Warum auch 2022 nicht abgestimmt wird
Analyse. Die Regierung vertröstet die Anhänger der erfolgreichen Volksbegehren auf neue Regeln in vier Jahren. Doch nicht nur, dass die Zeit vor der Wahl dann knapp wird. Auch ist keine Verfassungsmehrheit für den Regierungsplan in Sicht.
„Wenn ich eine absolute Mehrheit hätte, dann würden wir ab 250.000 Unterschriften auch eine Abstimmung sicherstellen mit einer Verfassungsänderung“, sprach FPÖChef Heinz-Christian Strache im ORF. Und übersah dabei die Kleinigkeit, dass man mit einer absoluten Mehrheit noch keine Verfassungsänderungen vornehmen kann. Und so benötigen selbst FPÖ und ÖVP für ihr gemeinsames Vorhaben (900.000 Leute sollen ab 2022 Volksabstimmungen erzwingen können) andere Parteien für eine Zweidrittelmehrheit. Doch die Opposition will beim Regierungsplan nicht mitgehen, wie sich nun zeigt. Und das ist nicht das einzige Problem.
„Das wird so nicht kommen“, sagt Nikolaus Scherak, Verfassungssprecher der Neos, zur Koalitionsidee. Die Stimmen der Pinken würden ÖVP und FPÖ bereits für eine Verfassungsmehrheit reichen. Doch die Regierung könne jetzt nicht einfach die Einführung einer „Ja/Nein-Demokratie“ab 2022 verkünden, kritisiert der pinke Vizeklubobmann im Gespräch mit der „Presse“.
Seine Partei will stattdessen, dass die direkte Demokratie erst in einem Stufenplan erlernt wird. So sollen Bürger zunächst einmal nur auf kommunaler Ebene Abstimmungen erzwingen können. Erst in weiterer Folge sollen Volksabstimmungen auf Bundesebene erzwungen werden. Als Grenze dafür schweben den Neos zehn Prozent der Wahlberechtigten vor (das wären 640.000 Bürger). Das Parlament wiederum soll die Möglichkeit haben, einen gesetzlichen Gegenvorschlag zur Bürgerinitiative zu machen, bevor nach einer „Cooling-Off-Phase“von einem Jahr abgestimmt wird.
Auch die größte Oppositionspartei, die SPÖ, will beim Regierungsplan nicht mitgehen. „Es kann hier keinen Automatismus geben, weil es bei der großen Mehrheit der Volksbegehren nicht um konkrete Gesetzesfragen geht, sondern um eine breite Vielzahl von Forderungen wie zum Beispiel beim Frau- envolksbegehren“, heißt es aus der SPÖFraktion. Es sei daher „nicht anders möglich, als beim Thema Volksbefragung und Volksabstimmung jeweils von Fall zu Fall zu entscheiden“, betonen die Sozialdemokraten in einer Stellungnahme.
Bleibt noch die Liste Pilz. Klubobmann Wolfgang Zinggl kann sich einen Automatismus nach Volksbegehren vorstellen. „Aber die Schwelle ist mit 900.000 sicherlich zu hoch“, meint er. Ihm würde eine Grenze von zehn Prozent der Stimmen, die bei der jeweils vorangegangenen Nationalratswahl abgegeben wurden, vorschweben Das wären momentan rund 510.000 Unterschriften. Doch die Liste Pilz kann der Koalition so oder so nicht weiterhelfen. Denn die Partei hat zu wenige Abgeordnete, um Türkis-Blau die für eine Verfassungsänderung nötige Zweidrittelmehrheit zu ermöglichen.
Aber selbst, wenn die Regierung ihren Plan durchsetzen könnte, würde in dieser Legislaturperiode wohl wenig geschehen. So steht im Regierungsprogramm, dass das Modell mit den 900.000 Unterschriften auch erst „im Jahr 2022“selbst beschlossen werden soll. Nach Nehmen der Zweidrittelhürde im Parlament müsste jedoch auch noch eine Volksabstimmung über das neue Gesetz abgehalten werden.
Es würde sich nämlich um eine sogenannte Gesamtänderung der Bundesverfassung handeln, wie Verfassungsjurist Theo Öhlinger erläutert. Denn wenn künftig Gesetzesbeschlüsse auch abseits des Parlaments fallen dürfen, wäre das nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs eine derart gravierende Änderung, dass besondere Regeln gelten. Mit anderen Worten: Es wäre eine Volksabstimmung darüber nötig, ob künftig Volksabstimmungen vom Volk erzwungen werden können.
Das Procedere samt Gesetzesbeschluss und Abstimmung würde aber dauern. Und spätestens im Oktober 2022 stehen Neuwahlen an. Viel Ärger könnte das Volk der Regierung in dieser kurzen Zeit nicht machen.
Vielleicht wird aber ohnedies alles wieder verschoben. So hatte sich im Jahr 2013 schon eine Verfassungsmehrheit von SPÖ, ÖVP und Grünen darauf geeinigt, dass Bürger durch erfolgreiche Volksbegehren eine (diesfalls aber nicht bindende) Volksbefragung erzwingen können sollen. Nach der Wahl wurde das Projekt wieder begraben.
Und auch diese Legislaturperiode könnte damit enden, dass sich Regierung und Opposition gegenseitig die Schuld daran geben, dass die direkte Demokratie nicht ausgebaut wurde. Jederzeit wäre es aber möglich, dass die Koalition mit ihrer Mehrheit im Nationalrat von sich aus eine Volksbefragung oder eine Volksabstimmung zu einem Thema ansetzt. Doch das wollen ÖVP und FPÖ nicht.