Wellness: Die Klientel wird immer jünger
Hotellerie. Seit zwanzig Jahren hat sich das Angebot stark verändert: Wellnessflächen in den Hotels haben sich vervielfacht, das Spektrum hat sich immer weiter ausdifferenziert. Ein Wellnessguide checkt die Branche seit 20 Jahren.
Das Prinzip Wellness ist alles andere als neu. Schon vor 5000 Jahren zielten Ayurveda-Behandlungen auf Entspannung von Körper und Geist ab. Und dann erst die alten Römer. Sie waren wahre Meister in der Errichtung von Wellnesstempeln, in denen sie bereits 200 vor Christi ihr Wohlgefühl aufpolierten. Das Wort Wellness kannten sie freilich noch nicht. Das hat ein US-Arzt in den 1950er-Jahren kreiert. Bald wurde es zum Oberbegriff einer neuartigen Gesundheitsbewegung. Und dann schwappte die Wellnesswelle voll auf Europa über. Wellness überall: im Fitnessstudio, in Joghurts, Tees, der Kleidung, dazu Wellnessakademien, Wellnesstrainer, Wellnesshotellerie. Letztere unterlag in den vergangenen 20 Jahren einer gewaltigen Änderung. Christian Werner, Wellnessguru und Herausgeber des „Relax Guide“, in dem Gesundheits- und Wellnesshotels seit nunmehr 20 Jahren kritisch beschrieben und die guten mit Lilien ausgezeichnet werden: „Als wir damals angefangen haben, gab es in Österreich gerade einmal 300 solcher Hotels, im Guide von 2019 werden 1095 vorgestellt.“Die explosionsartige Vermehrung aber ist vorbei, die Zahl der Hotels stagniert nun auf hohem Niveau.
Werner bescheinigt der Branche auch viel mehr Professionalität als vor zwei Jahrzehnten. Wellness ist generell viel differenzierter geworden. Und wird es noch viel mehr, meint Trend- und Tourismusforscher Andreas Reiter vom Zukunftsbüro Wien. „Wellness wird eine intensive Individualisierung erfahren.“Reiter meint damit unter anderem das Gender-Thema, spricht aber sogar von künftigen „DNA-Treatments“. Dem Wellnessgast von heute, so Reiter, reiche es auch nicht mehr, zwei Tage voll zu entspannen, er will noch etwas dazu, will Aktivität, will Spaß. Entspannung zählt zwar nach wie vor, aber nur Erholung allein war gestern.
Die österreichische Wellnesshotellerie hat bereits reagiert. Werners Resümee: „Es wird jetzt viel, viel mehr geboten, mehr Fitness-, mehr Aktivprogramme, mehr von allem.“Die Infrastruktur habe ebenfalls unglaublich zugelegt. So sind die Pools der guten Hotels heute durchschnittlich dreimal größer als vor zwei Jahrzehnten. „Es gibt Hotelwellnessbereiche, die fast so groß sind wie eine öffentliche Therme von ehedem.“Auch die durchschnittliche Betriebsgröße ist fast auf das Dreifache angewachsen. Und während „damals“nur 0,3 Prozent mit einer Außensauna aufwarten konnten, gibt es eine solche heute schon in jedem fünften Haus, bei den Lilienhotels haben gar 35 bis 40 Prozent eine Außensauna. Ein Plus gibt es prinzipiell auch bei den Liegen, Werner und seine Tester zählen sie Jahr für Jahr. Dennoch finden sich auch in Lilienhotels noch krasse Missverhältnisse zwischen Betten und Liegen, beispielsweise 130 zu 30 oder 200 zu 99 oder gar 120 zu zehn.
Einen negativen Trend ortet Werner in der Küche: „Da gibt es auch in den sehr guten Häusern viel mehr Convenience Food als früher.“Das „Plastikzeitalter“habe auch in vielen guten Häusern Einzug gehalten. Und was vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wäre, wird heute immer wieder praktiziert: Um- oder Ausbau bei laufendem Betrieb.
Ein Blick auf die Preise: Ende der 1990er kostete eine Übernach- tung mit Halbpension im Doppelzimmer durchschnittlich 58 Euro, heute sind es etwa 104 Euro. Mit Inflationsberechnung dürften es aber nur 83 Euro sein. „Die Hotelpreise sind der allgemeinen Teuerung regelrecht davongaloppiert“, konstatiert Werner, der von Hotellerie und Kammer nicht immer nur auf Rosen gebettet wurde.
Ein Blick in die Zukunft: Die Boomjahre mit dem schier unkontrollierten Hotelzuwachs sind zwar vorbei, Wellnesstage im Hotel werden aber weiterhin stark gefragt sein. „Denn der Stresspegel der schnelllebigen Gesellschaft steigt weiterhin an und damit auch das Bedürfnis nach Abschalten und Erholung“, sagt Werner. Die Nonstop-Beschleunigung und Informationsüberflutung der Jetztzeit habe, so Trendforscher Reiter, die Wellnessklientel verjüngt. „Immer mehr jüngere Gäste suchen Ausgleich zu den Jobs, die nicht mehr nine to five bedeuten, sondern in drei Tagen alles. Die Wellnesshotellerie profitiert davon.“Zu den Best Agers, die einst das Hauptpublikum waren, gesellt sich nun also vermehrt die Jugend.
Für die gute Wellnesshotellerie, die sich den modernen Bedürfnissen anpasst, sieht die Zukunft also recht rosig aus. Und mit Blick auf den nahenden Winter meint Claudia Riebler, Unternehmenssprecherin der Österreich-Werbung: „Sind die Gäste früher primär zum Skifahren gekommen, so wollen sie heute auch Programme abseits der Piste, etwa einen Thermenbesuch. Wir sehen einen Trend zum gemischten Urlaub, ein Teil der Familie fährt Ski, der andere lässt sich unterdessen in den Wellnessbereichen eines Hotels verwöhnen.“Wellness hat offensichtlich immer Saison.
Der „Relax Guide 2019“beleuchtet 1095 österreichische Hotels, umfasst einen Sonderteil über die Boomregion Südtirol und ist um 24.90 Euro inklusive E-Book sowie iOS-App im Buchhandel erhältlich. Ein Vorabblick ins Buch: Nur noch drei Hotels haben die Höchstbewertung (vier Lilien, 20 Punkte) erreicht.