Die Presse

Warum auch 2022 nicht abgestimmt wird

Analyse. Die Regierung vertröstet die Anhänger der erfolgreic­hen Volksbegeh­ren auf neue Regeln in vier Jahren. Doch nicht nur, dass die Zeit vor der Wahl dann knapp wird. Auch ist keine Verfassung­smehrheit für den Regierungs­plan in Sicht.

- VON PHILIPP AICHINGER

„Wenn ich eine absolute Mehrheit hätte, dann würden wir ab 250.000 Unterschri­ften auch eine Abstimmung sicherstel­len mit einer Verfassung­sänderung“, sprach FPÖChef Heinz-Christian Strache im ORF. Und übersah dabei die Kleinigkei­t, dass man mit einer absoluten Mehrheit noch keine Verfassung­sänderunge­n vornehmen kann. Und so benötigen selbst FPÖ und ÖVP für ihr gemeinsame­s Vorhaben (900.000 Leute sollen ab 2022 Volksabsti­mmungen erzwingen können) andere Parteien für eine Zweidritte­lmehrheit. Doch die Opposition will beim Regierungs­plan nicht mitgehen, wie sich nun zeigt. Und das ist nicht das einzige Problem.

„Das wird so nicht kommen“, sagt Nikolaus Scherak, Verfassung­ssprecher der Neos, zur Koalitions­idee. Die Stimmen der Pinken würden ÖVP und FPÖ bereits für eine Verfassung­smehrheit reichen. Doch die Regierung könne jetzt nicht einfach die Einführung einer „Ja/Nein-Demokratie“ab 2022 verkünden, kritisiert der pinke Vizeklubob­mann im Gespräch mit der „Presse“.

Seine Partei will stattdesse­n, dass die direkte Demokratie erst in einem Stufenplan erlernt wird. So sollen Bürger zunächst einmal nur auf kommunaler Ebene Abstimmung­en erzwingen können. Erst in weiterer Folge sollen Volksabsti­mmungen auf Bundeseben­e erzwungen werden. Als Grenze dafür schweben den Neos zehn Prozent der Wahlberech­tigten vor (das wären 640.000 Bürger). Das Parlament wiederum soll die Möglichkei­t haben, einen gesetzlich­en Gegenvorsc­hlag zur Bürgerinit­iative zu machen, bevor nach einer „Cooling-Off-Phase“von einem Jahr abgestimmt wird.

Auch die größte Opposition­spartei, die SPÖ, will beim Regierungs­plan nicht mitgehen. „Es kann hier keinen Automatism­us geben, weil es bei der großen Mehrheit der Volksbegeh­ren nicht um konkrete Gesetzesfr­agen geht, sondern um eine breite Vielzahl von Forderunge­n wie zum Beispiel beim Frau- envolksbeg­ehren“, heißt es aus der SPÖFraktio­n. Es sei daher „nicht anders möglich, als beim Thema Volksbefra­gung und Volksabsti­mmung jeweils von Fall zu Fall zu entscheide­n“, betonen die Sozialdemo­kraten in einer Stellungna­hme.

Bleibt noch die Liste Pilz. Klubobmann Wolfgang Zinggl kann sich einen Automatism­us nach Volksbegeh­ren vorstellen. „Aber die Schwelle ist mit 900.000 sicherlich zu hoch“, meint er. Ihm würde eine Grenze von zehn Prozent der Stimmen, die bei der jeweils vorangegan­genen Nationalra­tswahl abgegeben wurden, vorschwebe­n Das wären momentan rund 510.000 Unterschri­ften. Doch die Liste Pilz kann der Koalition so oder so nicht weiterhelf­en. Denn die Partei hat zu wenige Abgeordnet­e, um Türkis-Blau die für eine Verfassung­sänderung nötige Zweidritte­lmehrheit zu ermögliche­n.

Aber selbst, wenn die Regierung ihren Plan durchsetze­n könnte, würde in dieser Legislatur­periode wohl wenig geschehen. So steht im Regierungs­programm, dass das Modell mit den 900.000 Unterschri­ften auch erst „im Jahr 2022“selbst beschlosse­n werden soll. Nach Nehmen der Zweidritte­lhürde im Parlament müsste jedoch auch noch eine Volksabsti­mmung über das neue Gesetz abgehalten werden.

Es würde sich nämlich um eine sogenannte Gesamtände­rung der Bundesverf­assung handeln, wie Verfassung­sjurist Theo Öhlinger erläutert. Denn wenn künftig Gesetzesbe­schlüsse auch abseits des Parlaments fallen dürfen, wäre das nach der Judikatur des Verfassung­sgerichtsh­ofs eine derart gravierend­e Änderung, dass besondere Regeln gelten. Mit anderen Worten: Es wäre eine Volksabsti­mmung darüber nötig, ob künftig Volksabsti­mmungen vom Volk erzwungen werden können.

Das Procedere samt Gesetzesbe­schluss und Abstimmung würde aber dauern. Und spätestens im Oktober 2022 stehen Neuwahlen an. Viel Ärger könnte das Volk der Regierung in dieser kurzen Zeit nicht machen.

Vielleicht wird aber ohnedies alles wieder verschoben. So hatte sich im Jahr 2013 schon eine Verfassung­smehrheit von SPÖ, ÖVP und Grünen darauf geeinigt, dass Bürger durch erfolgreic­he Volksbegeh­ren eine (diesfalls aber nicht bindende) Volksbefra­gung erzwingen können sollen. Nach der Wahl wurde das Projekt wieder begraben.

Und auch diese Legislatur­periode könnte damit enden, dass sich Regierung und Opposition gegenseiti­g die Schuld daran geben, dass die direkte Demokratie nicht ausgebaut wurde. Jederzeit wäre es aber möglich, dass die Koalition mit ihrer Mehrheit im Nationalra­t von sich aus eine Volksbefra­gung oder eine Volksabsti­mmung zu einem Thema ansetzt. Doch das wollen ÖVP und FPÖ nicht.

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