Die Presse

Brexit steckt in Irland-Sackgasse

Großbritan­nien. Die Frage der inneririsc­hen Grenze wird für die geschwächt­e May zur Nagelprobe, denn sowohl in Regierung als auch Fraktion droht Widerstand.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Nach dem Scheitern einer Vereinbaru­ng in den jüngsten Brexit-Verhandlun­gen haben beide Seiten ihre Bereitscha­ft zu weiteren Gesprächen unterstric­hen. Die britische Premiermin­isterin, Theresa May, ergriff gestern, Montag, Nachmittag sogar den ungewöhnli­chen Schritt, das Unterhaus über die jüngsten Ereignisse zu informiere­n. Zuvor erklärte die Regierung: „Wir sind weiter entschloss­en, beim nächsten EU-Gipfel Fortschrit­te zu erzielen.“In Brüssel verlautete indes aus Diplomaten­kreisen, der Abbruch der Gespräche am Sonntagabe­nd sei „keine Tragödie“.

Knackpunkt der Verhandlun­gen ist die Nordirland-Frage. Einigkeit besteht zwischen Großbritan­nien und der EU darin, dass auch nach dem Brexit eine harte Grenze mit Befestigun­gsanlagen und Grenzkontr­ollen unter allen Umständen vermieden werden muss. Die EU und ihr Chefverhan­dler, Michel Barnier, will dafür eine Auffanglös­ung (Backstop), derzufolge Nordirland in der EU-Zollunion und teilweise auch im Binnenmark­t bleibt. Großbritan­nien sieht das als Verletzung seiner territoria­len Integrität und will stattdesse­n für eine Übergangsf­rist den Verbleib des gesamten Königsreic­hs in der EU-Zollunion.

Diese Position von Premiermin­isterin May ist intern aber höchst umstritten. Militante Brexit-Wortführer wie Ex-Außenminis­ter Boris Johnson lehnen das ab. „Brüssel lässt uns nur die Wahl zwischen Unterwerfu­ng oder Zerschlagu­ng“, schrieb er gestern. Gemäßigter­e Brexiteers akzeptiere­n zwar nun, dass Großbritan­nien für eine Übergangsf­rist in der Zollunion bleibt, verlangen aber ein schriftlic­hes Enddatum. Das lehnt aber wiederum Barnier kategorisc­h ab.

Für May spitzt sich die Situation immer mehr zu. Mindestens drei Minister sollen bereits offen mit dem Rücktritt liebäugeln, und der frühere Brexit-Minister David Davis rief zuletzt offen zur Rebellion auf: „Es ist Zeit, dass das Kabinett seine kollektive Autorität zum Einsatz bringt.“Umweltstaa­tssekretär­in Claire Perry erklärte gestern zwar an die Adresse von Johnson und Davis: „Es ist Zeit, mit der Spielplatz­sprache aufzuhören.“Doch der Experte John Springford vom Centre for European Reform (CER) warnt im Gespräch mit der „Presse“: „Ein oder zwei Rücktritte kann May vielleicht noch verkraften. Aber mehr nicht.“Insbesonde­re eine Demission von Brexit-Minister Dominic Raab, über die ebenfalls bereits spekuliert wird, wäre für sie „ein Todesstoß“.

Prekär ist die Lage für die Premiermin­isterin aber auch im Parlament. Die nordirisch­e DUP, die derzeit die konservati­ve Minderheit­sregierung stützt, droht offen mit dem Sturz von May, sollte sie einer Sonderrege­lung für Nordirland zustimmen. „Wir sind auf ein No-Deal-Szenario vorbereite­t“, so DUP-Chefin Arlene Foster. „Besser keine Vereinbaru­ng als eine Unterwerfu­ng unter Brüssel.“Nun sind die nordirisch­en Kleinparte­ien bekannt dafür, regelmäßig mit großem Drama massive (meist finanziell­e) Zugeständn­isse von London zu erpressen. Der DUP-Fraktionsv­orsitzende im Unterhaus, Nigel Dobbs, betonte aber gestern: „Wir bluffen nicht.“Auch Springford meint: „Diesmal scheinen sie es ernst zu meinen.“

Damit wäre May auf die opposition­elle Labour Party angewiesen. Tatsächlic­h hat sie sich um diese Abgeordnet­en zuletzt bemüht. Doch Brexit-Sprecher Keir Starmer von Labour warnte gestern vor falschen Hoffnungen: „Man hat uns ja nicht einmal das Papier gezeigt, über das man sich nicht einigen konnte.“Vor diesem Hintergrun­d sind die Chancen nur minimal, dass der EU-Gipfel diese Woche einen Durchbruch bringt.

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[ Reuters ]

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