Deutschlands Fußball büßte mit dem WM-Flop und Blamagen in der Nations League viel von seinem Mythos ein. Die Kritik wird lauter, Joachim Löw der Umbruch nicht mehr zugetraut.
Analyse.
Deutschland, die einstige Fußball-Großmacht, steht ratlos im Abseits. Nach der 0:3-Enttäuschung gegen die Niederlande – der höchsten Niederlage überhaupt gegen Oranje und der ersten seit 16 Jahren – droht dem Weltmeister von 2014 sogar der Abstieg in der Nations League. Es war die fünfte Niederlage 2018, mehr gab es binnen eines Jahres in der DFB-Historie noch nie.
Es wurde kein Neuanfang gestartet, sondern bloß das bei der WM so kläglich gescheiterte Spiel halbherzig fortgesetzt. Auf Kritik reagieren arrivierte Spieler wie Hummels oder Neuer gereizt, auch Teamchef Joachim Löw wirkt unbelehrbar. Er sah Fortschritte, obwohl seine Mannschaft im Finish zerfallen war wie bei der WM gegen Südkorea. Verliert der Gruppenletzte (Liga A, Gruppe 1) heute Abend gegen Weltmeister Frankreich (20.45 Uhr, live ARD), steht der Trainer vor dem Aus.
Deutschlands Fußballteam hat seinen Glanz verloren. Das blamable Aus nach der Vorrunde bei der WM in Russland ist alles, nur nicht verarbeitet. Die Folgen der leidigen Causa rund um Mesut Özil liegen weiterhin als Schatten über dem Team. Und die Stimmen, die nach der sportlichen Talfahrt Löws Ablöse und einen radikaleren Umbruch verlangen, sind nicht mehr zu überhören. Selbst DFB-freundliche, selten um Ideen verlegene „Bild“-Reporter finden kaum noch Positives. Gegen Frankreich läuft heute also ein „Endspiel“, und die Zahlen sprechen gegen Löw.
War Deutschland einst das „Land der Mittelstürmer“, beginnend mit der Verklärung Gerd Müllers, so führt es in der Gegenwart im Strafraum bloß ein harmloses Dasein. 39 Torschüsse zählten Statistiker gegen Frankreich (0:0) und Niederlande (0:3) insgesamt. Keiner fand den Weg ins Tor. Uth war bei seinem Debüt heillos überfordert. Müller (vier Tore in 26 Spielen) ist nebst vielen anderen nur noch ein „Auslaufmodell“. Leipzig-Stürmer Werner enttäuscht stets im Dress mit den vier Sternen. Und nicht einmal mehr die Glückstreffer in letzter Minute gelingen. Warum?
Im DFB-Team gibt es auch keinen Leitwolf mehr. Matthäus, Effenberg, Ballack oder eben Özil, der noch die entscheidenden Pässe spielen konnte. Damit Sane´ oder Kroos zu beauftragen, wäre immerhin ein Vorstoß. Kimmich, Can oder Draxler sind hingegen nur sehr riskante Optionen.
Löw steht oft versteinert an der Seitenlinie. Auch seine Analysen fallen immer schwächer aus, der sonst so eloquent agierende Badener, 58, verläuft sich in unbedeutend leeren Aussagen. Seine Zukunft bei weiter sieglosen Auftritten? Er schweigt. Da sei er doch der „falsche Ansprechpartner“.
Es ist bezeichnend, aber ein gängiges Phänomen in Sport, Politik oder Showbranche. Erfolge werden freilich genossen, jedoch gern über den zustehenden Zeitrahmen hinaus. Veränderungen in Spiel, Taktik oder Personal scheinen dann nicht weiter von Belang. Funktionäre, Fans und Medien sehen zu – bis die Serie reißt. Löw hätte spätestens nach der EM 2016 zurücktreten müssen. So erhält sein Denkmal, er arbeitet seit 2005 und der Entlassung beim DFB, zusehends tiefere Kratzer.
Der DFB will Löw nicht kündigen; es käme nämlich sehr teuer. Denn ohne jede Not wurde der Vertrag – vor der WM – bis 2022 verlängert, das Salär gebührend erhöht. Präsident Reinhard Grindel, durch den Erhalt der EM 2024 neu gestärkt, lehnte Debatten um seinen Teamchef ab. Ihnen kann er sich mit einer weiteren Niederlage jedoch nicht mehr entziehen.
Löw selbst verschärft die Situation durch sein „störrisches Verhalten“, bemerkte die „Süddeutsche“. Das wecke Zweifel an seiner Handlung, er sei nur noch „aus Trotz und Sturheit“im Amt. Er überhöre „Rufe nach Erneuerung“, nach jugendlichem Elan. Damit sei Deutschland nur noch ein „gewöhnliches Team“mit einem auffällig fehlerhaften Torhüter, Manuel Neuer. Warum spielt denn Barcelona-Keeper Marc Ter-Stegen nicht? Sind Rüdiger (Chelsea), Süle (Bayern), Tah (Leverkusen), Kehrer (Paris), Ginter (Gladbach) oder Mustafi (Arsenal) denn wirklich keine Alternativen?
Jeder Umbruch braucht Zeit, frische Spieler, andere Ideen – und neue Trainer; sogar in Deutschland. Einen Fachmann von außen, der unberührt von bayrischer Mentalität oder Dortmunder Befindlichkeiten agiert. Eine Figur, die allen Respekt abverlangt, allein ob ihrer Anwesenheit, ist nötig, wenngleich das Engagement eines Ausländers historisch wäre. Zine-´ dine Zidane oder auch Ars`ene Wenger werden jetzt vom Boulevard gehandelt.
Es herrscht Stillstand in der gestürzten Fußballmacht. Einigkeit herrscht heute nach einer weiteren Niederlage nur in einem Punkt: Dann ist Löws Ära Geschichte.