die notwendige Variabilit­ät der Grundrisse in einem System verankert: In der Mittelzone ordnet eine abgehängte Decke aus Streckmeta­ll den Verlauf der darüber vage sichtbaren haustechni­schen Leitungen.

Quer zu den Längswände­n gestellte Trennwände sind undurchsic­htig ausgeführt, der Länge nach verlaufend­e Raumtrennu­ngen transparen­t, Türblätter opak. Dieses Ordnungssy­stem setzt die unterschie­dlichen Raumfigura­tionen der Universitä­t um ohne die Konstrukti­on erneut zu len. Der Außenauftr­itt des Gebäudes ist nahezu unveränder­t. Lediglich eine im Garten angelegte Rampe verbindet nun ebenerdig die beiden Quertrakte der Anlage.

Hat Riepl Kaufmann Bammer Architektu­r mit der Generalsan­ierung des Schwanzer-Traktes also jene Qualitäten des Bestandes herausgear­beitet, die wir heute darin (an)erkennen, lag bei ihrem nach einem zweiten Wettbewerb beauftragt­en Umbau des ehemaligen Zollamts zum Universitä­tsgebäude der Schwerpunk­t auf der Korrektur eines wesentlich­en Charakterz­u- ges des Vorgefunde­nen. Das um die vorletzte Jahrhunder­twende entstanden­e Bauwerk wendet zwar dem Wienfluss eine reich gegliedert­e Eingangsfa­ssade zu, hinter der ein repräsenta­tives Hauptstieg­enhaus zeigt, dass man mit Raum wohl umzugehen wusste. Dahinter aber fanden sich in bester Gründerzei­t-Manier die Amtsstuben dicht an dicht um drei enge Lichthöfe gepackt: eine für die Bedürfniss­e einer Kunstunive­rsität unhaltbare Situation. Aus diesem massiven Block hat Riepl Kaufmann Bammer Architektu­r unter Erhaltung der äußeren Raumschich­t den Kern herausgesc­hnitten und den so gewonnenen Raum mit einer neuen, lichterfül­lten Mitte besetzt. Eine von Jürg Conzett entwickelt­e Tragstrukt­ur aus Stahlbeton stabilisie­rt das Gebäude und bildet ein sechsgesch­oßiges Atrium, dessen Galerien mehr leisten als die bloße Erschließu­ng der daran gereihten Räume. Die Decken reichen über die nach oben hin schlanker werdenden Stützen hinaus, die transparen­ten Brüstungen haben breite, mit einer kleinen Aufkantung versehene Abdeckunge­n: Dieser Raum lädt zum Verweilen ein und dazu, sich anzuschaue­n, wie man Variabilit­ät, Offenheit, Intimität, Ruhe oder Bewegung in Architektu­r umsetzen kann.

An die Stelle des westlichen Lichthofes hat Riepl Kaufmann Bammer Architektu­r ebenerdig eine zweigescho­ßige, multifunkt­ionale Aula gesetzt. Unter dem Saal quert die U-Bahn den Keller des Hauses, was die schalltech­nische Entkoppelu­ng der Aula notwendig machte. Darüber ist ein Gartenhof angelegt, der in seinen nun wesentlich besseren Proportion­en die Anlage mit einem im städtische­n Umfeld kostbaren Freiraum bereichert. Die Aula ist an ihrer dem Atrium zugewandte­n Westseite zur Gänze öffenbar. Auch die Rückwand im Osten kann zur dahinter liegenden Erschließu­ngszone geöffnet werden, in die über ein Glasdach Tageslicht aus dem Gartenhof fällt. Somit verfügt die Universitä­t für angewandte Kunst erstmals über einen Raum, in dem etwa die jährlichen Präsentati­onen ihrer Modeklasse­n stattfinde­n können.

Während die historisch­en Räume von Riepl Kaufmann Bammer Architektu­r in fast spartanisc­h anmutender Zurückhalt­ung für die jeweilige Nutzung ertüchtigt wurden, liegt der gestalteri­sche Schwerpunk­t der Anlage deutlich auf ihrer neuen Mitte. Der den Gartenhof flankieren­den Querspange sind verglaste Räume zugewiesen, die dazu beitragen, das Atrium zu einem lichten Ort spannender Blickbezie­hungen zu machen. Eine Cafeteria im Erdgeschoß und der gläsern zum Atrium orientiert­e Empfangsbe­reich der Bibliothek unterstrei­chen den Stellenwer­t des kommunikat­iven Zentrums. Sogar die Lesekabine­n hoch oben im weitgehend geschlosse­nen Betonkranz des Dachgescho­ßes schauen aus schmalen, in den Fächer ihrer Wandscheib­en geschobene­n Fenstern hinunter in den Raum, sodass selbst in der Konzentrat­ion auf das eigene

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