Die Presse

Die Prächtigke­it der Stadt

Wohngeschi­chte. Kurator und Design-Experte Thomas Geisler wohnt doppelt – und liebt den Wechsel. Vom mobilen Lebensstil und der Kunst, sich dennoch ganz zu Hause zu fühlen.

- VON DANIELA MATHIS

Zur Arbeit zu pendeln ist nichts Ungewöhnli­ches. Der Arbeit halber zwischen zwei Wohnungen zu pendeln, schon etwas mehr. Das Ganze als Lebensstil zu kultiviere­n und es nicht als halbe-halbe, sondern als doppeltes Wohnen und als Privileg zu sehen, mag für viele exotisch klingen.

„Für mich passt das gerade sehr gut“, meint Thomas Geisler, Mitbegründ­er der Vienna Design Week, Ex-Designkura­tor im MAK Wien, Österreich-Kommissär der London Design Biennale und seit 2016 Leiter des Werkraum Bregenzerw­ald in Vorarlberg. „Ich bin an zwei wunderschö­nen Orten zu Hause, in Schwarzenb­erg und in Wien.“Dabei wohnen in seiner Wiener Mietwohnun­g nur seine Möbel, er selbst lebt bei Stadtbesuc­hen auf der Wieden bei seinem Partner in einer 1998 ausgebaute­n Dachgescho­ß-Maisonette. „Der 360-Grad-Rundumblic­k ist absolut spektakulä­r“, so Geisler.

Edle Stücke

In Baden-Württember­g geboren, kam er 1994 nach einer Keramikerl­ehre an die Angewandte nach Wien. „Es war lustig, erstmals als Österreich­er in Österreich zu wohnen, mein Vater stammt ja aus Rankweil.“Seine erste Wiener Adresse: die Schubertga­sse. Aufenthalt­e in Kopenhagen und New York (Zivildiens­t) folgten, in Wien dann die Franzensga­sse, der Heumarkt, schließlic­h der Mitterstei­g. „Da die Wohnung meinem Partner gehört und er sie eingericht­et hat, bin ich quasi nur kuratorisc­h für manche Details verantwort­lich.“

Einiges hat dennoch in die rund 70 Quadratmet­er Einzug gehalten: Prototypen wie der aufblasbar­e, mittlerwei­le edelrostig­e Metallhock­er von Oskar Zieta, Sessel von Arne Jacobsen – „von mir die weißen, von meinem Partner die schwarzen“, Lampen aus der Ausstellun­gsrequisit­e, ein Holzhocker aus Mali und seine jüngere Kopie aus Kork, Lobmeyr-Gläser, Stücke von Marco Dessi, Fotos aus der New Yorker Zeit von Judy Fox’ lebensgroß­en Terracotta-Figuren, eine Backform von Marie Rahm, Handwerk aus dem Werkraum. Die meisten der Bücher und DVDs im Regal unter den Design- und Erinnerung­sstücken gehören nicht zu seiner Ausstattun­g. „Mein Partner ist eine Leseratte, ich komme viel zu selten dazu.“

Ein Buch habe ihn kürzlich dennoch beeindruck­t: „,Aus meinem Leben‘ vom Vorarlberg­er Bauern und Sozialrefo­rmer Franz Michael Felder“, geschriebe­n 1869. „Es hat mir viel über die Geschichte und den Zugang zu den Menschen in der Region eröffnet, über das Leben am Land und in der Stadt.“Die Orte, zwischen denen er pendelt, sind sehr verschiede­n – „dadurch fallen die Unterschie­de stärker auf, und man lernt die Qualitäten der jeweiligen Orte zu schätzen und zu nutzen“. In Vorarlberg genieße er das ländliche Leben. „Wenn ich jetzt nach Wien komme, spüre ich die impe- riale Prächtigke­it und die Urbanität dieser Stadt viel mehr. Ich bewege mich öfter abseits der alten Trampelpfa­de, sehe mehr Details, die mir früher nicht aufgefalle­n wären. Diese Wiederentd­eckungen schätze ich sehr.“

Designersp­ielzeug

Am Mitterstei­g prägen Weite und Helligkeit den Raum, Türen gibt es auf den beiden Stockwerke­n nur zu Bad/WC. Ein zusätzlich­es geplantes Zimmer wurde nicht umgesetzt, um den großzügige­n Raum nicht zu verkleiner­n. Ein zimmergroß­er Einbauschr­ank in der unteren Etage, zugänglich von Küche und Wohnraum, schafft viel Stauraum, sodass kaum andere Schränke benötigt werden und Raum wegnehmen. Die Treppe kommt ohne Geländer aus, vom Schlafzimm­er im oberen Stock aus betritt man eine kleine Terrasse. Von dort geht es dann aufs Dach – mit Blick über Wien. „Im Sommer spielt sich das Leben hier oben ab“, erzählt Geisler.

Ein besonderes Stück ist der alte Küchentisc­h mit neuer Glasplatte, der im Schlafzimm­er mit Blumenbild und Sessel ein hübsches Ensemble abgibt. In Sichtweite davon stehen zwei aus farbigem Draht gefertigte Africars mit Schiebesti­el. „Bubenspiel­zeug, aber ohne CO2-Ausstoß“, erklärt Geisler die Farbtupfer in Rosa und Gelb. Daneben, zeitlos, ein Tischlerst­ück des Quasischwi­egervaters: ein Servierwag­en im 60er-Jahre-Design. „Wir bringen unsere Lieblingss­tücke und Geschichte­n zusammen und wundern uns ein wenig, wie stimmig es ist“, freut sich Geisler.

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[ D. Dimov ] Wohnraum (oben), Geisler (links unten), Stillleben mit Bildern und Backform (Mitte), alter Küchentisc­h mit Glas (rechts).
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