(Ge-)Denkverbote: Wessen ehrend gedacht werden darf, wessen nicht
Gedenken ist immer auch politisch und aufwühlend. Empörung und Kritik sind nicht per se schlecht, solange man auch Argumente der anderen Seite gelten lässt.
Das Gedenkjahr 2018 brachte bisher eine Vielzahl, ja ein Feuerwerk an Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen. Nun strebt es seinem weiteren Höhepunkt entgegen, dem Gedenken an die Republikgründung vor 100 Jahren. Für Historiker ist das große Interesse natürlich erfreulich, die Verlage freut es und auch die Ausstellungsgestalter. Dennoch stellt sich die Frage: Bringt das alles etwas? Sind wir nicht bereits übersättigt? Ist nicht alles schon gesagt, analysiert und dargestellt worden? Und was hat das, was in grauer Vorzeit passierte, mit uns zu tun?
Gedenken und Gedenkkultur ist weniger wissenschaftlich-historisch, sondern vielmehr moralischpolitisch bedeutsam. Das gilt nicht nur für zeitgeschichtliche Ereignisse, wie wir das beim „Anschluss“Gedenken immer wieder erleben, sondern auch für weit zurückliegende Ereignisse.
Im Jahr 1933 versammelten sich im Schlosspark von Schönbrunn Zehntausende Heimatschützer, um des Siegs gegen die Türken im Jahr 1683 zu gedenken. Zu ihnen sprachen der damalige Bundeskanzler, Engelbert Dollfuß, und sein Vize, Fürst Ernst Rüdiger von Starhemberg, dessen Vorfahr an der Schlacht teilgenommen hatte. Es ging aber nicht mehr um die Türken, sondern um Hitler-Deutschland, dem man standhalten wollte. Es kam anders.
Im Juni 1989, im Jahr des Zerfalls des Ostblocks, hielt Slobodan Miloseviˇc´ anlässlich des 600. Jahrestags der Schlacht auf dem Amselfeld eine Rede. In ihr beschwor er die serbische Nation. Wenig später begann der JugoslawienKrieg, in dem Miloseviˇc´ eine grausame Rolle spielen sollte.
Auch wenn Gedenken unter weniger spannungsgeladenen Umständen erfolgen und keine dramatischen Folgen haben, sind sie oft politisch und aufwühlend, sie können entzweien und Debatten entfachen. Das muss nicht schlecht sein, sondern kann wichtige Diskurse anstoßen. So erregte kürzlich in Wien die Enthüllung eines – nicht offiziellen – Denkmals für die „Trümmerfrauen“die Ge- müter. Unterstützt wurde die Aktion vorwiegend von der FPÖ. Prompt folgte die Empörung. Gegner kritisierten, dass diese Frauen kein Denkmal verdient hätten, da unter ihnen auch Nationalsozialistinnen gewesen seien, die zu dieser Arbeit strafweise abkommandiert worden seien. Diese Argumentation ist fragwürdig.
Auch das – offizielle – Denkmal für die Deserteure auf dem Wiener Ballhausplatz war umstritten. Für die Befürworter waren die zahlreichen „Kriegerdenkmäler“für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs eine Provokation; für sie waren jene die Helden, die nicht mitgemacht hatten. Gegner monierten damals, viele wären keine Kriegsdienstverweigerer aus Überzeugung gewesen, sondern aus Feigheit desertiert und hätten ihre Kameraden im Stich gelassen – das Gegenteil einer Heldentat.
Misst man nach diesen Maßstäben, dürfte es kaum mehr Denkmäler geben. Gedenken ist immer zwiespältig, je nach Perspektive. So stehen überall in Norditalien Denkmäler, die der Schlacht von Vittorio Veneto 1918 gedenken. In dieser Schlacht fügte Italien dem Gegner Österreich-Ungarn die entscheidende Niederlage zu und zwang diesen zur Kapitulation.
Sinngemäß lauten die Inschriften, dass man in der Abwehrschlacht gegen den Feind einen glorreichen Sieg errungen habe. Das stimmt zwar historisch nicht, denn Italien wechselte die Fronten, weil es sich Gebietsgewinne versprach. Aber auf einem Denkmal, das die italienische Nation beschwören sollte, macht es sich so viel besser.
Gedenken führt unhinterfragt zur Weitergabe von Mythen oder gar Geschichtsfälschung. Deshalb ist es positiv, wenn Jahrestage zu einer kritischen Reflexion genützt werden. Bloß sollte man sich hüten, gleich alles zu zertrümmern, also zu „dekonstruieren“. Es ist aber legitim, heftig zu debattieren und Tradiertes infrage zu stellen. Hier bietet das Jahr 1918 noch einiges.