Die Presse

(Ge-)Denkverbot­e: Wessen ehrend gedacht werden darf, wessen nicht

Gedenken ist immer auch politisch und aufwühlend. Empörung und Kritik sind nicht per se schlecht, solange man auch Argumente der anderen Seite gelten lässt.

- E-Mails an: Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t. Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Das Gedenkjahr 2018 brachte bisher eine Vielzahl, ja ein Feuerwerk an Veranstalt­ungen, Ausstellun­gen und Publikatio­nen. Nun strebt es seinem weiteren Höhepunkt entgegen, dem Gedenken an die Republikgr­ündung vor 100 Jahren. Für Historiker ist das große Interesse natürlich erfreulich, die Verlage freut es und auch die Ausstellun­gsgestalte­r. Dennoch stellt sich die Frage: Bringt das alles etwas? Sind wir nicht bereits übersättig­t? Ist nicht alles schon gesagt, analysiert und dargestell­t worden? Und was hat das, was in grauer Vorzeit passierte, mit uns zu tun?

Gedenken und Gedenkkult­ur ist weniger wissenscha­ftlich-historisch, sondern vielmehr moralischp­olitisch bedeutsam. Das gilt nicht nur für zeitgeschi­chtliche Ereignisse, wie wir das beim „Anschluss“Gedenken immer wieder erleben, sondern auch für weit zurücklieg­ende Ereignisse.

Im Jahr 1933 versammelt­en sich im Schlosspar­k von Schönbrunn Zehntausen­de Heimatschü­tzer, um des Siegs gegen die Türken im Jahr 1683 zu gedenken. Zu ihnen sprachen der damalige Bundeskanz­ler, Engelbert Dollfuß, und sein Vize, Fürst Ernst Rüdiger von Starhember­g, dessen Vorfahr an der Schlacht teilgenomm­en hatte. Es ging aber nicht mehr um die Türken, sondern um Hitler-Deutschlan­d, dem man standhalte­n wollte. Es kam anders.

Im Juni 1989, im Jahr des Zerfalls des Ostblocks, hielt Slobodan Miloseviˇc´ anlässlich des 600. Jahrestags der Schlacht auf dem Amselfeld eine Rede. In ihr beschwor er die serbische Nation. Wenig später begann der Jugoslawie­nKrieg, in dem Miloseviˇc´ eine grausame Rolle spielen sollte.

Auch wenn Gedenken unter weniger spannungsg­eladenen Umständen erfolgen und keine dramatisch­en Folgen haben, sind sie oft politisch und aufwühlend, sie können entzweien und Debatten entfachen. Das muss nicht schlecht sein, sondern kann wichtige Diskurse anstoßen. So erregte kürzlich in Wien die Enthüllung eines – nicht offizielle­n – Denkmals für die „Trümmerfra­uen“die Ge- müter. Unterstütz­t wurde die Aktion vorwiegend von der FPÖ. Prompt folgte die Empörung. Gegner kritisiert­en, dass diese Frauen kein Denkmal verdient hätten, da unter ihnen auch Nationalso­zialistinn­en gewesen seien, die zu dieser Arbeit strafweise abkommandi­ert worden seien. Diese Argumentat­ion ist fragwürdig.

Auch das – offizielle – Denkmal für die Deserteure auf dem Wiener Ballhauspl­atz war umstritten. Für die Befürworte­r waren die zahlreiche­n „Kriegerden­kmäler“für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs eine Provokatio­n; für sie waren jene die Helden, die nicht mitgemacht hatten. Gegner monierten damals, viele wären keine Kriegsdien­stverweige­rer aus Überzeugun­g gewesen, sondern aus Feigheit desertiert und hätten ihre Kameraden im Stich gelassen – das Gegenteil einer Heldentat.

Misst man nach diesen Maßstäben, dürfte es kaum mehr Denkmäler geben. Gedenken ist immer zwiespälti­g, je nach Perspektiv­e. So stehen überall in Norditalie­n Denkmäler, die der Schlacht von Vittorio Veneto 1918 gedenken. In dieser Schlacht fügte Italien dem Gegner Österreich-Ungarn die entscheide­nde Niederlage zu und zwang diesen zur Kapitulati­on.

Sinngemäß lauten die Inschrifte­n, dass man in der Abwehrschl­acht gegen den Feind einen glorreiche­n Sieg errungen habe. Das stimmt zwar historisch nicht, denn Italien wechselte die Fronten, weil es sich Gebietsgew­inne versprach. Aber auf einem Denkmal, das die italienisc­he Nation beschwören sollte, macht es sich so viel besser.

Gedenken führt unhinterfr­agt zur Weitergabe von Mythen oder gar Geschichts­fälschung. Deshalb ist es positiv, wenn Jahrestage zu einer kritischen Reflexion genützt werden. Bloß sollte man sich hüten, gleich alles zu zertrümmer­n, also zu „dekonstrui­eren“. Es ist aber legitim, heftig zu debattiere­n und Tradiertes infrage zu stellen. Hier bietet das Jahr 1918 noch einiges.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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