Häfenelegie 1935
T eil 2 des Crashkurses für die neue SPÖ-Chefin in sozialistischer Parteigeschichte. Wir sind schon in jüngerer Zeit. 1935 war der Jusstudent Bruno Kreisky wegen Propagandatätigkeit für die illegale SDAP verhaftet worden. 15 Monate sollte er schließlich „dunsten“. Die lehrreichste Zeit seines Lebens, erzählte er später schmunzelnd. Er verschlang unzählige Bücher, arbeitete von sechs Uhr bis 18 Uhr ohne Unterlass, die aufbewahrten Bücherbestellungen bei der „Häfen“-Verwaltung geben darüber Aufschluss. Selbst Lenins Werke studierte er penibel, darunter befand sich auch das unverständlichste: „Materialismus und Empiriokritizismus“. Dennoch, auch so Seichtes wie „Aufruhr der Herzen“las er. Das war verboten: „Bei uns da herinnen gibt’s kan Aufruhr net!“Die illegale „Arbeiter-Zeitung“wurde damals in Brünn hergestellt und nach Wien eingeschleust. Als er sich beim Wärter beschwerte, dass die Bibliothek nur fade Lektüre wie die „Gartenlaube“von 1909 habe, grantelte dieser: „Für Ihna werd’ i ka Arbeiter-Zeitung aus Brünn eineschmuggeln.“Stattdessen versucht der Bärbeißige, Kreisky das Kartenspiel beizubringen. Doch den Jüngling interessierte das absolut nicht. Nach kapitalen Fehlern warf der Wärter mit einer unnachahmlichen Geste der Verzweiflung die Karten zusammen: „Du bist sogar für das˚ z’blöd.“(hws)