Ehrenrettung für Berlioz’ „Les Troyens“
Ehrenrettung für Hector Berlioz’ „Les Troyens“, ein Werk, das zu des Komponisten Zeiten als unspielbar galt und dessen enormen Anforderungen heute das Ensemble des Hauses am Ring mit nur drei Gästen fulminant gerecht wird.
Mit nur drei Gästen wird das Ensemble der Wiener Staatsoper den enormen Anforderungen des Werks fulminant gerecht.
Der große, unverlierbare Theatermoment kam knapp vor Schluss: Königin Dido, alleingelassen von ihrem Äneas und der Welt, vor einem schwarzen Vorhang – Emotion pur, vermittelt von einer Stimme und einem Orchesterklang von höchster Intensität. Joyce DiDonato, die an diesem Abend schon bewiesen hatte, wie sehr sie auch die Kunst des wohllautenden Schöngesangs beherrscht, ließ im todessüchtigen Moment alle belcanteske Ästhetik hinter sich, holte anrührende Schmerzenslaute aus ihrer Seele, haltlos schwankend zwischen Wut und Resignation.
Zwingender kann Oper nicht sein. Und dass man das anhand einer Vorlage erfuhr, der viele Kommentatoren alles genuin Opernhafte, ja die dramaturgische Stringenz absprechen, machte diesen StaatsopernAbend so ganz besonders. „Les Troyens“von Hector Berlioz galten und gelten, wenn schon nicht als unspielbar, so doch als schwer realisierbar – und schwer verdaulich.
Letzteres dementierte das Premierenpublikum vehement: So jubelt es nur nach einer rundum überzeugenden Vorstellung. Es war also gelungen, die wilde Partitur zu zähmen. Und zwar gerade weil man sich ganz und gar auf sie eingelassen hat. Gewiss kann man dem riesenhaften MusiktheaterEpos aus heutiger Sicht attestieren, dass Berlioz’ im Detail zukunftsweisende, kühne dramaturgische Visionen in der Zwangsjacke der strengen Formvorschriften der Pariser Grand Opera´ stecken.
Es stimmt: Die fünfaktigen „Trojaner“sind klassisch in Nummern gegliedert, die übergangslos nebeneinander stehen – während die Musik innerhalb der einzelnen Szenen die feinsten Übergänge und Verwandlungen hören lässt, gliedert sich die Gesamtstruktur der Oper so grobschlächtig wie die vergleichbaren Riesenarchitekturen von Meyerbeer.
Das Drama und noch viel mehr
Man könnte Lust bekommen, zum Wesentlichen vorzudringen und die vielen Balletteinlagen (exzellent getanzt von der von Lynn Page geführten Legris-Compagnie) und die zahlreichen Lieder und Gesänge herauszustreichen, die nichts zur Handlung beitragen. Man verlöre damit aber nicht nur die höhensicher und geschmeidig phrasierten Tenor-Arien von Paolo Fanale (Iopas) und Benjamin Bruns (Hylas). Man würde Berlioz’ Oper aus dem Blick verlieren, die eben noch kein Wagner’sches psychologisches Drama ist, sondern nach älteren rhythmischen Gesetzen getaktet.
Wie richtig es ist, Berlioz zu vertrauen, der sein Werk nie ganz zu hören bekam, er- wies die Wiener Neuinszenierung auch, weil Regisseur David McVicar gar nicht erst versucht, dem Stoff irgendwelche Modernisierungen angedeihen zu lassen. So altmodisch die Formstruktur der „Troyens“, so traditionell wirkt die Optik dieser Produktion in Es Devlins stimmiger Ausstattung aus waffenstarrender Kriegsszenerie und bunter nordafrikanischer Feudalpracht.
Drin nimmt man sich Zeit für Freudenfeste wie für schwermütig-apokalyptische Prophetien. Deren intensivste ist Kassandra zugedacht: Monika Bohinec übernahm im letzten Moment die Partie von der erkrankten Anna Caterina Antonacci und reüssierte glänzend: ohne falschen Nachdruck vermittelte sie Untergangsvisionen durch dunkel strömende Melodik.
Brandon Jovanovich kämpft sich als Äneas in wahrlich heldenhafter Manier durch die herkulischen Aufgaben, die Berlioz ihm gestellt hat: Da soll ein beweglich höhensicherer Tenor französischen Stils einem schon in Wagner-Dimensionen angereicherten Orchesterklang gegenübertreten – und im nächsten Moment mit seiner Dido behutsam duettieren; das gelingt in bewundernswerter Vielschichtigkeit, obwohl Jovanovich sich gewiss vor allem bei den heroischen Attacken wirklich zu Hause fühlt.
Die eigentliche Sensation dieses Abends stellt freilich die Leistung des Ensembles der Wiener Staatsoper dar, beginnend mit dem enorm geforderten Chor, der vom Jubelhymnus bis zur finalen, furchterregend aggressiven Hasswallung der Karthager angesichts des Todes ihrer Königin fulminant klingt. Die erwähnte Struktur dieses Werks bringt es mit sich, dass ein Erfolg nur zu erzielen ist, wenn auch jede kleinere und kleinste Partie exquisit besetzt ist. Und hier leisten die Mitglieder des Hauses am Ring Staunenswertes: Eine Anna, schwesterliche Gefährtin der Dido, muss, wie Szilvia Vörös das gelingt, im Duett mit der Königin mit deren Vokalkünsten mithalten können, dann aber auch die düsteren Prophezeiungen des satt und nobel tönenden Narbal von Jongmin Park in sanguinischer Helle erwidern.
Machtdemonstration des Ensembles
Das sind Leistungen von Weltniveau, die als kräftiges Lebenszeichen des Wiener Opernhauses gewertet werden dürfen: Wo sonst könnte man ein Riesenwerk wie dieses mit nur drei Gästen – und ohne eine einzige Schwachstelle präsentieren?
Alain Altinoglu und das Orchester sind bei alledem die eigentlichen Spielmacher: So erratisch die Architektur dieser Oper sein mag, so vielgestaltig sind die Aufgaben, die den Instrumentalisten zufallen. Berlioz’ Stärke liegt ja gewiss nicht in der Erfindung einprägsamer Melodien (man wird in den „Trojanern“, Hand aufs Herz, keine einzige finden), auch nicht in rhythmischer Originalität. Doch die Klangfarbenfantasie dieses Komponisten hat das Tür zur romantischen Orchestertechnik überhaupt erst aufgestoßen und reicht in manchen Momenten bis herauf in die musikalische Moderne.
Kühner, abwechslungsreicher schichten erst Richard Strauss oder Arnold Schönberg und seine Schüler die Klangebenen. Altinoglu schöpft (anders als seine Vorgänger in den Versuchen, die hierzulande in Wien und Salzburg mit diesem Werk gemacht wurden) diesen Quell aus bis zur Neige. Das machte neben den grandiosen Gesangsleistungen diese Premiere zur Sensation; und zur Ehrenrettung für ein offenbar verkanntes Meisterwerk.