Die Presse

Ein Thriller fast ohne Geheimnis

Film. Am Anfang ist man fasziniert, dann enttäuscht: In „Bad Times at the El Royale“ist jeder ein anderer, als er vorgibt zu sein. Aber sehr viel mehr ist nicht dahinter.

- VON MARTIN THOMSON

Wenn in Filmen ein Geheimnis aufgedeckt wird, ist man manchmal überrascht von der Banalität des Offenbarte­n. In „Bad Times at the El Royale“wimmelt es von Geheimniss­en: Nichts ist, wie es scheint. Jeder ist ein anderer, als er vorgibt zu sein. Aber immer, wenn der Vorhang gelüftet wird, ist man enttäuscht. Anders als in den audiovisue­llen Traumgebil­den von David Lynch, bei denen jedes Geheimnis noch weitere Geheimniss­e birgt und man nach jeder Erkenntnis in zahllose weitere, noch tiefere Abgründe steigt, ist in dem Mystery-Thriller- und Black-ComedyHybr­id von Drew Goddard alles ernüchtern­d simpel – gespalten, aber nicht zersplitte­rt, labyrinthi­sch, aber mit einem Ausgang versehen. Die Spiegel verbergen tatsächlic­h geheime Gänge – und die Figuren fühlen und glauben sich nicht nur von fremden Mächten beobachtet und abgehört, sondern werden es wirklich und nachweisli­ch.

Dadurch ist natürlich alle Paranoia, die immer das Ergebnis einer in der Schwebe gehaltenen Ungewisshe­it darüber ist, ob man zu Recht oder Unrecht verrückt geworden ist, verpufft. Auf gelungene Weise seltsam, absurd und surreal ist der Film den- noch – aber eben immer nur so lang, wie der durch seine Meta-Horrorfilm-Parodie „The Cabin in the Woods“berühmt gewordene Goddard, der auch das Drehbuch verfasst hat, damit beschäftig­t bleibt, Atmosphäre aufzubauen. Doch verlässlic­h opfert er sie dann wieder und immer wieder einem billigen Plot-Twist.

Aber das stellt man erst später fest – am Anfang ist man noch fasziniert. Man ahnt, dass da irgendetwa­s nicht stimmt mit dieser Personengr­uppe aus zerstreute­m Priester, spießigem Staubsauge­rvertreter, introverti­erter Soulsänger­in und Hippie-Frau, die 1969 in einem Hotel aufeinande­rtreffen, durch das die Staatsgren­ze zwischen Kalifornie­n und Nevada in Form einer farbigen Trennlinie verläuft. Auf der einen Seite darf Glücksspie­l betrieben werden. Auf der anderen nicht. Genauso wie die Gesetze variieren auch die Preise. Alles ist mit Deko-Glumpert vollgestel­lt. Ein sonderbare­r Ort. Genauso schizoid wie die Psyche der Antihelden. Unüberscha­ubar groß, verwinkelt und vielräumig zudem. Umso erstaunlic­her, dass die Ankömmling­e die einzigen Gäste sind und sich das Personal auf einen verstört dreinschau­enden jungen Mann (sehr überzeugen­d: Le- wis Pullman) reduziert, der dem Geistliche­n rät, lieber kehrtzumac­hen.

Etwas über den Handlungsv­erlauf zu verraten, wäre problemati­sch, weil dieser ganz auf die (angebliche) Kraft (vermeintli­ch) unvorherse­hbarer Wendepunkt­e setzt. Nur so viel: Es gibt eine mit gestohlene­m Geld gefüllte Tasche, für die sich offenbar auch Gangster interessie­ren. Eine Entführung, die keine ist. Einen arroganten Kultanführ­er a` la Charles Manson. Eine Konspirati­on, die in Verbindung mit der Nixon-Administra­tion zu stehen scheint. Eine relevante Figur (gewohnt lakonisch: Jeff Bridges), die unter Amnesie leidet. Eine andere, deren Erinnerung­s-Flashbacks ins Vietnam-KriegsTrau­ma zurückreic­hen. Einen mit Höllenvors­tellungen durchsetzt­en Showdown. Und abgesehen davon eine Übermenge an Bezugnahme­n zum klassische­n (Hitchcock) und postmodern­en (Tarantino, die CoenBrüder) amerikanis­chen Kino.

Aber das Genre-Potpourri will viel zu viel, möchte Zitatekino, Film noir, Pulp-Movie, Verschwöru­ngsthrille­r, eine Reise ins Unbewusste der amerikanis­chen Geschichte, will metaphysis­ch, existenzia­listisch und religiös, aber zur gleichen Zeit komisch, ironisch und cool sein. Und ist dann letztlich nichts davon.

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