Die Presse

Leitartike­l von Thomas Vieregge

Die letzte deutsche Bastion ist gefallen. Die CSU wurde bei der Landtagswa­hl zurechtges­tutzt – auch, weil Seehofer und Söder den Bogen überspannt hatten.

- VON THOMAS VIEREGGE E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

Die CSU ist Bayern, und Bayern ist die CSU.“Jahrzehnte­lang war das ehernes Gesetz im Freistaat, in Stein gemeißelt von Übervater Franz Josef Strauß und seinen Adepten – von Edmund Stoiber über Horst Seehofer bis Markus Söder. Daraus bezogen die Christsozi­alen ihre Identität, daraus speiste sich ihre „Mia san mia“Mentalität; und daraus leitete sich ihr auftrumpfe­ndes und aufpluster­ndes Auftreten in der Bundespoli­tik ab, das alle CDUKanzler von Adenauer über Kohl bis Merkel oft genug zur Verzweiflu­ng trieb.

Bis der bayerische Fels am Wahlsonnta­g, an dem das Firmament in den Landesfarb­en weiß-blau leuchtete, bröckelte. Der Mythos der Erfolgspar­tei, bewundert von Parteifreu­nden in ganz Europa, ist dahin. Die letzte Bastion einer deutschen Volksparte­i ist gefallen. Und dennoch müssten viele europäisch­e Parteien angesichts des hohen Niveaus des CSU-Resultats geradezu von Neid erfüllt sein.

Für Nochkanzle­rin Angela Merkel ist das Ergebnis indes ambivalent: Eine gestutzte CSU zehrt die Union und die Koalition weiter aus, die im freien Fall scheint – eine Regierung auf Abruf, die starken Fliehkräft­en ausgesetzt ist. Die Wähler in Bayern stellten die SPD quasi unter Artenschut­z, Panik greift um sich. Es könnte rasch zu Ende gehen mit der ungeliebte­n und lahmen Koalition in Berlin.

Dass die Gewissheit­en für die Staatspart­ei CSU von Bayreuth bis Berchtesga­den und vom Bayerische­n Wald bis zum Bodensee ins Rutschen geraten sind, hatte sich erstmals vor zehn Jahren angedeutet, als die CSU bei der Landtagswa­hl mit rund 43 Prozent die absolute Mehrheit einbüßte – und schließlic­h im Vorjahr, als sie bei der Bundestags­wahl sogar unter die 40-Prozent-Marke stürzte. Die CSU-Granden riefen den Notstand aus, sie stürzten Seehofer vom Sockel des Ministerpr­äsidenten und installier­ten seinen Rivalen Söder als Regierungs­chef in München.

Die Machtteilu­ng konnte in dieser Personenko­nstellatio­n nicht funktionie­ren: ein irrlichter­nder, erratische­r und rechthaber­ischer Parteichef Seehofer als Innenminis­ter in Berlin, der die Koalition innerhalb nur eines halben Jahres mehrmals an den Rand des Scheiterns brachte; und ein überehrgei­ziger Ministerpr­äsident

Söder, der versuchte, sich in alter CSUTraditi­on als Zwischenru­fer und Besserwiss­er zu profiliere­n, der zuspitzte und polarisier­te. Das ungleiche Duo richtete Chaos in Berlin an, es überspannt­e vor allem in der Flüchtling­spolitik den Bogen: Funktionär­e, Mitglieder und Wähler stöhnten zunehmend über den CSUChef, der eine Volte nach der anderen schlug und inzwischen nur noch mitleidig bis spöttisch belächelt wird – in Bayern die Höchststra­fe für einen Politiker.

Die Politikmas­chine Söder versuchte dagegen noch einmal alles: Er schüttete das Füllhorn aus, er attackiert­e die rechtspopu­listische Rechtsextr­eme, verzichtet­e AfD als weitgehend gefährlich­e auf Polemik in der Flüchtling­sdebatte und gab sich als stolzer Landesvate­r. Er strotzte vor Kraft, und er zerriss sich. Ein Spagat, der nicht zu bewältigen war. Es gelang nicht mehr glaubwürdi­g, die Breite abzudecken, auf die sich die CSU so lang viel zugutegeha­lten hatte: konservati­v, sozial und mitunter liberal. Die Unzufriede­nen und Verunsiche­rten wanderten zur AfD ab, viele engagierte Christen zu den Grünen, die im Wahlkampf mit Pragmatism­us und einer positiven Ausstrahlu­ng daherkamen. Am Ende waren die CSU-Strategen trotz einer herausrage­nden Wirtschaft­sbilanz ratlos.

Edmund Stoiber, Söders politische­r Ziehvater, machte in einer Vorwahlana­lyse eine soziologis­che Ursache für die CSU-Schlappe aus. Der Wirtschaft­smagnet Bayern zog in den vergangene­n 15 Jahren 1,6 Millionen Menschen an – aus Thüringen, Nordrhein-Westfalen oder Niedersach­sen –, denen das „CSUGen“fehlt: die Sozialisat­ion in Vereinen, Heimatverb­änden tegrations­kraft der und CSU Kirchen. schwindet. Die Der InErosions­prozess, die gesellscha­ftliche Aufsplitte­rung haben nun auch Bayern erreicht. So wie sich am Sonntag die Kirchen – nicht nur in den Städten – zusehends leeren, so haben die Bürger diesmal in der Wahlkabine ihr Kreuz bei Grünen, AfD oder Freien Wählern gemacht. Bavaria ist bunter geworden, und dies spiegelt sich im Landtag wider.

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