Die Presse

Deutschlan­ds Fußball büßte mit dem WM-Flop und Blamagen in der Nations League viel von seinem Mythos ein. Die Kritik wird lauter, Joachim Löw der Umbruch nicht mehr zugetraut.

Analyse.

- VON MARKKU DATLER

Deutschlan­d, die einstige Fußball-Großmacht, steht ratlos im Abseits. Nach der 0:3-Enttäuschu­ng gegen die Niederland­e – der höchsten Niederlage überhaupt gegen Oranje und der ersten seit 16 Jahren – droht dem Weltmeiste­r von 2014 sogar der Abstieg in der Nations League. Es war die fünfte Niederlage 2018, mehr gab es binnen eines Jahres in der DFB-Historie noch nie.

Es wurde kein Neuanfang gestartet, sondern bloß das bei der WM so kläglich gescheiter­te Spiel halbherzig fortgesetz­t. Auf Kritik reagieren arrivierte Spieler wie Hummels oder Neuer gereizt, auch Teamchef Joachim Löw wirkt unbelehrba­r. Er sah Fortschrit­te, obwohl seine Mannschaft im Finish zerfallen war wie bei der WM gegen Südkorea. Verliert der Gruppenlet­zte (Liga A, Gruppe 1) heute Abend gegen Weltmeiste­r Frankreich (20.45 Uhr, live ARD), steht der Trainer vor dem Aus.

Deutschlan­ds Fußballtea­m hat seinen Glanz verloren. Das blamable Aus nach der Vorrunde bei der WM in Russland ist alles, nur nicht verarbeite­t. Die Folgen der leidigen Causa rund um Mesut Özil liegen weiterhin als Schatten über dem Team. Und die Stimmen, die nach der sportliche­n Talfahrt Löws Ablöse und einen radikalere­n Umbruch verlangen, sind nicht mehr zu überhören. Selbst DFB-freundlich­e, selten um Ideen verlegene „Bild“-Reporter finden kaum noch Positives. Gegen Frankreich läuft heute also ein „Endspiel“, und die Zahlen sprechen gegen Löw.

War Deutschlan­d einst das „Land der Mittelstür­mer“, beginnend mit der Verklärung Gerd Müllers, so führt es in der Gegenwart im Strafraum bloß ein harmloses Dasein. 39 Torschüsse zählten Statistike­r gegen Frankreich (0:0) und Niederland­e (0:3) insgesamt. Keiner fand den Weg ins Tor. Uth war bei seinem Debüt heillos überforder­t. Müller (vier Tore in 26 Spielen) ist nebst vielen anderen nur noch ein „Auslaufmod­ell“. Leipzig-Stürmer Werner enttäuscht stets im Dress mit den vier Sternen. Und nicht einmal mehr die Glückstref­fer in letzter Minute gelingen. Warum?

Im DFB-Team gibt es auch keinen Leitwolf mehr. Matthäus, Effenberg, Ballack oder eben Özil, der noch die entscheide­nden Pässe spielen konnte. Damit Sane´ oder Kroos zu beauftrage­n, wäre immerhin ein Vorstoß. Kimmich, Can oder Draxler sind hingegen nur sehr riskante Optionen.

Löw steht oft versteiner­t an der Seitenlini­e. Auch seine Analysen fallen immer schwächer aus, der sonst so eloquent agierende Badener, 58, verläuft sich in unbedeuten­d leeren Aussagen. Seine Zukunft bei weiter sieglosen Auftritten? Er schweigt. Da sei er doch der „falsche Ansprechpa­rtner“.

Es ist bezeichnen­d, aber ein gängiges Phänomen in Sport, Politik oder Showbranch­e. Erfolge werden freilich genossen, jedoch gern über den zustehende­n Zeitrahmen hinaus. Veränderun­gen in Spiel, Taktik oder Personal scheinen dann nicht weiter von Belang. Funktionär­e, Fans und Medien sehen zu – bis die Serie reißt. Löw hätte spätestens nach der EM 2016 zurücktret­en müssen. So erhält sein Denkmal, er arbeitet seit 2005 und der Entlassung beim DFB, zusehends tiefere Kratzer.

Der DFB will Löw nicht kündigen; es käme nämlich sehr teuer. Denn ohne jede Not wurde der Vertrag – vor der WM – bis 2022 verlängert, das Salär gebührend erhöht. Präsident Reinhard Grindel, durch den Erhalt der EM 2024 neu gestärkt, lehnte Debatten um seinen Teamchef ab. Ihnen kann er sich mit einer weiteren Niederlage jedoch nicht mehr entziehen.

Löw selbst verschärft die Situation durch sein „störrische­s Verhalten“, bemerkte die „Süddeutsch­e“. Das wecke Zweifel an seiner Handlung, er sei nur noch „aus Trotz und Sturheit“im Amt. Er überhöre „Rufe nach Erneuerung“, nach jugendlich­em Elan. Damit sei Deutschlan­d nur noch ein „gewöhnlich­es Team“mit einem auffällig fehlerhaft­en Torhüter, Manuel Neuer. Warum spielt denn Barcelona-Keeper Marc Ter-Stegen nicht? Sind Rüdiger (Chelsea), Süle (Bayern), Tah (Leverkusen), Kehrer (Paris), Ginter (Gladbach) oder Mustafi (Arsenal) denn wirklich keine Alternativ­en?

Jeder Umbruch braucht Zeit, frische Spieler, andere Ideen – und neue Trainer; sogar in Deutschlan­d. Einen Fachmann von außen, der unberührt von bayrischer Mentalität oder Dortmunder Befindlich­keiten agiert. Eine Figur, die allen Respekt abverlangt, allein ob ihrer Anwesenhei­t, ist nötig, wenngleich das Engagement eines Ausländers historisch wäre. Zine-´ dine Zidane oder auch Ars`ene Wenger werden jetzt vom Boulevard gehandelt.

Es herrscht Stillstand in der gestürzten Fußballmac­ht. Einigkeit herrscht heute nach einer weiteren Niederlage nur in einem Punkt: Dann ist Löws Ära Geschichte.

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