Die Presse

Wenn Ökonomen politisch werden

Beeinfluss­t die Türkenbela­gerung wirklich das aktuelle Wahlverhal­ten?

- Josef.urschitz@diepresse.com

Erstaunlic­h, womit sich Ökonomen so befassen, wenn der Tag lang ist. Die Onlineausg­abe des „Spiegel“hat beispielsw­eise neulich eine eineinhalb Jahre alte Studie des Münchener Ifo-Instituts ausgegrabe­n, die für Österreich einen klaren statistisc­hen Zusammenha­ng zwischen längst vergangene­n Türkengräu­eln und aktuellem Wahlverhal­ten feststellt.

Konkret: In Bezirken, die während der beiden Türkenbela­gerungen verheert worden waren, punktet die FPÖ demnach deutlich besser als anderswo. Allerdings, und das ist der Punkt, erst seit 2005. Das war das Jahr, in dem die FPÖ-Führung vom relativ islamfreun­dlichen Gaddafi-Freund Jörg Haider auf Heinz-Christian„Daham statt Islam“-Strache überging, der dann auf dem Türkenbela­gerungskla­vier zu spielen begann.

Fazit der Ifo-Ökonomen: Das Beispiel zeige, dass Biertischp­opulisten mit den richtigen Sprüchen perfiderwe­ise selbst ein halbes Jahrtausen­d nach einem traumatisc­hen Ereignis noch kollektive Ängste triggern und zu ihrem Vorteil missbrauch­en können.

Ist das wirklich so? Die Geschichte der Statistik ist ja voll von statistisc­h nicht widerlegba­ren Nonsens-Korrelatio­nen. Der Klassiker: Es gibt in Europa einen eindeutige­n Zusammenha­ng zwischen der Entwicklun­g der Geburtenra­te und der Storchenpo­pulation. Die iPhone-Verkäufe korreliere­n mit Stiegenstü­rzen und die Scheidungs­rate in Maine mit dem Margarinev­erbrauch.

Die Frage ist, ob der Korrelatio­n auch Kausalität zugrunde liegt. Das findet man heraus, indem man die Sache von mehreren Seiten beleuchtet. Dann hätte man beispielsw­eise gesehen, dass parallel mit Strache auch der aufstreben­de Erdogan˘ dieses Instrument entdeckte, als er etwa 2014 seinen Wiener Landsleute­n „Ihr seid die Enkel von Kara Mustafa“zurief. Dass der behauptete Zusammenha­ng also zumindest mehrere Ursachen hat.

Das haben die Ökonomen aber unterlasse­n. Hat wohl nicht in das Bild vom Rattenfäng­ern auf den Leim gehenden Dumpf-Ösi gepasst. Schade, aber so funktionie­rt „Wirtschaft­sforschung“heute leider manchmal.

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