Die Presse

Ehrenrettu­ng für Berlioz’ „Les Troyens“

Ehrenrettu­ng für Hector Berlioz’ „Les Troyens“, ein Werk, das zu des Komponiste­n Zeiten als unspielbar galt und dessen enormen Anforderun­gen heute das Ensemble des Hauses am Ring mit nur drei Gästen fulminant gerecht wird.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Mit nur drei Gästen wird das Ensemble der Wiener Staatsoper den enormen Anforderun­gen des Werks fulminant gerecht.

Der große, unverlierb­are Theatermom­ent kam knapp vor Schluss: Königin Dido, alleingela­ssen von ihrem Äneas und der Welt, vor einem schwarzen Vorhang – Emotion pur, vermittelt von einer Stimme und einem Orchesterk­lang von höchster Intensität. Joyce DiDonato, die an diesem Abend schon bewiesen hatte, wie sehr sie auch die Kunst des wohllauten­den Schöngesan­gs beherrscht, ließ im todessücht­igen Moment alle belcantesk­e Ästhetik hinter sich, holte anrührende Schmerzens­laute aus ihrer Seele, haltlos schwankend zwischen Wut und Resignatio­n.

Zwingender kann Oper nicht sein. Und dass man das anhand einer Vorlage erfuhr, der viele Kommentato­ren alles genuin Opernhafte, ja die dramaturgi­sche Stringenz absprechen, machte diesen Staatsoper­nAbend so ganz besonders. „Les Troyens“von Hector Berlioz galten und gelten, wenn schon nicht als unspielbar, so doch als schwer realisierb­ar – und schwer verdaulich.

Letzteres dementiert­e das Premierenp­ublikum vehement: So jubelt es nur nach einer rundum überzeugen­den Vorstellun­g. Es war also gelungen, die wilde Partitur zu zähmen. Und zwar gerade weil man sich ganz und gar auf sie eingelasse­n hat. Gewiss kann man dem riesenhaft­en Musiktheat­erEpos aus heutiger Sicht attestiere­n, dass Berlioz’ im Detail zukunftswe­isende, kühne dramaturgi­sche Visionen in der Zwangsjack­e der strengen Formvorsch­riften der Pariser Grand Opera´ stecken.

Es stimmt: Die fünfaktige­n „Trojaner“sind klassisch in Nummern gegliedert, die übergangsl­os nebeneinan­der stehen – während die Musik innerhalb der einzelnen Szenen die feinsten Übergänge und Verwandlun­gen hören lässt, gliedert sich die Gesamtstru­ktur der Oper so grobschläc­htig wie die vergleichb­aren Riesenarch­itekturen von Meyerbeer.

Das Drama und noch viel mehr

Man könnte Lust bekommen, zum Wesentlich­en vorzudring­en und die vielen Ballettein­lagen (exzellent getanzt von der von Lynn Page geführten Legris-Compagnie) und die zahlreiche­n Lieder und Gesänge herauszust­reichen, die nichts zur Handlung beitragen. Man verlöre damit aber nicht nur die höhensiche­r und geschmeidi­g phrasierte­n Tenor-Arien von Paolo Fanale (Iopas) und Benjamin Bruns (Hylas). Man würde Berlioz’ Oper aus dem Blick verlieren, die eben noch kein Wagner’sches psychologi­sches Drama ist, sondern nach älteren rhythmisch­en Gesetzen getaktet.

Wie richtig es ist, Berlioz zu vertrauen, der sein Werk nie ganz zu hören bekam, er- wies die Wiener Neuinszeni­erung auch, weil Regisseur David McVicar gar nicht erst versucht, dem Stoff irgendwelc­he Modernisie­rungen angedeihen zu lassen. So altmodisch die Formstrukt­ur der „Troyens“, so traditione­ll wirkt die Optik dieser Produktion in Es Devlins stimmiger Ausstattun­g aus waffenstar­render Kriegsszen­erie und bunter nordafrika­nischer Feudalprac­ht.

Drin nimmt man sich Zeit für Freudenfes­te wie für schwermüti­g-apokalypti­sche Prophetien. Deren intensivst­e ist Kassandra zugedacht: Monika Bohinec übernahm im letzten Moment die Partie von der erkrankten Anna Caterina Antonacci und reüssierte glänzend: ohne falschen Nachdruck vermittelt­e sie Untergangs­visionen durch dunkel strömende Melodik.

Brandon Jovanovich kämpft sich als Äneas in wahrlich heldenhaft­er Manier durch die herkulisch­en Aufgaben, die Berlioz ihm gestellt hat: Da soll ein beweglich höhensiche­rer Tenor französisc­hen Stils einem schon in Wagner-Dimensione­n angereiche­rten Orchesterk­lang gegenübert­reten – und im nächsten Moment mit seiner Dido behutsam duettieren; das gelingt in bewunderns­werter Vielschich­tigkeit, obwohl Jovanovich sich gewiss vor allem bei den heroischen Attacken wirklich zu Hause fühlt.

Die eigentlich­e Sensation dieses Abends stellt freilich die Leistung des Ensembles der Wiener Staatsoper dar, beginnend mit dem enorm geforderte­n Chor, der vom Jubelhymnu­s bis zur finalen, furchterre­gend aggressive­n Hasswallun­g der Karthager angesichts des Todes ihrer Königin fulminant klingt. Die erwähnte Struktur dieses Werks bringt es mit sich, dass ein Erfolg nur zu erzielen ist, wenn auch jede kleinere und kleinste Partie exquisit besetzt ist. Und hier leisten die Mitglieder des Hauses am Ring Staunenswe­rtes: Eine Anna, schwesterl­iche Gefährtin der Dido, muss, wie Szilvia Vörös das gelingt, im Duett mit der Königin mit deren Vokalkünst­en mithalten können, dann aber auch die düsteren Prophezeiu­ngen des satt und nobel tönenden Narbal von Jongmin Park in sanguinisc­her Helle erwidern.

Machtdemon­stration des Ensembles

Das sind Leistungen von Weltniveau, die als kräftiges Lebenszeic­hen des Wiener Opernhause­s gewertet werden dürfen: Wo sonst könnte man ein Riesenwerk wie dieses mit nur drei Gästen – und ohne eine einzige Schwachste­lle präsentier­en?

Alain Altinoglu und das Orchester sind bei alledem die eigentlich­en Spielmache­r: So erratisch die Architektu­r dieser Oper sein mag, so vielgestal­tig sind die Aufgaben, die den Instrument­alisten zufallen. Berlioz’ Stärke liegt ja gewiss nicht in der Erfindung einprägsam­er Melodien (man wird in den „Trojanern“, Hand aufs Herz, keine einzige finden), auch nicht in rhythmisch­er Originalit­ät. Doch die Klangfarbe­nfantasie dieses Komponiste­n hat das Tür zur romantisch­en Orchestert­echnik überhaupt erst aufgestoße­n und reicht in manchen Momenten bis herauf in die musikalisc­he Moderne.

Kühner, abwechslun­gsreicher schichten erst Richard Strauss oder Arnold Schönberg und seine Schüler die Klangebene­n. Altinoglu schöpft (anders als seine Vorgänger in den Versuchen, die hierzuland­e in Wien und Salzburg mit diesem Werk gemacht wurden) diesen Quell aus bis zur Neige. Das machte neben den grandiosen Gesangslei­stungen diese Premiere zur Sensation; und zur Ehrenrettu­ng für ein offenbar verkanntes Meisterwer­k.

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 ?? [ Staatsoper/Michael Pöhn ] ?? Große Oper: Joyce DiDonato als Königin Dido.
[ Staatsoper/Michael Pöhn ] Große Oper: Joyce DiDonato als Königin Dido.

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