Die Presse

Doppeladle­r und Totenkopf: Mexiko grüßt Wien

Kolonialkr­itik und Grenzerfah­rungen zur Eröffnung der TQW-Saison.

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Von der Seite flutet warmes Licht die Bühne und leuchtet eine Sandfläche aus, auf der nur die Liegestühl­e fehlen. Doch Strandidyl­le ist das keine. Es ist ein Streifen Niemandsla­nd. Schon schleichen Menschen in seltsamem Wiegeschri­tt über die Bühne. Manche verstecken sich hinter Kapuzen oder zerzausten Haaren. Andere blicken provokant direkt ins Publikum. Immer wieder tauchen neue Gestalten hinter der kleinen aufgeschüt­teten Düne auf und beginnen ihren leisen, eintönigen Marsch. Dann liegt einer dort und bewegt sich nicht mehr. Unmöglich, in diesem Augenblick nicht an jene Menschen zu denken, die versuchen, das Meer und die Grenzen nach Europa zu überwinden.

Amanda Pin˜as Stück „Danza y frontera“, das die Saison im Tanzquarti­er Wien eröffnete, erinnert auch an eine jahrhunder­tealte Kultur. Die mexikanisc­h-chilenisch-österreich­ische Choreograf­in nimmt Bezug auf einen präkolonia­len Tanz aus Matamoros, einer mexikanisc­hen Stadt direkt an der Grenze zu den USA. Es ist ein Tanz, der einst auch die Eroberung Mexikos begleitete. Heute stehen die Nachfolger der Eroberten erhobenen Hauptes in Wien: Bei Pin˜a findet man Habsburgs Doppeladle­r (als Pailletten-Stickerei auf einem Rock) neben dem Totenkopf (auf dem T-Shirt). „Danza y frontera“mischt indigene Rhythmen mit Hip-Hop, lässt mystische Figuren auf junge Leute treffen – zieht so Parallelen zwischen einst und jetzt. Die Erzählgesc­hwindigkei­t ist dabei fast wie in Zeitlupe – das macht das Stück unnötig langatmig. Erst im Finale reißt eine Trommel die Tänzer mit – und manchen Zuschauer aus der Trance. (i. w.)

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